Links der Woche, rechts der Welt 38/21

Kommunismus? Fuck yeah!

Berlin stimmt in gut einer Woche auch über die Enteignung von Wohnungskonzernen ab, was Philipp Schink in der ZEIT zum Anlass nimmt, am Beispiel von Eigentum und Obdach über die Freiheitsbegriffe der Befürworter und Gegner nachzudenken.

Raul Zelik erklärt im Freitag, warum wir uns keine Hoffnungen machen sollten, eine irgendwie linke Regierung wäre auch zu linker Reformpolitik im Stande: Die Furcht vorm Kapital ist zu groß. Derselbe Freitag portraitiert Armin Nassehi als schwarzgrünen Strategen und „Stellvertreter Niklas Luhmanns auf Erden“. Grün geht auch richtig braun, wie die rechtsradikale Öko-Zeitschrift Die Kehre zeigt, deren jüngste Ausgabe die taz für uns durchgeblättert hat. (Was Neurechte sonst so schreiben, wird übrigens in der Reihe „Fremde Heere Rechts“ im Lichtwolf stets rekapituliert.) Und das arme Volk? Über dessen regressiv-projektive Inbeschlagnahme durch Rechtspopulisten informieren Vera King und Ferdinand Sutterlüty in der FR.

Anderswo ist der Kommunismus längst da: Die ZEIT berichtet über jüngste Auswüchse von Umerziehung, Gängelung und Gedankenkontrolle zum Zwecke kollektiven Wohlstands und moralischer Einheit in China. Chefkommunist Slavoj Žižek kennt sich mit allem aus, auch mit Nazis, Taliban und Impfgegnern, über deren heimliche Liebe er in der NZZ schreibt.

 

Geschichte und Kunst

Die ZEIT jubelt über das in Frankfurt eröffnete Deutsche Romantik-Museum, das uns Schlegel, Novalis, Eichendorff et.al. als knallharte Arbeiter am Begriff vorstellt – und selbst romantisch ist.

Schnapszahlenbücher sind im Trend: Die SZ rezensiert Philipp Sarasins kurze Geschichte der Gegenwart anhand des Jahrs 1977 sowie Uwe Wittstocks im Februar 1933 angesiedeltes Sittenportrait.

(Photo: Skitterphoto, pixabay.com, CC0)

Fluentum ist eine Berliner Technokunstgalerie in einem Gebäude mit Geschichte. Der Freitag war dort und hat sich die Ausstellung „Time Without End“ angesehen, die empfehlenswert ist für Historikerinnen, die mit ihrem Medientechnik-Freund Kunst gucken wollen.

Bei Telepolis würdigt Rüdiger Suchsland 9/11 als „Kunstwerk“ (Stockhausen), Beispiel für „Hauntology“ (Derrida) und unaufgeklärter Mythos (Bröckers).

 

Dante in Space

Zu seinem 700. Todestag stellt uns die FR Dante Alighieri als Philosophen vor, dessen Fakt und Fiktion verschmelzende Assoziationsfelder bis heute faszinieren, und Ulf von Rauchhaupt untersucht in der FAZ die Geographie und Kosmologie der „Göttlichen Komödie“, in der faszinierenderweise einige Probleme moderner Astrophysik thematisiert werden. Derselbe Rauchhaupt legt in derselben Zeitung eine sehr kurze Geschichte der Kosmologie von Anaximander über Dantes Sphären bis Emmy Noether vor. Und auch die SZ schaut nach, was Dantes Epos uns in Zeiten der Raumfahrt noch zu sagen hat.

 

Menschen, die miteinander reden

In der Debatte Holocaust vs. Kolonialismus erinnert die NZZ an den Historikerstreit während der 1980er. Damals wie heute schaltete sich Jürgen Habermas ein, diesmal aber in einer vermittelnden Rolle, was den Zürchern nicht passt. Nämlichem Habermas ist eine komplette Ausgabe der Zeitschrift für Ideengeschichte gewidmet und die taz verrät, was drinsteht.

Markus Lanz und Richard David Precht haben jetzt einen Podcast, dessen erste Folge im Freitag zusammengefasst wird, damit wir es nicht selbst hören müssen. Da hören Sie mal lieber Herrn Meier und Frau Lenk zu, die sich weiter über das Internet im Allgemeinen und Tinder im Besonderen unterhalten.

Walter Boehlich dagegen hat vor allem Briefe geschrieben, die zum 100. Geburtstag ihres Verfassers in ausgewählter Buchform vorliegen: Die FR empfiehlt die Korrespondenz allen, die ebenfalls die Schnauze voll vom bürgerlichen Literaturbetrieb haben.

Marc Bauder und Lars Abromeit haben für Doku und Buch einige schlaue Leute dazu befragt, wer wir als die Menschheit waren und wie der Mut zu finden ist, nicht zu resignieren; Spektrum rezensiert. Ebenda denkt auch Matthias Warkus in seiner Kolumne darüber nach, ob und wie sich der Mensch mittels Technik zu einem weniger mangelhaften Wesen aufrüsten lassen darf.

 

Das Rauschen der Elfenbeintürme

Menschliche Entscheidungen sind fast bis zur Willkür verzerrt, nicht zuletzt durch ein rätselhaftes Grundrauschen, dem Daniel Kahneman ein Buch gewidmet hat, das in der taz rezensiert wird.

Die Bedrohung durch die Klimakatastrophe zeitigt auch psychosoziale Folgen, mit denen sich Immo Fritsche beschäftigt. Im Spektrum-Interview spricht er über den steigenden Hang zu autoritärem Kollektivismus und damit einhergehende Polarisierung der Gesellschaft.

Diese ist laut FAZ an den Unis zu beobachten, wo die Fächer in eine Vielzahl von Netzwerken, Foren und Initiativen zerfallen, die als gegenöffentliche Lobbyisten in eigener Sache auftreten und Verschwörungstheorien über den akademischen Betrieb pflegen.

Machen Sie stattdessen was aus sich, und zwar nach Anleitung des DLF, der heute Abend die Lange Nacht über den Dandy bringt.

 

Kommenden Samstag gibt es keine Links der Woche, denn da findet der lichtwölfische Herbstsalon statt. Kommen Sie halt vorbei und reden Sie mit, kostet ja nüscht. Oder Sie lesen den neuen Lichtwolf, der übermorgen zum Thema „Fug“ erscheint.

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