Zahlen, bitte!

Damit haben Sie nicht gerechnet. Zahlen waren und sind geheimnisvoll. Ent-ziffern, de-chiffrieren heißt, wieder zurückzurechnen. Auch heute warten Kuriosa und Mysterien an jeder Raumzeitecke. Das größte Rätsel dabei bleibt der Mensch.

von Marc Hieronimus

 

° Die Zeitrechnung stimmt vorne und hinten nicht. In der Mitte sieht es auch nicht besser aus. Heribert Illig beweist seit Jahrzehnten, dass weite Teile des Mittelalters erfunden sind, darunter Karl der Große. Gut, andere beteuern, dass es Bielefeld gar nicht gebe. Aber wer bitte ist denn selbst schon einmal dagewesen? Hans-Ulrich Wehler vielleicht, und dieser Luhmann.

° Was stimmt nicht mit dem Oktober? Das Oktoberfest findet im September statt (dem neunten bzw. namentlich dem siebten Monat), die Oktoberrevolution war im November. Just der dezimale Zehnte ist dem Namen nach 2³, als Zehnter steht er zwischen 9 und 11, also 3² und der Narretei.

° 3³ ist bekanntlich 27: Hendrix, Joplin, Cobain, Brian Jones, Winehouse (nomen ist omen) sind in diesem Alter gestorben, auch Paul McCartney: „28 IF“ steht auf dem Abbey-Road-Käfer, der ihn getötet hat (sein bis heute lebender Doppelgänger hat zeitweise selbst auf den Betrug hingewiesen, indem er z.B. das für einen Beatle unmögliche Stück „Ebony and Ivory“ mit (einem Doppelgänger von) Stevie Wonder verbrach). Die Quersumme ist 9 (Revolution no. 9). Ist nicht auch der Autor dieser Zeilen an einem Neunten geboren, noch dazu im Elften (nine-eleven, 9.11.1918, 1923, 1938, 1989…)?!

° Oder die Illuminaten-Zahl 23. Und der Film dazu. Ernte 23. 11.9.2001, man zähle die Zahlen nur zusammen: 23. Bzw. 2021, oder 14, Quersumme jeweils 5, fünf wie Pentagon, Pentagramm, Fünf Freunde (die vielleicht auch Illuminaten waren). Hat G.W. Bush nicht an jenem Abend den Psalm 23 vorgelesen?

° „Eine kleine Micky Maus / zog sich mal die Hose aus / zog sie wieder an / und du bist dran. / Dran bist du noch lange nicht / sag mir erst wie alt du bist / „Fünf“ / 1-2-3-4-5 / Fünf ist kein Wort und du bist fort.“ Es gibt kein deutsches Wort, dass sich auf Fünf reimt, und mit Senf, Hanf und Genf (wenn man Ortsnamen gelten lässt) überhaupt nur drei (!) andere auf -nf. Die Kinder ahnen das und sagen „fümf“. Auf neun reimt sich gar nichts. Da sieht man es doch mal wieder.

° Neben unheilvollen Zahlen gibt es böse Buchstaben. 1963 Lengede, 29 Tote; 1998 Eschede, 101 Tote; 2000 Enschede, 23 Tote; ebd. 2011 Beinah-Unglück, 1 Toter; 2007 Emsdetten, 37 Verletzte. Etwas stimmt also nicht mit dem E. Man denke an den Krieg: Mengele, „Das Ende an der Elbe“ (Thorwald), Dresden und all die Toten dort… Selbst dieser (ehedem) Elfmeter-Keeper Enke ist in Empelde beerdigt. Darum den Bredenfelder, Bregenstedter, Lengenfelder, Ebersberger, Ellerbeker, Englstetter etc. Menschen: schnell weg, nehmt den Express! Besser auch keine Berentzen-Schnäpse mehr!

