Links der Woche, rechts der Welt 30/19

Der Basilisk kriegt euch alle

Transhumanismus ist mehr als ein seltsamer Spleen – er könnte die Demokratie und gleich die ganze Welt zerstören. Matthias Becker unterhält sich bei Telepolis mit Max Schnetker über den Transhumanismus als messianistische Krypto-Religion und ökonomistische Ideologie der oberen Zehntausend. (21.07.19)

 

Ohne den Tod bliebe nichts übrig

Hauptziel des Transhumanismus ist die Abschaffung des Todes (für die, die es sich leisten können). Dirk Peitz hat für die ZEIT im Silicon Valley nachgeguckt, wie weit man dabei inzwischen ist. Die Lebensspanne lässt sich bereits verlängern – was Kritik hervorruft, die teils überzogen ist, teils auf Adorno und Heidegger aufbauen kann. (21.07.19)

 

Mit Yoga in den Untergang

Nach der „Islamkritik“ kommt endlich die überfällige Buddhismuskritik. Nils Markwardt legt sie in der ZEIT vor, indem er die dunklen Seiten der Gelassenheitsethik von stoischen Zeiten bis ins Silicon Valley ausleuchtet. Da findet sich nämlich auch alles, was man zum Kadavergehorsam braucht, wie die Geschichte mehrfach belegt. (22.07.19)

 

Ich mach mir die Welt, widdewidde…

Thomas Grüter versammelt in seinem Scilog einige Beispiele dafür, wie die Klimaschutz-Debatte durch kognitive Verzerrungen („Bias“) behindert wird. Die Überschätzung deutscher oder europäischer Möglichkeiten in Sachen CO2-Ausstieg und Aufforstung ist psychologisch verständlich, aber „nicht zielführend“. (23.07.19)

 

Alle gegen alle, aber anders

Gerrit Wustmann fragt bei Telepolis, was aus dem von Samuel P. Huntington prophezeiten „Kampf der Kulturen“ geworden ist. Denn es gehört schon gröbste Vereinfachung oder eben politischer Wille dazu, um ihn in der Gegenwart – trotz aller Krisen – wiederzufinden, die eher von sozialen als kulturellen Differenzen geprägt ist. (24.07.19)

 

Slalom im Neobiedermeier

Paulina Czienskowski lebt als freie Journalistin in einem netten Teil Berlins und erzählt in der ZEIT von der Gemächlichkeit des Fast-schon-Erwachsenseins zwischen Instagram, Blumengießen und nachhaltigem Konsum. (26.07.19)

(Photo: 00firefly00, Liselle VD, pixabay.com, CC0)

Bücher

Aus der alten Frage, was der Mensch sei, entwickelt Volker Gehrhardt in seinem neuen Buch, das die SZ bespricht, eine Schule der Humanität. +++ James Lovelock hat einst die Gaia-Hypothese aufgestellt und beschreibt in seinem neuen Buch, warum wir mit der Rolle als Geburtshelfer einer künstlichen Hyperintelligenz zufrieden sein dürfen, wie die FAZ in ihrer Rezension schreibt. +++ Michela Murgia hat eine Anleitung geschrieben, wie man Faschist wird, und die taz erkennt darin natürlich eine (selbstkritische) Gegenwartsanalyse mit bitterbösem Humor. +++ Klaus Ungerer äußert im Freitag anhand eines aktuellen Beispiel den Verdacht, Rezensionen stützten sich nur noch auf den Klappentext.

 

Bild und Ton

In Literatur und Serien über Frauenknäste wird der Gedanke von Agamben und Butler über den Ausnahmezustand als neue Normalität popularisiert, wie die SZ bemerkt, die auch einen knappen Nachruf auf Rutger Hauer bringt, der mit dieser Filmszene in die Philosophiegeschichte einging:

In Gerd Conradts Doku „Face It!“ geben Menschen aus Kunst, Philosophie und Politik ihre Einschätzungen zur automatischen Gesichtserkennung ab – Alarmismus und Pragmatismus halten sich laut Tagesspiegel dabei die Waage.

Der Freitag empfiehlt Cyril Schäublins Thesenfilm „Dene wos guet geit“, der die kommunikative Verarmung des neoliberalen Konsumsubjekts in groteske Bilder bannt.

Seit Platons Zeiten wird gegrübelt, ob Politik und Moral zusammengehen, und Susanne Boshammer spricht mit Jürgen Wiebicke darüber im Philosophischen Radio des WDR 5. Ich zöge es vor, das zu hören: Im DLF kommt heute Abend die Lange Nacht über Herman Melville, wo es morgen früh bei Essay und Diskurs um Nutzen und Nachteil der beliebten Podcasts geht. Bei Sein und Streit sind morgen u.a. Überbevölkerung, Antinatalismus und Herbert Marcuse die Themen.

 

Die Unordnung der Dinge

Über den utopischen Charakter der Heimat (vom Heimatfilm der 1950er bis zur Identitätspolitik in Sozialen Medien) denkt Robert Kaltenbrunner in der FR nach. +++ Beim Berliner Festival Plataforma geht es um die Anschauung der apokalyptischen Realität Lateinamerikas. Die taz unterhält sich mit Martha Hincapié Charry, die das ganze entwickelt hat. +++ Julia Friese schildert in der ZEIT ihren Selbsthass als Japan-Touristin und fordert mehr Reisescham. +++ Die Wahrheitsseite der taz wiederum beschäftigt sich mit dem wechselseitigen Hass des Gemüses untereinander.

 

Berichte aus der Akademie

Was früher Exzellenzinitiative hieß, ist nun die Exzellenzstrategie – und bringt allenfalls durchwachsene Ergebnisse für den Forschungsstandort Germany, wie die FAZ resümiert. +++ Toby Walsh ist Professor für Künstliche Intelligenz und gibt im Tagesspiegel-Interview Auskunft über die weder ferne noch einfache Koexistenz des Homo sapiens mit Künstlichen Intelligenzen. +++ Die FAZ berichtet von der Tagung „Poetic Critique“ über das Verhältnis zwischen Kunst und Theorie, bei der sich „Kritik“ einmal mehr als geisteswissenschaftlicher „Unschärfejoker“ erwies.

 

Trotz Philosophie

Sibylle Anderl denkt in der FAZ darüber nach, was die Mondlandung vor 50 Jahren für das Nachdenken über die Erde und den Menschen gebracht hat. +++ Eigentlich sollte das Haus im Frankfurter Stadtteil Oberrad, in dem Theodor W. Adorno seine Jugend verbrachte, mit einer Gedenktafel versehen werden, die nun aber doch nicht kommt, wie die FR meldet. +++ Erstaunlich viele Philosophen beschäftigen sich mit dem Radfahren und der Tour de France, wie im Sportteil der FAZ belegt wird, und die NZZ stellt das dazu passende Buch „Sokrates auf dem Velo“ von Guillaume Martin vor. +++ Alexander Mäder wägt in seiner Spektrum-Kolumne das Für und Wider einer Expertenregierung gegen die Demokratie ab [vgl. auch LW41]; ebd. denkt Matthias Warkus über die alte Frage nach dem guten Leben nach. +++ Um den im Wortsinne radikalen Zeitgeist in seiner stillosen Stumpfheit geht es ausführlich im aktuellen Lichtwolf, der auch als E-Book erhältlich ist.

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