Links der Woche, rechts der Welt 48/20

Komische Sachen

Die FAZ gratuliert dem famosen Regisseur Terry Gilliam zum 80. Geburtstag, indem sie erklärt, warum er so gute Filme macht. Zum Großspaß der Mathematik gehört das Rechnen mit null. Florian Freistetter beschäftigt sich in seiner Spektrum-Kolumne mit 00 (null hoch null) – einer überraschend kniffligen Rechenaufgabe.

„Motiviertes Denken“ klingt erstmal gut, öffnet kognitiven Fehlschlüssen aber Tür und Tor – und ist vor allem unter dänischen Kommunalpolitikern verbreitet, wie in der SZ steht. So einfach ist das (nicht): Jérôme Brillaud betrachtet in seinem bei Spektrum besprochenen Buch die Vereinfachung als zweischneidiges Schwert.

 

Demokratieproblem

Liberalismus ist nicht einfach schön und gut, sondern stets in möglichst selbstkritischer Arbeit, wie Sebastian Gierke in der SZ überlegt: Ein Problem ist die Freiheit, die weder uneingeschränkt noch ohne Angst zu haben ist – und vor allem den Privilegierten nützt. Hülfe ein Kommunitarismus, wie ihn Michael Sandel prominent vertritt? Sein Buch wider Leistungsprinzip und Meritokratie wird ebenfalls in der SZ rezensiert.

Wahnsinn oder Methode, der Teil oder das Ganze? Der Anglist Hans-Dieter Gelfert versucht in der NZZ den Brexit mit einer Geistesgeschichte des Empires und seines Empirismus zu erklären. Im ZEIT-Interview erklärt der Verfassungsrechtler Jedediah Purdy, warum die Institutionen der USA für eine Pandemie ebenso schlecht schlecht gerüstet sind wie für den „sozialen Sadismus“ der Republikaner und ein grundsätzliches Demokratieproblem haben. John Dewey prägte den Begriff von der „Demokratie als Lebensform“ und die taz erinnert daran, warum es nicht unbedingt ein gutes Zeichen ist, dass sich die nächste US-Vizepräsidentin an dem Pragmatiker orientiert.

Auch Brasilien hat Problem mit Rechtspopulismus und Rassismus. Die taz unterhält sich mit Silvio Almeida über die brasilianischen Eigentümlichkeiten bei diesen Themen. Im Interview mit der FR erklärt Wilhelm Heitmeyer, warum es sperrige Begriffe wie „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“, „rechte Bedrohungsallianzen“ und „autoritärer Nationalradikalismus“ braucht, um demokratiefeindliche Tendenzen angemessen erfassen zu können.

Sind Terroristen, die sich im Netz radikalisiert haben, wirklich „Einzeltäter“? Maik Fielitz und Holger Marcks beschäftigen sich damit, wie in den sozialen Medien Opfer- und Notwehrnarrative eine ungeahnte Wucht entfalten, und die FR stellt ihr Buch vor.

 

Zusammen leben

Im Lockdown braucht es eigentlich keine neurologischen Isolationsexperimente, um das zur Zeit nach Geselligkeit hungernde Wesen des Menschen zu ergründen, aber Spektrum hat trotzdem eines im Angebot. Ferdinand von Schirach theatralische Auseinandersetzung mit dem Thema Sterbehilfe wurde in der ARD mitsamt Zuschauerabstimmung gezeigt und die FR ist schwer begeistert.

Morgen stimmen die Schweizer darüber ab, ob Konzerne für Menschenrechtsverstöße und Umweltverschmutzung zur juristischen Verantwortung gezogen werden können, wie die taz meldet. Die FAZ stellt eine Studie vor, die sich mit Polarisierung, politischem Sektierertum und deren (schwieriger) Überwindung beschäftigt hat. Außerdem unterhält sich die FAZ mit Bundesbildungsministerin Anja Karliczek über Not und Notwendigkeit der Wissenschaftskommunikation.

(Photo: Gennaro_Leonardi, pixabay.com, CC0)

Im DLF kommt heute die Lange Nacht über Hannah Arendt unter dem Titel „Denken ohne Geländer“. Eine Anthologie versammelt Texte der feministischen Zeitschrift „Die Schwarze Botin“, die Ende der 1970er für überschaubare Aufmerksamkeit sorgte, und die SZ staunt über die Vielfalt der Themen und der Aktualitäten. Walter Hollstein beklagt bei Telepolis die allgemeine Geringschätzung von Männlichkeit, die auch damit zusammenhängt, dass sich der erfindungsreiche Mann überflüssig und krank gemacht hat – und Gender Studies keine Wissenschaft sind. Und warum hat der Ideal-Standard-Mann so eine Furcht vor körperlicher Nähe? Für den Freitag sucht Fikri Anıl Altıntaş in der eigenen Biographie, im Fußball und bei Frauen, die sich darüber auch nur wundern können, nach Antworten.

