Das Dezimalsystem – Segen oder Fluch?

Frank Schirrmacher sagt, Rechnen zur Basis 10 mache blöd im Kopf. Der frühadoptierte Dezimalrechner Sascha Lobo dagegen weiß, dass Leute, die nicht nach einer neun am Ende mit einer Ziffer mehr weitermachen wollen, megaout sind. War früher, als wir noch mit Keulen gerechnet haben (wer gewinnt, hat Recht), alles besser, oder gibt es wirklich nur 10 Arten von Menschen: Solche, die binär verstehen, und die Digitalanalphabeten?

So ward gefragt und acht ebenso zahlfreudige wie zahlungsunfähige Autoren gaben ihren Senf dazu ab.

 

Peinlich kleinlich

„Das indische Zählsystem war die erfolgreichste intellektuelle Neuerung, die je auf unserem Planeten gemacht wurde“, findet John D. Barrow, dabei ist dessen Basis ein Zugeständnis an unsere kognitiven Fähigkeiten. Die Mengenwahrnehmung geht kaum über 4 hinaus, ohne dass wir uns die Menge bewusst machen, d.h. konzentriert abzählen müssen. Mengen kleiner 4 erfassen wir intuitiv, möglicherweise wegen der vier Finger an einer Hand, jedenfalls sind Zahlwörter für 1 bis 4 die linguistische Regel. Das primitivste Zählen kennt „eins, Paar, viele“. Manches kündet noch von dieser Urmathematik, wenn die Worte für „drei“ und „viel“ (frz. trans, très, trois) den gleichen Ursprung haben oder in römischen Zahlen höchstens drei gleiche Ziffern aufeinander folgen.

Ist die Basis zu klein (Binärsystem), werden Zahlen schnell unübersichtlich. Ist sie zu groß, muss man sich zu viele Ziffern merken, wie im babylonischen Sexagesimalsystem, das – von Griechen importiert – seine einstige Bedeutung noch im Französischen verrät, das bis 60 eigene Zahlwörter hat.

Überhaupt liegen die historischen Spuren weniger in den Ziffern als in ihren Namen. Die Ähnlichkeit der Zahlwörter in indoeuropäischen Sprachen verrät, dass alle das Dezimalsystem zumindest kannten. Sein Ursprung liegt kaum in den zehn Fingern (den digiti (lat.), aus denen digits, engl. „Ziffern“ wurden), obwohl die das wichtigste Hilfsmittel sind. Schließlich ließe sich durch Abzählen der Fingerglieder auch ein Dutzendsystem aufbauen, bei dem man noch eine Hand und zwei Daumen frei hat. Die „Dozenal Societies“ werben unermüdlich für die Einführung des Duodezimalsystems (www.dozenal.org), dessen Basis die ersten sechs Zahlen als Teiler hat statt nur die 1, 2 und 5 wie der lausige Zufall 10.

– Georg Frost

 

Es gibt Fragen, die sind gar keine.

„Das“ Dezimalsystem – abgesehen von der Platonischen Systematik, d.i. als IDEE existierte es weit früher als die FORMULIERUNG – ist eine der Welt der Zahlen hinterlegte Ordnungssystematik, die man nun „so“ oder „so“ realisieren mag … –

WICHTIG ist: – „going decimal!“ – als ewiglicher Todesursyndromsschrecken des Angelsachsen by nature – bedeutete ursprünglich – im Heimatland des handgreiflich umgesetzten POLITISCHEN WILLENS – „wir schneiden die alten Zöpfe ab!“ – womit gemeint war, man schneidet den Kopf unter den Zöpfen ab – was Verfasser weit weniger schrecklich vorkommt als dem Mainstream der teutschen VOLKSDÖLPEL –

Die der Französischen Revolution folgenden politischen Körperschaften waren ja nun sehr entschiedene Befürworter des RATIONALISMUS – deswegen alles „decimal“ – Maße, Zahlen, Gewichte usf. Dumm – Stunden, Tag, Woche, Monate – JAHRE! – Immer werden sie nicht „decimalen“ sondern ASTRONOMISCHEN VORGABEN folgen – DIES wird für alle Zeit den Dezimalen Gedanken VERHÖHNEN!

Aber schon hier & heute und für alle Zeiten können wir uns ganz entschieden vernünftig – d.i. DEZIMAL verhalten – wenn wir die alten Köpfe unter den undezimalen Zöpfen abschneiden –

GO! CAT! CUT! CUT CUT!

Gimme „TEN“ to hang – „TEN“!

