Kurz & Klein 40

von Bdolf (bd), Ní Gudix (ng), Michael Helming (mh), Marc Hieronimus (hi), IPuP-Press (ipup) und Timotheus Schneidegger (ts)

 

Beklemmender Blick in die Vergangenheit

(1) Killroys neuer Roman hat es in sich. Anfangs dachte ich, die Geschichte sei fiktiv und ein männlicher Autor habe sich dazu verstiegen, ins lyrische Ich einer Frau zu schlüpfen und dazu noch aus der Vergangenheit zu erzählen (was selten gutgeht). Aber der Autor ist nur der Herausgeber: Das Buch besteht aus authentischen Briefen und Tagebuchaufzeichnungen, die die Oma hinterlassen hat, aus der Zeit des III. Reiches und danach. Keine Schwarz-weiß-Malerei, keine Opfer-Täter-Schablonisierungen, wie dies ja oft der Fall ist, wenn Nachgeborene über die Hitlerzeit schreiben wollen. Nein, dies ist wirklich ein ehrliches, beklemmendes Bild mit viel Grau mitten aus den dunklen Jahren. Sehr bewegend, man kann das Buch kaum weglegen. Danke Schönauer. (ng)

(2) Das Buch von F. Salewski möge als Aufhänger dienen, auf die Aktivitäten von Killroy Media hinzuweisen – ein rühriger kleiner Verlag, aus uralten Social-Beat-Tagen überlebend – immer für überraschende hm Ausgrabungen gut – leider ohne das notwendige PR-Potential unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit – wegen des Themas des vorliegenden Buches ändert es sich gerade etwas – eine Liebesgeschichte vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges. Der Autor bedient sich der Brief- und Tagebuchform, um die Geschichte seiner Hauptperson – Eva – zu erzählen, das macht er gut und packend. Und das ist denn etwas, worauf die bürgerlichen Medien anspringen – im Gegensatz zu den wagemutigeren Titeln … Seufzzzzzz –

Killroy Media hat keinen Webauftritt, daher: Lehenstraße 33; 71679 Asperg; ISBN 978-3-931140-17-5 (bd)

Frank Salewski: „Heimgekehrt – wäre er doch gefallen“, Killroy Media Asperg 2012.

 

Adorno für Gymnasiasten

Wer diesen Herrn Adorno aus Wikipedia kennt, hat auf jeder der 94 Seiten DIN A4 von Ansgar Lorenz und Reiner Ruffing den Glücksmoment des Besserwissers, da jeder Gedanke, jede Begegnung und jedes Stichwort auf einer halben Seite in 12 pt Arial abgehandelt wird. Aber der Band aus der Reihe „Philosophie für Einsteiger“ will ja Neulinge an TWA hin- und einführen. Fraglich, ob die hauptsächlich aus zitierten Bonmots bestehenden Absätze dafür reichen, mögen sie auch noch so sehr auf eine Weise illustriert sein, die den Lichtwolf-Herausgeber neidisch macht. Form und Gehalt erinnern an Materialienhefte für die Oberstufe, allerdings fehlen die Aufgabenstellungen. Jenseits des LKs bietet die Lektüre der Minima Moralia den zuverlässigeren, unbebilderten Zugang zu Stil und Klima von Adornos Denken. (ts)

Ansgar Lorenz & Reiner Ruffing: Philosophie für Einsteiger – Theodor W. Adorno. Wilhelm Fink Verlag 2012.

 

Beziehungsweise

Dieses Buch bietet einen schönen, weil nicht bewertenden Zugang zum Thema Beziehung überhaupt. Ziel des Buches ist nicht, wie sonst üblich bei Veröffentlichungen mit Polyamorie im Titel, die „freie Liebe für alle“ durchzusetzen. Der Ansatz des Buches ist es, ausgehend von konkreten Problemen, die Menschen innerhalb von Beziehungen erleben (und wahrscheinlich unzufrieden stimmen), eine philosophische Auseinandersetzung, die aber eben immer wieder praktische Anbindung findet, anzuregen. Es handelt sich jedoch um philosophische Praxis, nicht praktische Philosophie, so dass dem eher begriffsorientierten Leser abgeraten sei. Wer jedoch unzufrieden mit seiner Beziehung ist, dem kann dieses Buch doch wärmstens empfohlen werden. (ipup)

Imre Hoffmann & Dominique Zimmermann: Die andere Beziehung. Polyamorie und Philosophische Praxis. Schmetterling Verlag, 2012.

