Links der Woche, rechts der Welt 31/19

Der gefiederte Motor der Zivilisation

Hühner kann man neuerdings auch mieten. Katrin Blawat untersucht in der SZ das kulturhistorisch überraschend junge, doch effektive Verhältnis des Menschen zu seinem Federvieh, das mehr über uns als über diese unterschätzten Haus- und Nutztiere verrät. (25.07.19)

 

Anstrengendes Versteckspiel

Geheimnisse können ein unangenehmes Eigenleben annehmen, wenn sie schambesetzt sind, schreibt Christiane Gelitz bei Spektrum. Geheimnisse sind ein schwieriges, aber lohnendes Forschungsobjekt, denn sie spielen eine wichtige Rolle bei psychischen Problemen wie Scham, Erschöpfung und Aggression. (27.07.19)

 

Ein leerer Begriff ohne Gegenstand

Rebekka Reinhard und Thomas Vašek plädieren in der ZEIT für eine Abschaffung des Begriffs „Identität“, der von hochemotionalen Gewitterwolken umzingelt, selbst aber völlig leer ist und auf den US-Import der Identitätspolitik zurückgeht, bei der es sich um privatsprachliches Pingpong für Intellektuelle handelt. (29.07.19)

 

Was zählt, ist das Hier und Jetzt.“

Wer nicht ungeheure Energie in die Verleugnung investiert, weiß, mit seiner Lebensweise die Lebensgrundlagen kommender Generationen zu gefährden. Sébastien Bohler untersucht in einem Buch und bei Spektrum, warum uns unsere Großhirnrinde in die Selbsterhaltung auf Kosten der Arterhaltung treibt – und warum Frauen die Rettung sein könnten. (29.07.19)

 

Faulheit will verlernt sein

Eine Ehrenrettung der Faulheit unternimmt Roman Bucheli in der NZZ, denn die Leistungsethik hat uns alle schönen Formen des Müßiggangs ausgetrieben und allenfalls Scham und Entscheidungsschwäche übriggelassen. Vielleicht sehnt er sich aber auch nur nach der Langeweile seiner Kindertage. (29.07.19)

 

Das digitale Weibchen-Schema

Warum sind Computerstimmen fast immer weiblich, fragt Antje Stahl in der NZZ und kommt zu dem Schluss: Künstliche Intelligenz ist patriarchale Ausbeutung mit anderen Mitteln, wie am Beispiel der Sexroboter überdeutlich wird. Aber auch die übrigen digitalen Assistentinnen verraten, wovon ihre Programmierer träumen. (30.07.19)

 

Hoffnung auf freiwillige Selbstkontrolle

Während wir noch grübeln und diskutieren, was man Roboter überlassen und antun darf, marschiert die KI-Forschung munter voran. Michael Brendel plädiert bei Telepolis anhand einiger Beispiele dafür, in der Frage, welche Grenzen wir Künstlicher Intelligenz setzen wollen, endlich voranzukommen. (31.07.19)

 

Klimakatastrophe als öde Erzählung

Die Menschheit ist von der Klimakatastrophe unbeeindruckt, weil die Welt in Kino und Literatur schon viel zu oft untergegangen ist, schreibt Johannes Schneider in der ZEIT. Aus der zeitgemäßen Annäherung zwischen Wissenschaft und Mythos entspringt ein fataler Triumph des Halbwissens, dem nur mit Kant begegnet werden kann. (31.07.19)

 

Der ewige Untergang des Abendlandes

Nun werden auch die Briten von einem schlecht frisierten Großmaul regiert, was Rüdiger Suchsland bei Telepolis zum Anlass für die seit Jahrtausenden beliebte Frage nimmt, ob es Parallelen zwischen den letzten Jahren Roms und der jeweiligen Gegenwart gibt – und ob da nicht stets der ahistorische Wunsch Vater des Dekadenz-Gedankens ist. (31.07.19)

 

Die Freiheit, einfach nur da zu sein

Alleinsein gilt als defizitär und dem Einzelgänger schlägt Argwohn entgegen, besonders wenn er weiblich ist. Jule Hoffmann aber schleicht sich gerne in die Menschenleere davon und wendet sich in der ZEIT gegen die „Geselligkeitsideologie“ zugunsten der Freiheit unter zwei Augen. (02.08.19)

(Photo: klimkin, pixabay.com, CC0)

