Links der Woche, rechts der Welt 16/21

Sexualität und Macht

Michel Foucault wird des sexuellen Missbrauchs beschuldigt. Der Standard resümiert die dünne Beweislage, gleichwohl macht des Philosophen Hang zu Jünglingen der FR eine Neubewertung seines Werks (vor allem beim Thema Sexualität) nötig – eines Werks, das ja einen wesentlichen Beitrag zur Kritik an kolonial-patriarchalen Machtstrukturen leistete, was auch dem Freitag merkliches Unbehagen bereitet. Die FAZ bleibt in ihrem Kommentar zu den Vorwürfen deutlich zurückhaltender.

Aus anderen Gründen umstritten bleibt Kant, wie Dieter Schönecker in der NZZ als Beteiligter über den anhaltenden Streit schreibt, ob und wie sehr der Königsberger Rassist war. (Schönecker findet: ziemlich!)

 

Linksrum, rechtsrum

Die Hälfte aller Deutschen muss allein von ihrer Lohnarbeit leben. Julia Friedrichs hat diese „Arbeiterklasse“ portraitiert und erklärt im Freitag-Interview, warum es die „nivellierte Mittelstandsgesellschaft“ nie gab.

Zwei Bücher über die Pariser Kommune vor 150 Jahren werden im Freitag vorgestellt und was Feines auf die Ohren gibt es heute Abend im DLF bei der Langen Nacht über Lotte Lenya und Kurt Weill.

Um den Konservatismus in Deutschland ist es schlecht bestellt, wie diese Woche lehrte. Gero von Randow nimmt in der ZEIT das Gerede von „Werten“ auseinander und fragt, wie Philosophie und Juristerei sowie nicht zuletzt der Konservatismus selbst dazu stehen. Über Identitätspolitik bzw. Identität und Politik unterhalten sich Frank Vogelsang und Jürgen Wiebicke im Philosophischen Radio des WDR 5. Erich Frieds Eltern wurden von den Nazis ermordet und trotzdem nimmt er in den 1980ern einen Briefwechsel mit dem Neonazi Michael Kühnen auf. Die FAZ stellt Thomas Wagners Buch über „eine deutsche Freundschaft“ vor.

 

Tier bleiben, um Mensch zu werden

Die ZEIT unterhält sich mit Corine Pelluchon darüber, wie die Pandemie das Verhältnis von Natur und Kultur erschüttert und warum auch Horkheimer und Adorno für „Konvivalismus“ plädieren würden. Telepolis bringt einen Auszug aus Fabian Scheidlers Buch über eine nötige Neukonzeption von Natur und Gesellschaft, um das Leben vor der Technokratie zu retten, und spricht mit dem Autor ebenfalls darüber, was uns das Corona-Virus über unser Verhältnis zur Natur lehrt.

Und was ist mit dem Verhältnis der Tiere zu Kultur? Die SZ bringt viele possierliche Beispiele, die die Verhaltensforscherin über tierische (und menschliche) Traditionen, Sitten und Gebräuche staunen lassen. Mit dem menschlichen Fleischkonsum beschäftigt sich Jan Brandt morgen bei Essay und Diskurs im DLF. Derweil guckt die FAZ lieber mit Hans Blumenberg die Netflix-Produktion „Love and Monsters“ über Liebe in Zeiten menschenfressender Insekten und Amphibien:

Aber vielleicht haben Sie ja schon alle Unterhaltungsprodukte weggeguckt und langweilen sich? Der Psychologe Thomas Götz spricht im taz-Interview über Langeweile als spannendes Forschungsthema, Luxus und Motivator. Oder lieber Drogen nehmen? Paul Tullis schreibt bei Spektrum über viel vielversprechende Heilwirkungen und juristisch-politische Hürden von psychedelischen Drogen.

 

Stimmgewalten

Gewalt ist (keine) Alternative, aber was genau ist sie? Dietrich Schotte geht die Frage von der Alltagssprache ausgehend an und die NZZ ist ganz begeistert von seinem Buch. Bourdieus „Monopol der legitimen symbolischen Gewalt“ spielt eine zentrale Rolle in der von Carel van Schaik und Kai Michel vorgelegten Geschichte des Patriarchats seit der Steinzeit. Rezensiert wird das dicke Buch in der FAZ.