 

Anti-Kriegs-Klassiker nach Zahlen

Wenn Soldat Renn nicht im Bomben- trichter oder Schützengraben hockt, verwaltet er die Kompaniebücherei. Dort kommt mit einer neuen Lieferung auch eine Geschichte der Philosophie an, in der von der Zahl die Rede ist. „Wie kann denn die Zahl der Urstoff sein, aus dem man schließlich Häuser und Gedanken baut?“ Er wühlt in sich, wie er berichtet, müht sich, doch der Sinn, den er in manchen philosophischen Sätzen findet, ist nicht der, den er sucht. Dem Leser muss zwangsläufig jene seltsame Akribie auffallen, mit der unser Soldat im Chaos Ordnung hält, die Dinge gleichsam erzählt wie durchzählt. Tatsächlich wird in diesem Buch fast alles offen oder zwischen den Zeilen beziffert: Verbandpäckchen, Brote, Flugzeuge, Granaten, Patronen, die Entfernung des Feindes in Schritten oder Metern. – Und Tote. (mh)

Ludwig Renn: Krieg (antiquarisch oft schon für drei, vier Euro zu haben)

 

Alles klar

Der Fachmann in Ägyptologie, Astronomie und -logie, Antigravitations-Antrieb, Quantenphysik, Ur-, Früh- und anderer Geschichte klärt die großen Rätsel der Menschheit und des Kosmos so einfach und zugleich zahlenreich und faktisch, dass man ihm beinah glauben muss. Die Pyramidenbauer haben uns in ihren Bauwerken, im Tarot und in der Erfindung der Sternzeichen nämlich eine Warnung hinterlassen. Der Urknall ist Quatsch, vielmehr bumst es regelmäßig im Herzen unserer Galaxie, und just dorthin schießt der Schütze, piekst der Skorpion, wenn man die Zeichen nur in die richtige Reihenfolge bringt. Die Folgen sind ein neuer, augenförmiger Stern (Dollarnote!), Eiszeiten, gigantische Tauwellen (Sintflut) und erhebliche Einnahmen auf Seiten des unbestritten spannenden und umfassend belesenen Autors. (hi)

Paul A. Laviolette, Earth under Fire. Humanity’s Survival of the Ice Age. Bear & Company 1997. Alles weitere unter www.etheric.com

 

Nichts klar

In einer seiner frühen Textsammlungen macht sich Woody Allen über Philo-Student(inn)en lustig, die Kant-Passagen mit „sehr richtig“ kommentieren. Wer hat heute auch nur die sprachlichen Voraussetzungen, Scholems Arbeiten zur jüdischen Mystik zu kommentieren, zumal sich nach (und vor!) ihm kein vergleichbar Großer an das Thema herangewagt hat?! Was den also zwangsläufig unbeleckten Konsumenten stören darf, ist der wohl dem wissenschaftlichen Mystik-Tabu geschuldete Mangel an Verdeutlichung, Illustration: Was genau haben all die illustren Gestalten wie Isaak Luria oder der später zum Islam konvertierte „kabbalistische Messias“ Sabbatai Zwi in den heiligen Texten eigentlich entdeckt bzw. in sie hineingelesen? Wann ist denn nun das Ende der Welt? Und wie bastelt man diesen verdammten Golem?! (hi)

Gershom Scholem, Zur Kabbala und ihrer Symbolik. Derselbe: Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen. Suhrkamp 1973 bzw. 1980.

 

Philosophie heißt Mühlenbekämpfen

Hinter dem wohl abscheulichsten Cover der Buchgeschichte verbirgt sich die Umsetzung der charmanten Idee, den Herrn von der Mancha als Vertreter der Philosophie und seinen lebenstüchtigen Knappen Sancho Pansa als Personfikation der von ihrer Mutter emanzipierten Wissenschaft bis in unsere Gegenwart hinein die Fragen des Seins diskutieren zu lassen. Allerdings trägt die Idee kaum einen auf 300 billig gestaltete Seiten ausgewalzten Grundlagenkurs zum neuen Urprinzip Rückkopplung/Komplexität, in dem sich die Dialogpartner Wikipedia-Exzerpte um die Ohren hauen. (Darunter aber auch so schöne Einträge wie „Wurstkatastrophe“.) Unerfindlicherweise verschlägt es die dialogisierenden Unsterblichen auch nach Ostfriesland, wo Don Quijote die dortige Windradplage unerwähnt und unbekämpft lässt. (ts)

Jürgen Beetz: Eine phantastische Reise durch Wissenschaft und Philosophie. Don Quijote und Sancho Pansa im Gespräch. Alibri Verlag 2012.