(Brian Aldiss: „Goin’ decimal“)

– Bdolf

 

Unter Zehn

Zehnfingerlogik? Es reicht, wie die Computermenschen versichern, auch die Zweifingerlogik, jedenfalls um den Insiderwitz zu verstehen: „Man kann die Menschheit in 10 Typen einteilen: Binärzahlenkenner und den Rest.“ Zum menschlichen Maß, sagt jener Rest, gehöre das Dezimalsystem. Das ist aber anzuzweifeln. Die Siebentagewoche zum Beispiel zeigt der Menschheit seit Anbeginn die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Beim französischen und später sowjetischen Revolutionskalender, der eine Zehntagewoche vorsah, fand das Volk, dass dabei der Feiertagsrhythmus nicht stimmt. Sieben Tage hat die Woche, keinen mehr. Auch die Stundeneinteilung für den Tag mit zehn Stunden zu je hundert Minuten, so die Logik der Dezimalzeit, hat sich als revolutionäre Errungenschaft nicht gehalten. Dezimaluhren waren und sind wohl zu teuer. Heutzutage hat jeder eine Digitaluhr. Da weiß man, dass sich mit Null und Eins schalten und walten lässt. Aber mit Drei, was ja nicht viel mehr ist, hat man alle guten Dinge auf einmal im Blick. Trinität. Alles. Das Gegenteil davon ist Nichts. Das Gegenteil von Nichts ist Etwas. Siehe, man denkt hier dreidimensional. Zehndimensional wäre zu arrogant. Also, für die Zweierlogik braucht man Schaltapparaturen; für die Zehnerlogik muss man an zwei Händen abzählen und hat zu wenige Feiertage. Aber sieben – sieben kann man sich an und für sich vorstellen und drei kann man hell und scharf erfassen. Dreimal drei auch. Das ist neun, eine dreifache Triade, die potenzierte Vollendung. Und das klar unter der Zehn.

– Wolfgang Schröder

 

Brave New World

Das Dezimalsystem ist – wie die gesamte Mathematik auch – eine Illusion, eine bloße Zahlenspielerei, ein Taschenspielertrick, mit dem der Homo Sapiens überspielen will, daß er, was Leben betrifft, ein absoluter Dilettant ist. Der Homo Sapiens ist per se ein NERD, also ein Not Emotionally Responding Dude, ein emotionales Wrack, und als solches braucht er den Zahlenschmarrn, um sich wenigstens ein bißchen von seiner Idiotie ablenken zu können. Fragt sich eigentlich nur, warum er nicht auch die Zeit in das Dezimalsystem gewürgt hat – eine Minute hat 100 Sekunden, eine Stunde hat 100 Minuten, und ein Tag bestünde aus 10 solchen Stunden, radikal, vereinfachend, wäre das nicht irre? Um die Jahreszeiten und die Natur müssen wir uns dabei nicht kümmern, das spielt ohnehin schon längst keine Rolle mehr. Da wir in der Mathematik schon zu tief drin stecken, als daß wir den Entzug noch schafften, würde auch die Dezimalisierung der Zeit kaum mehr ins Gewicht fallen. Dann wäre das menschliche Gehirn endgültig auf das Dezimalsystem geeicht. Ein Meter hat hundert Zentimeter, ein Kilogramm hat tausend Gramm, ein Euro hat hundert Cent, ein Dezimaljahr hat 10 Monate. Ein Mensch hat 1000 Ideen, mehr dürfen es nicht sein, sonst landet er in der Psychiatrie. Anfangs gibt es tatsächlich noch Menschen mit 1236 oder 2493 Ideen, auch solche, die immer noch glauben, das Jahr habe 12 Monate und ein Yard habe 36 Inches, aber die werden schnell vergast. Das einzige Problem bleibt das Alphabet. Es kann in unserer dezimalisierten Welt doch nicht angehen, daß es 26 Buchstaben hat.

– Ní Gudix

 

Zehn gewinnt

1. Die Zehnerreihe ist viel einfacher als zum Beispiel die Siebener.

2. „Gott (1), der die Welt (2 bis 9) aus dem Nichts (0) geschaffen hat, ist wieder zu sich selbst zurückgekehrt.“ (Helmut Werner, Lexikon der Numerologie und Zahlenmystik)

3. Es gibt zehn Gebote, zehn Sefirot (so was jüdisch-Mystisches) und zehn kleine Negerlein.

4. Schon mal Yards in Gallonen umgerechnet und durch Knoten geteilt?

5. Aposteln, Plagen, Todsünden. Sind die Mainzelmännchen nicht auch zehn? Anton, Edi,…

6. Alle zehn Jahre bringt der Lichtwolf einen Jubelband heraus.

|7. Die Fußfinger und ein Buddhismus sind nach der Zehn benannt.

8. Im Tarot ist die Zehn das Rad. Und das ist viel umweltfreundlicher als das Auto.

9. Man schaue sich nur an, was rechts und links der Zehn los ist: Nine-eleven, Neunter Elfter…

10. Spätestens um zehn sind die Kinder im Bett. Keine Widerrede.

– Marc Hieronimus

 