° Pérec [sic!] hat das E-Unheil geahnt und einen unübersetzbaren Roman ganz ohne geschrieben, „La disparition“. Allerdings hat er dann 1972 mit „Les Revenentes“ (nur E) eine Art Konfrontationstherapie versucht. Lipogramm nennt sich das. Dito: Jacques Arago, „Voyage autour du monde sans la lettre A“. Gyles Brandreth hat „Hamlet“ ohne I, „Was ihr wollt“ ohne L und O, „Othello“ ohne O (!) und „Macbeth“ ohne A und E geschrieben. Das ist noch Hingabe. Ein bisschen manisch auch, seien wir ehrlich. Vergleichbares haben wir allenfalls bei Ernst Jandl: Ottos Mops kotzt. Ogottogott…

° 13 ist die kleinste Mirpzahl. Will sagen, andersherum kommt auch wieder eine Primzahl raus. Wieder was gelernt.

° 666, the number of the beast. Iron Maiden. Böse! Jeder (böse) Große ist wohl schon für das Tier/den Menschen hinter der Johannes-Psychose gehalten worden, ganz sicher Nero, Martin Luther, Napoleon und Hitler, ferner Aleister Crowley, der Papst und neuerdings das Internet bzw. William Gates III., MS-DOS und Windows 95. Eine Weile gab es eine gewisse Krypto-Folklore um das vermeintliche Faktum, dass die omnipräsenten Barcodes von zwei als Sechsen interpretierbaren Langstrichkombinationen eingerahmt und einer dritten unterteilt werden. Der Krug ging aber an uns vorüber, jetzt haben sie alle diese Vierecke, die man abphotographieren soll. Oder es hat sich erfüllt und das Jüngste Gericht steht uns bevor, was ja auch zum Ende des Maya-Kalenders passen würde. Auf den, wenn der Witz erlaubt sei, der von Flip, Willi oder der Spinne Thekla folgen wird.

° Zwischenbemerkung: Muss man in einer Zeitschrift vom Schlage des Lichtwolfs die Kosten von Militär, Werbung, Unterhaltung, Schönheit mit denen vergleichen, die dem „hinteren“ Drittel der Menschheit ein Leben in Würde ermöglichen würden? Sicher nicht. Heulen wir darüber. Aber erst wollen wir lachen! Das ist seit bald 50 Jahren die „Philosophie“ der französischen Ausnahme-Zeitung Charlie Hebdo, die neulich erst wieder durch die internationalen Medien ging. Nicht die Karikatur ist geschmacklos. Nur das Karikierte. Lachen wir mit den Opfern und Sonderlingen. Das ist im ganzen Tierreich zuallererst der Mensch.

(Illu: Marc Hieronimus)

° Gehirngewicht Lord Byrons: 2.230 Gramm mit 36 Jahren. Bismarck: 1.807 g / 83. Liebig: 1.350 g / 70. Gauß (78) und Schiller (46) liegen eher beim Chemiker als beim dunklen Dichter und insgesamt genau im Durchschnitt. Daraus alleine folgt noch nichts, zumal das Gewicht auch altersbedingt ist. Bedenkt man aber, dass das Durchschnittsvolumen 1,4 Liter beträgt und die ampulla recti zwei Liter Fassungsvermögen hat, erhält man eine unerwartete Lösung der Frage, wie die Reste von Kennedys Gehirn an jenem Tag in Dallas aus der Pathologie geschmuggelt worden sein könnten.

° Durchschnittliches Darmgasvolumen, das durch das Rektum ausgeschieden wird: ca. 600 ml/Tag, und zwar in 15 Einzelportionen à 40 ml (Extremwerte 200-2.000 ml). Erste Kritik: Man wollte mehr über die Messvorrichtung erfahren. Zweitens: Es fehlen just die Zahlen der großen Geister und ihrer zu einem erheblichen Teil oral ausgeschiedenen Darmgaskontingente. Drittens: Pipi-Kacka-Humor. Zugegeben. Treiben wir es auf die Spitze – relative Dichte des Stuhls: 1,09 g/cm³, außer bei Vegetariern, die mehr, aber leichter scheißen. Von wegen „Scheiße schwimmt oben“, nur die gute, vegetarische tut das! Und beide sind sie irgendwie leichter und sympathischer, jetzt nicht die Exkremente – die Fleischvermeider, und die wo nicht allzu viel auf sich selber halten.