Bücher

Glen W. Bowersock untersucht, wie sich im antiken Durcheinander auf der arabischen Halbinsel der Monotheismus durchsetzte, und die NZZ ist von dem erstaunlich schmalen Buch begeistert. +++ James C. Scotts „Against the Grain“ ist auf Deutsch als „Die Mühlen der Zivilisation“ erschienen, wendet sich gegen die populäre Annahme, seit der Sesshaftigkeit sei es mit uns bergauf gegangen, und wird in der ZEIT rezensiert. +++ Jochen Schimmangs melancholischer Erzählband „Adorno wohnt hier nicht mehr“ führt laut FR u.a. an die Orte, an denen der Frankfurter Philosoph tatsächlich mal war, aber nicht mehr ist. +++ Georg Seeßlen bespricht im Freitag äußerst sachkundig zwei Bücher von Jens Balzer, die das komplizierte Verhältnis zwischen Popmusik und (Rechts-)Populismus untersuchen. +++ Die taz erinnert an „Das andere Geschlecht“ von Simone de Beauvoir, das vor 70 Jahren erschien und uns die Augen für die subtile Gewalt des Patriarchats öffnete. +++ Und 40 Jahren veröffentlichte Klaus Theweleit die „Männerphantasien“ – auch an diesen Klassiker erinnert die taz.

 

Bild und Ton

Rüdiger Suchsland empfiehlt bei Telepolis Denys Arcands polit-philosophischen Gangsterfilm über den „Untergang des amerikanischen Imperiums“ und die (Ohn-)Macht des Geldes.

Morgen geht es im DLF bei Essay und Diskurs und Geheimnisse und Exhibitionismus in Sozialen Medien und bei Sein und Streit um Adornos autoritären Charakter gestern und heute. Gunter Gebauer und Jürgen Wiebicke sprechen im Philosophischen Radio des WDR 5 über Gefühle und wie man sich über Qualia verständigen kann.

 

Die Unordnung der Dinge

Philip Kovce hat sich mit der Geschichte der Idee des bedingunglosen Grundeinkommens beschäftigt und gibt im Interview mit der ZEIT Auskunft. +++ Im Freitag stellt George Monbiot klar, dass unendliches Wachstum nicht grün sein kann und wir vor der Wahl zwischen Kapitalismus und Überleben stehen. +++ „Denen geht es zu gut“: Der Tagesspiegel geht der Frage nach, warum Menschen, denen es immer besser geht, rechtspopulistische Parteien wählen. +++ Die taz erinnert an Primo Levi, der heute 100 Jahre alt würde und mit „Ist das ein Mensch?“ die Realität in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern festhielt.

 

Berichte aus der Akademie

Andrea Roedig denkt in der ZEIT über das textuelle Ich und das eigene Leben als Rohmaterial der Fiktion nach. +++ Was wäre die Welt ohne das x der Mathematik? Florian Freistetter erinnert bei Spektrum an die von Descartes eingeführte Nomenklatur des Unbekannten, aber Berechenbaren. +++ Die FAZ blickt darauf, wie die vielen muslimischen Rechtsschulen verschiedene Formen des Familienrechts ausgebildet haben. +++ Studienfreundschaften halten überdurchschnittlich lang, wie der Psychotherapeut Wolfgang Krüger im Interview beim FAZ-Blogseminar erklärt. +++ In Japan sind Experimente mit Mensch-Tier-Hybriden erlaubt worden und die SZ hat einige Fragen und Antworten zu dieser bioethischen Herausforderung zusammengestellt.

 

Trotz Philosophie

Die FR unterhält sich mit dem Sozialphilosophen Oskar Negt anlässlich seines 85. Geburtstags u.a. über politische Bildung, kulturelle Erosionskrisen und die Entwertungen durch den Kapitalismus. +++ Michael Angele wehrt sich im Freitag gegen eine These der FAZ, wonach Björn Höcke (AfD) ziemlich viel mit Adorno gemeinsam habe. +++ In der ZEIT gibt Niels Boeing am Beispiel des Feuerzeugs einen Eindruck vom Wirken und Werken des Mänelwesens Mensch. +++ Die Gentechnik scheint die Weisheit zu bestätigen, dass ein langes oder gar unendliches Leben eher Fluch als Segen ist, wie die FAZ meldet. +++ Ernst Ulrich von Weizsäcker gratuliert James Lovelock, dem Begründer der Gaia-Hypothese, im Tagesspiegel zum 100. Geburtstag. +++ Nach dem guten Leben nimmt sich Matthias Warkus in seiner Spektrum-Kolumne den nächsten klassischen Hammer vor, indem er fragt, was Zeit ist, und John McTaggarts faszinierende Antwort vorstellt.

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