Links der Woche, rechts der Welt 37/21

Bücher und Künste

Götz Eisenberg trauert bei Telepolis dem letzten Antiquariat seiner Stadt nach, dessen Schließung nur ein weiteres Symptom der ökonomischen Entortung und Psychopathisierung der Welt ist.

Moritz Rudolph hat eine Geschichtsphilosophie mit dem schönen Titel „Der Weltgeist als Lachs“ geschrieben, die sich mit Hegel, Alexandre Kojève und dem Aufstieg Chinas auseinandersetzt und im Tagesspiegel rezensiert wird.

Marcus Steinweg ist Ästhetiker und darum geht es in seinem in der SZ vorgestellten Buch nicht um „Quantenphilosophie“, sondern um das Offene und Unaussprechliche in der Kunst. HR Gigers Skulpturen und Bilder wären so ein Fall. In ihnen verbinden sich Sex, Gewalt, Psychose und Technik zu nicht für jedermann geeigneten Kunstwerken, die bald zum ersten Mal in Deutschland ausgestellt werden – zusammen mit Werken von Mire Lee, wie der Freitag meldet.

Eine Erzählerin will sich vom jüdischen Frauenarzt einen Penis verpassen lassen und masturbiert zu Hitler-Bildern; der Freitag wundert sich nicht, dass ein so angelegter Roman lange nach einem Verlag suchen musste. Das Deutsche Historische Museum in Berlin beschäftigt sich in einer Ausstellung mit „gottbegnadeten“ Künstlern, die erst im Dritten Reich und dann in der BRD reüssierten. Die taz war vor Ort und nennt Namen.

 

Auf dem Land ist alles gut

Der deutschsprachige Roman bedient Sehnsüchte der Stadtflüchter und aller, die sich das Häuschen auf dem Land nicht leisten können. Die FAZ hat einige exemplarische Exemplare der neuen Dorfliteratur, die „von Schriftstellerinnen handelt, die auf dem Dorf wohnen und dort schreiben“, zur Hand genommen.

Ebendort, auf dem Land, ist Ernst Paul Dörfler schon seit DDR-Zeiten und resümiert in seinem Buch individuelle Fluchtwege aus Klimakrise, Monokultur und Konsumzwang; der Freitag stellt es vor.

Annette Dufners medizinethische Auseinandersetzung mit Knappheit im Gesundheitswesen taugt der FAZ als Einstieg in die Kunst konsequentialistischer Normenbegründung an konkreten Beispielen. Tierethik dagegen steht im Zentrum von Christine M. Korsgaards „Tiere wie wir“, das mit Kant eine Pflichtethik gegenüber den Mitgeschöpfen formuliert und der taz durchaus manchen Schrecken einjagt. Über den Tod als Skandalon unterhalten sich Franz Josef Wetz und Jürgen Wiebicke im Philosophischen Radio des WDR 5.

 

9/1120

Diverse Bücher dürften über den „Tag, der die Welt veränderte“, erschienen sein. Baptiste Bouthiers 9/11-Buch ist eine Graphic Novel, die es schafft, sowohl Fakten und Folgen als auch Atmosphäre der damaligen Anschläge zu transportieren, wie Spektrum schreibt. Das Buch der damaligen Stunden war Samuel Huntingtons „Kampf der Kulturen“, das Mark Siemons für die FAZ aus gegebenem Anlass nach 20 Jahren wieder zur Hand nimmt. Der skeptische Subtext ist überraschend aktuell.

Zu den berühmten Szenen des 11. September 2001 gehört, wie George W. Bush in einer Schulklasse über die Anschläge informiert wird. Die Doku „Die Klasse von 9/11“ wird in der ZEIT für das Sittenbild der USA gewürdigt, das entsteht, wenn man sieht, was aus sechs der damaligen Schüler in den letzten 20 Jahren geworden ist. Zu sehen ist er, neben zahlreichen anderen Filmen zum Thema, in der arte Mediathek.

(Photo: joergwunderlich, pixabay.com, CC0)

Mohamedou Slahi war 14 Jahre ohne Anklage in Guantanamo inhaftiert. Die ZEIT stellt eine Doku vor, die an seinem Beispiel die Ambivalenz des Verdachtsklimas und den Grundfehler der Folter darstellt. Zu sehen ist der Film in der ARD Mediathek.

Mit den gesundheitlichen Langzeitfolgen der Terroranschläge unter Helfern und Überlebenden beschäftigt sich Tara Haelle bei Spektrum.

 

In Köpfe gucken

Die ZEIT befragt Slavoj Žižek in einem munteren Interview u.a. nach seinem Arbeitsalltag in der Pandemie, der Wiederholung als Quell von Originalität und dem neuesten dialektischen Scheiß.

Mascha Jacobs empfiehlt in der ZEIT der Pandemie-Gesellschaft eine politische Psychoanalyse, um dem Unbehagen, das sich in jugendlicher Gewaltlust und amoklaufenden Krankheitssystemen äußert, gute Nerven entgegenzusetzen.

„Bin ich mein Gehirn?“, fragt Tim Parks in seinem gleichnamigen Buch, das die Spread-Mind-Idee gegen die neurowissenschaftliche Religion verteidigt – nicht ganz gelungen, wie Spektrum findet.

 

Klassikerkunde

Zu Dante Alighieris 700. Todestag ist u.a. Franziska Meiers Buch über die „Göttliche Komödie“ als epochemachendes Produkt der Verbannung erschienen und die ZEIT stellt das Werk vor. Noch mehr über Dante und seinen Klassiker gibt es heute Abend in der Langen Nacht im DLF.

Das Wuppertaler Engels-Haus stellt das Leben seines berühmten Bewohners in einer neuen Ausstellung dar, wie die FR meldet. Toon Horstens Geschichte der abenteuerlichen Rettung von Husserls Vermächtnis wird bei Spektrum empfohlen und Johannes Bellermanns Einführung in das Denken und Werk Antonio Gramscis wird in der taz rezensiert.

Zu seinem 100. Geburtstag wird der Science-Fiction-Autors Stanisław Lem u.a. in der FR sowie in der SZ gewürdigt. Nämliche SZ ordnet außerdem den Briefwechsel zwischen Enzensberger und Adorno ein, der sich vor allem um eine ungeschriebene Kritik des Godesberger Programms dreht.

Ihren 20. Geburtstag hat die Wikipedia schon gefeiert, nun weist die FAZ auf eine Doku über das inzwischen unentbehrliche Mitmachlexikon hin, zu sehen hier in der 3sat-Mediathek.

 

Griechenland

Die Griechen feiern ihre 200-jährige Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich und die SZ erinnert an deren bis heute wirksame Unterstützung durch philhellenische Enthusiasten aus Deutschland.

In der Folge glauben wir, alles über Platon zu wissen, was Thomas A. Szlezák mit seinem in der FAZ vorgestellten Buch widerlegt, indem er darstellt, worum es dem Athener wirklich ging: die unaufschreibbare Prinzipientheorie.

Ein antikes populärwissenschaftliches Sachbuch zur Mathematik von Theon von Smyrna ist erstmals ins Deutsche übersetzt worden, wie die FAZ meldet. Wie anders die Mathematik seit der Renaissance dagegen ist, beschreibt Thomas de Padova in seinem Buch, das wegen seiner vitalen Anschaulichkeit ebenfalls von der FAZ empfohlen wird.

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