(Photo: josemdelaa, José Manuel de Laá, pixabay.com, CC0)

Ist Schreien auch eine Art von Gewalt? Menschliches Gebrüll ist weitaus komplizierter als tierisches, wie wir bei Spektrum lesen. Zum World-Voice-Day am 16. April gibt die FAZ Tipps, wie man sich auch mit Schnutenpulli und Webcam verständlich artikuliert, weitere Tipps zur Stimmpflege in Zeiten der Onlinekonferenz gab es beim DLF.

 

Sic gloria mundi transit

Daran, dass die Geschichte Europas eine christliche ist, erinnert Tom Holland und der Tagesspiegel schwärmt von dem flotten Stil, mit dem er durch über zwei Jahrtausende Westen – vom Römerbad bis #MeToo – führt. Anders geht Stefan Laube vor, der anhand von Objekten der Staatlichen Berliner Museen eine Geschichte der Zivilisation verfasst hat, was, wie die FAZ anmerkt, Neil MacGregor so ähnlich schon gemacht hat.

Justin Marozzi erzählt die Geschichte des Islam anhand von 15 orientalischen Städten, in denen sich jahrhundertelang Massaker und Hochkultur abwechselten; die SZ stellt das Buch vor. Untergegangen ist Atlantis und in der ZEIT ist zu lesen, wie man Kindern den von Platon in die Welt gesetzten Mythos und anderes Seemannsgarn erklärt.

 

Gutes Klima, schöne Natur

Die Jugend im Verbund mit der Wissenschaft? Spektrum stellt das Buch darüber vor, wie Klimaschutzproteste die „Scientists for Future“ inspirierten. Auch das Privatfernsehen hat den Klimaschutz für sich entdeckt, wie die SZ staunt, und vielleicht helfen die Werbepartner, Europas Heißhunger auf Regenwald einzudämmen, von dem ebd. auch die Rede ist. Für die Fauna wäre es ohnehin besser ohne Menschen, wie die FAZ von Sir David Attenboroughs Doku über das Aufatmen der Natur im Corona-Lockdown lernt:

 

Wie geht’s der Wissenschaft?

Nach der Ökonomisierung kam die Pandemie: Sonja Buckel schildert im Freitag die Misere der atomisierten Universität. Die FAZ guckt sich um, wie es im dritten Semester der Onlinelehre um die digitale Hochschuldidaktik bestellt ist.

Es gibt verschiedene Arten von Wahrscheinlichkeiten und mit manchen können wir besser, mit anderen schlechter umgehen. Tiffany Morisseau und Nicolas Gauvrit erklären bei Spektrum anhand spannender Beispiele, wie man Fehlschlüsse aus Statistiken vermeidet.

Tim Parks hat sich als Schriftsteller in der Hirnforschung herumgetrieben und ein Buch darüber geschrieben, das, wie die SZ sich freut, Naivität und Geist in die Labore bringt. Auch Goethe wollte wohl lieber als Forscher anerkannt sein, wie die SZ Stefan Bollmanns Buch entnimmt, das den Dichterfürst als Naturwissenschaftler portraitiert.

Vor den Soziologen ist gar nichts sicher, auch nicht Preisverleihungen und Jurys. Auf eine Untersuchung ihres Verlaufs und Verhaltens weist die FAZ hin. Und was treiben fremde Intelligenzen so? Auch Spektrum rezensiert Avi Loebs Spekulationen über den interstellaren Himmelskörper Oumuamua und laut SZ hat eine Google-KI für einen guten Zweck Lieder des „27 Club“ komponiert.

 

Philosophie im Netz

An zwei eher nicht so prominente Philosophen erinnert Jürgen Kaube in seiner FAZ: Karl Heinz Haag wird zu seinem zehnten Todestag gewürdigt als der eine, der die Metaphysik in die Kritische Theorie zu holen versuchte. Vom jüngst verstorbenen Edmund L. Gettier dagegen stammt die nach wie vor in Proseminaren beliebte extrem kurze Argumentation, warum noch so gut begründete Überzeugung kein Wissen ist.

Gewürdigt werden auch Walter Benjamin und Klaus Theweleit: Ersterer erhält an seinem einstigen Frankfurter Wohnhaus eine Plakette, Letzterer den Adorno-Preis der Stadt Frankfurt, wie die FR meldet.

Die SZ portraitiert die Philosophie-Bloggerin Tabatha Portejoie, die mit dem bildlastigen Instagram nicht so viel anfangen kann und eben lieber Texte schreibt. Nicht ganz so viele Leser hat der Lichtwolf, noch weniger solche, die darüber bloggen, was sie lesen. Drum sei der Hinweis auf das / den halbe Kapitel gestattet, das / der erklärt, was vom aktuellen Lichtwolf zu halten ist.

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