 

Solider Wegweiser

Der kleine Einführungsband zur linken Philosophie widmet sich drei Denkern: Antonio Negri, Judith Butler und Slavoj Žižek. Hierbei nehmen Erzählungen über das jeweilige politische Engagement einen enorm großen Raum ein. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, dass die Autoren zugleich die Frage nach der politischen Wirksamkeit von Theorie interessiert. Dies ist eine wichtige Frage, jedoch ist es genauso wichtig zu fragen, ob sich linke Theorie über die Praxis ihrer Vertreter bestimmen lassen sollte. Jedoch soll an dieser Stelle keinesfalls verschwiegen werden, dass die Darstellung der Theorien mindestens die Hälfte des Buches einnimmt, dabei sind solide Einführungstexte herausgekommen, welche ansonsten oft schwer zu finden sind. (ipup)

Bart van der Stehen / Jasper Lukkezen / Leendert van Hoogenhuijze (Hg.): Linke Philosophie heute. Eine Einführung zu Judith Butler, Antonio Negri und Slavoj Žižek. Stuttgart: Schmetterling Verlag, 2012.

 

UntergRundschau 40

Auch andere können was

Heft 22 der Zeitschrift „Schreibkraft“ aus Graz: schreibkraft@mur.at

„Spart beim Klopapier und das Ergebnis liegt auf der Hand“, kalauerten die Linken, als sie zu Spontis wurden. Investiert in Papier, wollte man ihnen heute entgegenrufen, die Themen liegen auf der Hand! Zum Beispiel Zahlen. Die schöne, in Buchformat daherkommende „Schreibkraft“ aus dem an wunderbaren off-Zeitschriften nicht armen Österreich hat dem Zahlenthema schon im Winter 2011/12 eine Nummer [sic!] gewidmet, und alle können froh darüber sein: der Lichtwolf-Autor, dass er nicht alles selber machen muss, die LW-Leserin, dass sie auch außerhalb ihres Stammblattes mal etwas Geistreiches zu lesen bekommt, und die Welt an sich, weil sie wieder schöner und sogar ein Fünkchen heller geworden ist, und zwar in puncto Jahreszahlen, Menschen, Lotto, Porsche, Sex, Elektrotechnik, Schwäne, Urknall. (hi)

 

Prost, Mieze, bis morgen!

www.dum.at

DUM Nr. 63 hat „Verkatert“ als Thema und enttäuscht mich nur zu einem Drittel, enthält das Heftchen (40 schöne Seiten) zwar keine Katzen, aber Suff sowie ein Interview mit der herzallerliebsten Vea Kaiser (23), die – das Feuilleton hat’s wohl begriffen – nach ihrem Romandebut „Blasmusikpop“ von Epitheta wie „Fräuleinwunder“ verschont blieb, weshalb sie hier als „Lana del Rey der Literaturwelt“ apostrophiert sei.

Kollege Berger „drank a cup of Schnaps“, Martin Sieber schreibt eine nüchterne Phänomenologie des Saufkumpans, Sabrina Schauer eine übers Abstürzen und Vögeln, wie überhaupt konzentrierte Notizen von Rauschzuständen zu lesen sind, in denen es um nichts so wenig wie Dokumentation geht. Das Beste an DUM aber bleiben die Kurzbios der Autoren („Mineraloge und Hotelportier“). (ts)

 

Jubiläumsband „30 Jahre Zeltmusikfestival“

www.zmf.de

Diese bemerkenswerte Zeitschrift entstand im schönen Freiburg („Bobbeleloch“) –

Und zu den markantesten Erscheinungen der Dreisamnekropole gehört das alljährliche „Zeltmusikfestival“. Da werden unmotiviert musikalische Ereignisse meistens wenig wagemutiger Couleur auf die Grüne Wiese in Zelte verlegt – Auswahl meistens so, dass Lehrkräfte alles Schulgattungen die Künstler ihrer Jugend noch einmal erleben können – entsprechend fühlt sich das an.

Das kleine Bändchen ist noch originalverschweißt, so wird es weitergeschenkt.

Und der Inhalt von mir als himmelhohe Nicht-Lehrkraft ignoriert. Einfach so. (bd)


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