° Nach längerer Abstinenz kann das Volumen des Ejakulats 13 ml erreichen. Da fange jetzt jede(r) selber was mit an (mögliche Stichworte sind beim Autor zu erfragen).

° Brüllrekorde Mann/Frau: 128/119,4 dB. Das ist ein Presslufthammer in einem Meter Entfernung, oder ein Rockkonzert in der ersten Reihe. Die Gehörschutzempfehlung bzw. -pflicht am Arbeitsplatz liegt bei 85/90 dB. Recht behält man dabei nicht, betäubt aber jede mögliche Kritik.

° Überdurchschnittliche Menschen sind nicht zwangsläufig unterdurchschnittlich glücklich. Jean Baptista Dos Santos (1843-?) zeichnete sich trotz oder qua seiner 2 Penisse durch animalische Leidenschaft und sexuelle Potenz aus; in Paris hatte er z.B. eine Affäre mit Blanche Dumas (3 Beine, 2 Vaginen). Oder Francesco Lentini (1889-1966), „König der Freaks“, 3 Beine, 2 Geschlechtsorgane, 4 Füße, 16 Zehen, 4 Kinder. Der im selben Jahr geborene Hitler dagegen…

° Mehr noch als die Masse bestimmt das direkte Umfeld, was „normal“ ist. Die Familie Foldi vom Stamm der Hyabiten im Arabien des 19. Jahrhunderts opferte Babys mit nur zehn Fingern und Zehen als Ergebnisse von Ehebruch – die eigenen Sprösslinge hatten je 12. In „Gattaca“, Andrew Niccols düsterer Vision von Gen-Kontrolle und Konformismus, gibt es ein 12-fingriges Klaviergenie, das trotz seiner Mutation sehr anerkannt ist.

° Die Superhelden zeigen: In aller Regel ist weniger vor allem weniger, mehr ist nur mehr, und je mehr desto besser. Die Mutanten unter ihnen haben mit Ausgrenzung zu kämpfen, allen voran die X-Men, obwohl sie wahre Wunder vollbringen können und super sexy aussehen. So ist das eben im Faschismus, dem dieses Genre huldigt. Auf den unansehnlichen Mongo mit Zauberkräften können wir lange warten. Und selbst wenn er kommt, wird er, ganz wie die Paralympiker aus London, doch auch nur die Regel bestätigen: Jeder kann es zu Anerkennung bringen, wenn er nur in seiner von uns anerkannten Disziplin sämtliche anderen aussticht.

° Das haben wir noch nicht gewusst: „Asiatische Menschentypen produzieren trocken-krümeliges, weiße und schwarze Menschen feucht-klebriges Ohrenschmalz“. Trocken-krümeliger Anteil des Ohrenschmalzes bei Nordchinesen: 98%, Japaner 92%, Südchinesen 86%, Deutsche 18%, schwarze Amerikaner: 7%.

° Es mangelt nicht an fatalen Fehleinschätzungen der eigenen Fähigkeiten und Qualitäten. Der Darwin-Award dokumentiert und prämiert zynisch die „schönsten“ Fälle wie den jenes fliehenden Bankräubers, der hinter sich schießen will und sich dabei selbst erledigt. Andere sind einfach tragisch. Hans Steininger war der Mann mit dem längsten Bart der Welt; er trat 1567 auf der Treppe zum Brünner Ratssaal auf denselben und stürzte in den Tod. Tina Christopherson, (1948-1977), IQ 189, wollte nicht wie ihre Mutter an Magenkrebs sterben, aß oft nichts, soff aber 15 Liter Wasser am Tag. Sie starb an Nierenversagen und Wasser in der Lunge, „inneres Ertrinken“ oder „Wasservergiftung“ genannt.