Jan Philipp Reemtsma hat einschlägige Gewalterfahrungen und hat einen neuen Essayband vorgelegt, der sich laut SZ-Besprechung sowohl Herder als auch der Gewalt widmet, die ein attraktiver blinder Fleck der Zivilisation ist. In einem Gesprächsband, den der Freitag vorstellt, entwerfen Naika Faroutan und Jana Hensel eine „Gesellschaft der Anderen“, in der Ostdeutsche und Migranten nicht mehr nur am Rand vorkommen.

 

Nächste Staffel der Menschheit

Rechenzentren sind das neue Rückgrat der Zivilisation und haben einen gewaltigen Energieverbrauch, der in Zukunft noch größer werden wird. Die SZ berichtet über vielversprechende Versuche, das Problem im Meer zu versenken oder an die Zentralheizung anzuschließen.

Für Nick Bostrom hängt das Überleben der Menschheit am seidenen Faden. Trotz oder wegen seiner hemdsärmeligen Thesen liest der Tagesspiegel lieber was von Maja Göpel. Um der Klimakatastrophe zu begegnen braucht es ein neues Denken und das heißt eine neue Sprache. Die taz denkt über eine Sprache nach, die der Natur näher als der Wirtschaft ist, und über Plastiksprache und ihre Entsorgung hat Marc Hieronimus im aktuellen Lichtwolf geschrieben. Über Greenwashing und Öko-Phrasen gerät in Vergessenheit, das „Nachhaltigkeit“ mal als Überschrift einer planetaren Verantwortungsethik für Ingenieure gedacht war, woran Günter Getzinger im Gespräch mit dem Standard erinnert.

Vielleicht gibt es in der nächsten Staffel auch eine Rückkehr altbekannter Serienhelden? Die SZ schreibt über das aus vielen Gründen vom Aussterben bedrohte Nomadentum, von dem sich eine Menge über Nachhaltigkeit, Flexibilität und Zusammenhalt lernen ließe. Peter Sloterdijk widmet sich in seinem neuesten Schmöker der Religion, ihrer Entstehung aus dem Geist der Poesie und ihren Echos im säkularen Alltag. Die Rezension in der SZ suhlt sich wohlig im Sloti-Jargon.

Um Zukunftsangst und das „Band unserer Zivilität“ geht es morgen bei Sein und Streit im DLF. Ebenda, nämlich bei Essay und Diskurs erklären uns Markus Metz und Georg Seeßlen morgen früh, wie uns – vom Krisenhumor zur Humorkrise das Lachen verging. 🙁

 

Hauptsache digital

Wer vergangene Woche den Radioessay von Mathias Greffrath über die technische Zukunft des Arbeitstiers Mensch gehört hat, wunderte sich wohl bereits über den daran beteiligten Textgenerator GPT-3. Die SZ erklärt, wie das Ding mittels neuronaler Netze lernt, Sprache zu erkennen und dann zu benutzen, und was daran bloße PR-Angeberei ist. Wartet ab, bis das der KI in die Finger kommt: Die Korrespondenz Martin Bubers soll digitalisiert und offen zugänglich gemacht werden, wie die SZ meldet.

 

Engels 200

In der NZZ gratuliert Heinz D. Kurz dem Barmener Friedrich Engels zum 200. Geburtstag mit einer biographischen Skizze, die sich vor allem auf des jungen Engels optimistische Auseinandersetzung mit dem Arbeiterelend und Malthus sowie auf seinen letzten Freundschaftsdienst für Marx konzentriert. Lebhafter fällt das Engels-Portrait von Ulrike Herrmann in der taz aus, das uns von der Wupper nach Bremen, in die Berliner Schelling-Vorlesungen und nach Manchester, zurück nach Barmen und ins Londoner Exil führt.

„Was wäre der Sozialismus ohne Engels!“, fragt Michael Krätke im Freitag und antwortet sich selbst: Nüscht, denn der Rentier kannte den Kapitalismus aus praktischer Erfahrung und gab der Arbeiterbewegung Mut zur Freiheit und Humor mit auf den Weg. [War schon letzte Woche verlinkt.] Die offiziellen Engels-Feierlichkeiten finden pandemiebedingt hauptsächlich digital statt – der Freitag gibt eine Übersicht über das vielfältige Angebot und rät von allzu seichtem Kram dringend ab.

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