Links der Woche, rechts der Welt 43/19

Chans, Memes, Incels, Faschismus

Der Attentäter von Halle ist nicht der einzige Mörder, der aus der „Gamer-Szene“ hervorging. Dale Beran erklärt im Freitag, wie sich dieser Mikrokosmos aus von der Welt überforderten Jungmännern mit Internetzugang seit den 1990ern zu einer faschistischen Jauchegrube mit politisch-terroristischem Arm entwickelte. (21.10.19)

 

Demokratie ist keine Dienstleistung

Jan-Werner Müller wirbt in der SZ für die Vorteile der viel gescholtenen repräsentativen Demokratie gegenüber ihren Alternativen, die ihrerseits politischen Charme haben, namentlich die Meritokratie, wie sie etwa in China praktiziert wird, oder das Losverfahren, das jedem Bürger Entscheidungskraft zutraut. (22.10.19)

 

Sein heißt Gesehenwerden

Maximilian Probst hat für die ZEIT vorab die Ergebnisse einer Studie der Initiative More in Common auswerten dürfen, wonach ein Drittel der Deutschen sich politisch unsichtbar vorkommt. Dabei handelt es sich nicht nur um die üblichen Verdächtigen und die daraus resultierenden Probleme hat Axel Honneth längst vorhergesagt. (23.10.19)

 

Was kommt nach dem Fossil?

Jeremy Rifkin kämpft seit bald einem halben Jahrhundert gegen das umfassende Weiterso, das unsere Lebensgrundlagen zerstört. Im Freitag-Interview mit Mladen Gladić erklärt er, was er von den Protesten für mehr Klimaschutz und einem Green New Deal hält sowie welche Zivilisation kommt. (23.10.19)

 

Der Säbelzahntiger der Moderne

Über die Hälfte der Deutschen fühlt sich gestresst und Frank Luerweg untersucht bei Spektrum, warum einige besser und andere schlechter mit Belastungen umgehen können: Training ist alles und es gibt auch diverse Hilfsmittel dafür. (23.10.19)

 

Neue Krisen, neues Paradigma

In Berlin entsteht gerade ein Netzwerk, das dem Marktliberalismus ein neues ökonomisches Paradigma entgegensetzen will. Mark Schieritz erklärt in der ZEIT, wie die „Ökonomierebellen“ die Erfolgsstrategie des Neoliberalismus nutzen wollen, um ihn abzulösen. (23.10.19)

 

Der Jargon der Unmenschlichkeit

Die AfD verwendet ein durchschaubares Muster sprachlicher Eskalation, das Lena Luisa Leisten für die ZEIT nachgezeichnet und analysiert hat. Ihre Wortschöpfungen sind demnach für die Verbreitung über asoziale Medien gemacht und wirken selbst auf diejenigen, die sie ablehnen. (23.10.19)

 

Rückzugsgefechte der Vernunft

Der Standard bringt Kathrin Rögglas Rede zum zehnten Geburtstag des Instituts für Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst Wien. Darin denkt sie über das Wort und seine Relevanz in der modernen Öffentlichkeit nach, in der leise Töne vermeintlich nicht mehr gefragt sind. (24.10.19)

(Photo: andrew_t8, Andrew Tan, pixabay.com, CC0)

Bücher

Reiner Stach hat einen bislang unterschätzten Teil von Franz Kafkas Werk ediert, nämlich die Aphorismen, die laut Tagesspiegel zum ahnungsvollen Begreifen locken. +++ Peter Trawny hat eine „Philosophie der Liebe“ geschrieben, die dem Freitag nach auch Liebesversehrten und Enthaltsamen Augen und Herz öffnet. +++ Dieter Thomäs nüchternes Plädoyer für demokratisches Heldentum enttäuscht der ZEIT das Bedürfnis nach kindlicher Bewunderung. +++ Die FAZ zählt die zahlreichen Verdrehungen und Übertreibungen auf, mit denen Catherine Nixey in ihrem Buch zu belegen versucht, wie das Frühchristentum die antike Kultur und Philosophie auslöschte. +++ Auch ziemlich enttäuscht ist die FAZ vom eklektizistischen Alarmismus in Jürgen Bruhns Sammelband „Schlägt die Maschine den Menschen?“. +++ Einen ganz schönen Verriss von Armin Nassehis soziologischer Theorie der digitalen Gesellschaft bringt die taz. +++ Die NZZ empfiehlt Werner Plumpe Geschichte des Kapitalismus und Wolfgang Wills Geschichte des Peloponnesischen Kriegs, die auch ein Lehrstück der Demokratie ist. +++ Michael Hagner hat ein Buch über die Lust am Buch geschrieben und die SZ ist sehr angetan von dieser persönlichen Liebeserklärung.