° Deutscher Alkoholkonsum pro Einwohner und Jahr in Liter: 1950: 3,2, 1960: 7,8, seit den Siebzigern dann zwischen 10 und 13, wobei nur die Tschechen und Iren mehr Bier saufen, bei Wein und Schnaps ist Deutschland gerade mal auf Platz 14. Im Alk insgesamt ist Portugal Spitzenreiter, gefolgt von Luxemburg, schon beim Wein Nummer 4, Bier Nummer 6, dann kommt endlich Frankreich, und die Teutonen verpassen knapp das Treppchen mit dem undankbaren vierten Rang. Beim Sprit ist Russland vorn, wen wundert es. Überhaupt wundert hier kaum etwas. Russlands Platz 20 im Gesamt-Classement vielleicht, aber wer weiß, was die noch an ungezähltem Selbstgebrannten süffeln; angeblich hat man in den zentralasiatischen Weiten vor Ankunft des Bölkstoffs auch Fliegenpilze verzehrt, der Brauch könnte sich gehalten haben. Bei Luxemburg wollte man die Champagnerwerte wissen, und ob nicht in Wirklichkeit die Deutschen mit ihren Geldkoffern hier Entwicklungs- und Schützenhilfe leisten: die (Geld-) Schlepperei macht durstig. Bei der Nüchternheit unserer Landsmannen in den Fünfzigern denkt man an die Fuselnot der Nachkriegszeit, dem die Schwarzhändler, wenn man Siegfried Lenz glauben darf, gelegentlich mit zweckentfremdeten Reserven aus der Pathologie abgeholfen haben. Wer brauchte die ollen Gliedmaßen und Föten in den großen Gläsern? Den guten Alkohol dagegen…

° Von 70 Jahren frisst ein Mensch unseres Schlages 6. Dabei verdrückt er 105.120 Mahlzeiten, 50.000 Liter Getränke, 30 t feste Nahrung. Weiterer Zeitvertreib: 3 Monate Arzt, 3 Monate Kneipe, 9 Monate mit den Kindern spielen. Das variiert nach Erdkreis, Vielfraß, Alter usw. Immer niedrig, nun streng monoton gegen 0 tendierend dürfte die Denkzeit sein, sofern sie nicht mit Spazieren und Stuhlgang zusammenfällt. Vor, hinter, unter Bildschirmen ist der Mensch fast immer, sind doch auch Werbewände effiziente Wälle gegen keimendes Bewusstsein, ganz wie die Kultur mit ihren Büchern und dem ganzen Quatsch, nenne man ihn „Hegemonie“ (Gramsci), „Spektakel“ (Debord) oder anders. Lässt sich in den modernen Eremitenklausen Psychiatrie und Knast in Ruhe denken? Auch nicht mehr. Zurück zur Natur also.

° Maximale Belastung, die jemals ein Haar ausgehalten hat: 261g, und man hat Tausende davon. An den Haaren lässt sich also vieles herbeiziehen.

° Anzahl der beim Stirnrunzeln beteiligten Muskeln: 43, beim Lachen: 15. Der „Pursuit of Happiness“ passt also auch physiologisch zu den lässigen Amerikanern, die wir heute beinah alle sind.

° 1080, geschätzte Anzahl der Elementarteilchen im Universum (das neulich erst wieder um ein paar 109 Jahre gealtert ist). Weiterzählen geht trotzdem. Die Zentillion ist 10100, also eine 101stellige Zahl – für den Fall, dass es auch Paralleluniversen gibt bzw. die Frage mal bei diesem TV-Spiel um 106 Euro kommt. Ja, falls wir uns mal wieder zu wichtig halten.

° Aber, und hier finde der Quatsch sein Ende: Kein Mensch ist eine Nummer, ein Posten, ein Spekulationsobjekt. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Große Worte in einem wenig ernst genommenen Text.

 

Für die Richtigkeit der (Ausgangs-)Daten verbürgen sich:

  • Konrad Kunsch/Steffen Kunsch, Der Mensch in Zahlen. Heidelberg: Spektrum 2000.
  • David Wallechinsky/Amy Wallace, Das große Buch der Listen. Wissenswertes, Kurioses und Überflüssiges. Berlin: Liszt/Ullstein 2005.

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