Mit allem rechnen

Nun, diese Frage stellt sich für mich glücklicherweise nicht mehr, sie ist quasi für mich nicht „systemrelevant“, seit ich den schlimmsten Schreck meines Lebens überwunden und vor allem überlebt habe. Pythagoras habe ihn selig… Herr Schreck war mein erster Gymnasial-Mathelehrer und ich zog daraus nicht nur den Schluss, dass an „nomen est omen“ echt etwas dran ist, sondern mich auch für immer von Rechensystemen jeglicher Art zurück. Was sich heute auszahlt. Heute, wo mit dem Nobelpreis belohnt wurde, dass nach und nach jede vermeintliche Konstante auf wundersame Weise ins Gegenteil verdreht wird durch virtuose Neuberechnungen, dass jedes Zahlen-, Zahlungs-, bzw. „Moralsystem“ ignoriert, ausgehebelt oder verworfen und nur noch mit Milliarden rumgeworfen wird. So viele Nullen, nicht nur in der Politik. Ich kann dazu nur eines sagen: in diesen Zeiten müssen wir wohl leider sowieso mit allem rechnen, vor allem, mit was wir nie gerechnet hätten, mit dem Unberechenbaren.

– Tina Wirtz

 

Milchmädchenrechnungen

Gegen acht Uhr in der Frühe, nach durchgemachter Nacht, am Bahnhof von Feldkirch einen nicht ganz billigen Pappbecherkaffee einnehmend, an jenem Ort also, an dem sich 1915 das Schicksal des Ulysses entschied, wenn wir Joyce glauben wollen, frage ich mich, wie es wohl ausginge, wenn heute, nach über hundertundacht Jahren, die alte Frau mit der Kanne wieder die Stufen des Martello Towers herauf käme. Müsste Haines erneut in aller Scheinheiligkeit nach der Rechnung fragen? Täte sie auch heut addieren und subtrahieren, in der Art, wie es geschrieben steht? „Nun, das wären siebenmal morgens eine Pinte zu zwo Pence macht siebenmal zwo macht einen Schilling und zwo und dann jetzt dreimal morgens ein Quart zu vier Pence macht drei Quart macht einen Schilling und einen und zwo macht zwo und zwo, Sir.“ Könnten vier Farthings wohl noch einmal einem Penny entsprechen, sechs Pence einem Reul, zwölf Pence einem Schilling, zwei Schillinge einem Florin, zwei Schillinge und sechs Pence einer halben Krone, fünf Schillinge also einer ganzen Krone, zehn Schillinge einem halben Sovereign und zwanzig Schillinge endlich einem ganzen? Wäre das Universum damit übersichtlicher, berechenbarer und vielleicht sogar im Gleichgewicht? Fände Buck Mulligan in seiner Hosentasche wie einst ein prädezimales Wunder und trudelte es mit den altbekannten Worten „Verlang nicht mehr von mir, mein Schatz. Denn was ich geben kann, das gab ich hin.“ über den Tisch? – Nein. Heute ließe er kühl einen Schein rüberwachsen, bliebe dabei abermals einen kleinen Betrag schuldig: „Hier haste zehn Euro. Und jetzt schleich di’!“

– Michael Helming

 

die kategorien-leere. oder: eins ist

gleich null. dualisieren angesagt!

ich ging ins büro. sie saß schon da. ein wenig verschwitzt vielleicht, durchwacht aber und bedachte mich mit einem strengen blick. „ES IST ALLES EINS“ meinte sie und sprang auf. „…UND NULL!!!“ setzte sie hinzu und fiel wieder hin.

dem ersten teil war ich gedanklich noch gefolgt. dann aber stellte sich mir die frage: „wie meinen sie das?“

an der tafel kam sie zur sache: „ALLE ZAHLEN SIND EINS. ABER MEIN MANN…“

ich erschrak. was war geschehen? sie habe einen beweis, beteuerte sie und schrieb ihn fest:

wir nehmen an: a=1 und b=1

daher: a=b

logisch. „UND DANN MULTIPLIZIERT MAN a DAZU:“

daher: a*a = a*b

„aha“, meinte ich und ging einen schritt zurück.

„UND DANN MACHT MAN MINUS b*b“

daher: a*a – b*b = a*b – b*b

logisch.

„BINOMISCHE FORMEL ZUR LINKEN!! ZUR RECHTEN DAS b HERAUSHEBEN!!“

daher: (a-b)*(a+b) = b*(a-b)

„heureka.“

„UND JETZT „(a-b)“ WEGKÜRZEN“

mit leichtigkeit zog sie die kreide wie eine klinge über das grün der vernunft:

a+b = b

„that’s it“, sagte ich eine stunde später und verstand sie sofort.

egal was b auch immer ist: es kann niemals gleich a+b sein. alle zahlen sind daher gleich.

wer also braucht zehn. 1 und 0 reichen.

weg mit dem fucking-zehnersystem, her mit der dualität.

mensch: weg. computer: her.

„aber so einfach ist es nicht“, meinte mein hinterkopf, stolz, ein wenig ahnung von philosophie der mathematik zu haben.

„MEIN GOTT SAGT ABER SCHON!“ meinte der ihre und verabschiedete sich erbost.

auf youtube fand ich dann die wahrheit: sie hatte nicht recht. mathematisch gesehen.

moralisch aber war sie aber auf dem weg der feministischen ökumene, was mir irgendwie gut erschien.

– Wolfgang F. Berger


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