 

Bild und Ton

Zwiespältig fällt das Urteil der ZEIT über die Verfilmung von Thomas Pikettys Studie „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ aus (vgl. letzte Woche). Die taz stellt den Film „Weitermachen Sanssouci“ vor, dessen Protagonistin eine Simulationsforscherin ist, was Anlass zu allerhand Metabetrachtungen des absurden Uni-Betriebs bietet – und auch die FAZ ist begeistert von dem satirischen Ausblick auf die durchdigitalisierte Forschung und Lehre.

Im DLF kommt heute die Lange Nacht über Aby Warburg, morgen geht es bei Essay und Diskurs um den Zustand der Demokratie in den USA. Mit Wilhelm Schmid ist die Berührung eines der Themen morgen bei Sein und Streit und über unsere moralische Verantwortung für kommende Generationen sprechen Kirsten Meyer und Jürgen Wiebicke im Philosophischen Radio des WDR 5.

 

Berichte aus der Akademie

Die Frauenquote auf deutschen Lehrstühlen ist nach wie vor zu gering, wie eine Studie zeigt, über die die FAZ berichtet, während die ZEIT die Geschlechterverhältnisse nach Studiengängen ausgewertet hat und zu manch interessantem Befund kommt. +++ Thomas Ehrmann und Aloys Prinz beklagen in der FAZ die Folgen des Ehrgeizes, nur noch in US-Fachzeitschriften zu publizieren; dabei blicken sie vornehmlich auf die Wirtschaftswissenschaften. +++ Eher ernüchtert berichtet die taz von einer Berliner Tagung über die Macht der Bilder und eine neue Bildkompetenz fürs digitale Zeitalter. +++ Telepolis berichtet über eine neurologische Studie, die den Mechanismus gefunden haben soll, mit dem wir das Wissen um unsere Sterblichkeit im Zaume halten. +++ Die FAZ erklärt kindgerecht, warum Menschen im Gegensatz zu anderen Spezies weinen, und man weiß es nicht genau. +++ Zu den Symptomen einer Depression gehört Studien zufolge auch ein Entgleisen des Selbstbildes, wie Spektrum berichtet. +++ Der Freitag erklärt, warum man in fortgeschrittenem Alter nichts mehr mit der Musik anfangen kann, die junge Leute hören, und die SZ weist auf das evolutionäre Muster hin, die Jugend von heute geringzuschätzen. +++ Die Kernfusion verspricht die Lösung vieler Probleme auf Erden, weshalb Telepolis noch einmal nachschaut, wie weit die entsprechende Forschung denn ist. +++ Google hat derweil seinen Quantencomputer angeworfen, doch Spektrum warnt trotz aller Jubelmeldungen vor überzogenem Optimismus bezüglich der neuen Rechenkraft. +++ Lars Fischer prüft bei Spektrum, ob die Kriterien, die das Aussterben einer Spezies begünstigen, auf den Menschen in der Klimakatastrophe zutreffen – weitere Ausblicke auf das Ende der Menschheit gibt es übrigens im aktuellen Lichtwolf.

 

Trotz Philosophie

Eva Illouz erklärt im Interview mit dem Standard, wie Liebe und Glück zu Waren wurden und was nach dem Neoliberalismus kommt. +++ Bei Spektrum schreibt Daniela Klimke über die impliziten politischen Verwicklungen in Debatten um das Sexualstrafrecht. +++ Vor 55 Jahren lehnte Jean-Paul Sartre den Literaturnobelpreis ab, woran die FR erinnert. +++ Carlo Strenger ist überraschend mit 61 Jahren gestorben, wie die SZ meldet.

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