Links der Woche, rechts der Welt 30/20

Digitale linke Spießer

Über 100 Intellektuelle warnten im Harper’s Magazine vor wohlmeinender Zensur und empörten damit eine „erstarrte und ins Pädagogische abgedriftete Linke“. Mit deren humorlosem Rigor, der oft genug nur Lesefaulheit verhüllt, setzt sich Jan Freyn in der ZEIT auseinander und rät den Gemeinten, ihren gesellschaftlichen Einfluss zu reflektieren. (18.07.20)

 

Der ewige Antikommunismus

In einem langen Telepolis-Artikel setzt sich Brend Tragen einigermaßen polemisch mit Antisemitismus- und Rassismus-Vorwürfen gegen Karl Marx auseinander, die von rechts kommen, wo man Kommunisten ja schon immer für Blutsäufer hielt und nun die jüngste Gelegenheit nutzt, Marx zu diskreditieren. (19.07.20)

 

Das ewige Informationsparadox

Gerade noch hier und schon weit weg: Philip Ball schreibt bei Spektrum anschaulich über die faszinierende Theorie und möglicherweise baldige Praxis von Wurmlöchern, die sich aus der Quantenphysik von Schwarzen Löchern ergeben könnten und auch etwas mit Kryptographie zu tun haben. (22.07.20)

 

Liberalismus kann tödlich sein

Thomas Assheuer würde in der ZEIT das Achselzucken des US-Präsidenten über 140.000 Corona-Tote in seinem Land bis auf den Liberalismus John Lockes zurückverfolgen, wenn sich nicht der Sozialdarwinismus der Expropriateure so überdeutlich in den Vordergrund drängte. (22.07.20)

 

Bücher

Mathias Brodkorb und Katja Koch plädieren in ihrem Buch für ein Zentralabitur, das nur jeder Fünfte eines Jahrgangs schafft, und die FAZ schüttelt den Kopf über diese Kampfansage an den Bildungsföderalismus. +++ Die FAZ verreißt die Nietzsche-Biographie von Sue Prideaux und lässt Heinrich Meiers Auseinandersetzung mit Nietzsches letzten Jahren und Vermächtnis gelten. +++ Hanns-Christian Gunga ist Professor an der Charité und hat ein Buch darüber geschrieben, was der menschliche Körper aushalten kann. Der taz ist es eine medizinische Warnung vor der Erderwärmung. +++ Die Reportagen von Albert Londres über den grausamen Kolonialismus im Kongo und maghrebinische Straflager der 1920er sind nun auch auf Deutsch erhältlich. Sie muten der Leserin, glaubt man der ZEIT, einiges zu. +++ Als junger Anwalt war Benjamin Ferencz Chefankläger bei den Nürnberger Prozessen, später trug er zur Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs bei und die FAZ freut sich über zwei überfällige biographische Würdigungen.

(Photo: TheOtherKev, pixabay.com, CC0)

Radio

Im DLF kommt heute Abend die Lange Nacht über gewaltfreie Kommunikation. Andreas von Westphalen forscht beharrlich gegen das Bild des homo oeconomicus an und zeigte letzte Woche bei Essay und Diskurs den Hang zum Altruismus, der sich vor allem in Krisen und Katastrophen zeigt. Morgen früh unterhalten sich ebd. Pascal Fischer und Stefan Weidner über den langen Schatten von 9/11. Bei Sein und Streit geht es u.a. um Muße, Außerirdische und Hegels Schreibtisch und Susanne Boshammer und Jürgen Wiebicke diskutieren im Philosophischen Radio des WDR 5 über das Recht zu strafen.

 

Berichte aus der Akademie

Die Sinus-Jugendstudie 2020 entdeckt bei unseren Teenies eine „neue Ernsthaftigkeit“, wie die FAZ meldet. +++ Zweifellos ist der Abiturjahrgang 2020 dank Corona einer der ungewöhnlichsten der letzten Zeit. Die FAZ bringt die Notizen eines Schülers und Abgängers, der immerhin eine Menge über Platon und Kant gelernt hat. +++ Das Für und Wider des Hirndopings wägt die FR ab und kommt zu dem Schluss, Hallo-Wach-Pillen seien eher riskant und neuroethisch fragwürdig als förderlich. +++ Pseudonym gegen die Cancel Culture: Das u.a. von Peter Singer herausgegebene „Journal of Controversial Ideas“ sorgt schon vor der Nullnummer für – naja: Kontroversen, wie die FAZ schreibt. +++ Wie ein blutrünstiger Gott: Über die uralte Psychologie hinter der Cancel Culture in sozialen Medien informiert Telepolis. +++ Korrelation und Kausalität: Uwe Knop erklärt bei Telepolis, warum es ein Mythos ist, dass Fleischverzicht der Gesundheit zuträglich ist. +++ Kooperation und Konkurrenz als evolutionäre Strategien haben Forscher*innen an Aaskäfern untersucht und die FAZ versucht gar nicht erst, die Ergebnisse auf andere Tiere zu übertragen. +++ Die ZEIT empfiehlt den Blick in den nördlichen Nachthimmel, wo der Komet mit dem schönen Namen Neowise zu sehen ist.

 

Die Unordnung der Dinge

„Otto – der Film“ kommt zum 35-jährigen Jubiläum noch einmal in einige Kinos und ist Rassismus-Vorwürfen ausgesetzt, mit denen sich die FR befasst, und Patrick Bahners verfolgt in der FAZ die fragwürdige Filmszene bis zu einem Robert-Gernhardt-Ulk zurück. +++ Die SZ zeichnet nach, wie u.a. die Bundesregierung zu ihrer Arbeitsdefinition“ von Antisemitismus gekommen ist. +++ Die MLPD ist nicht gerade arm und hat also in Gelsenkirchen eine zwei Meter hohe Lenin-Statue aus Gusseisen aufgestellt, die sich der Freitag mal angeguckt hat. +++ Im Willy-Brandt-Haus ist eine Ausstellung über Kinderarbeit in den wilden Müllhalden der dritten Welt zu sehen und die taz empfiehlt einen Besuch. +++ Wie Kapitalismus, Konsum und Klimakatastrophe zusammenhängen, wird in dem Freitag-Text von Michael Jäger deutlich, der die Arbeit als Dreh- und Angelpunkt der notwendigen Transformation ausmacht.

 

Trotz Philosophie

In München gibt es nicht viele Denker auf einem Sockel. Die SZ erklärt, warum Maximilian II. in der bayrischen Hauptstadt ein Schelling-Denkmal aufstellen ließ. +++ Bernd Ladwig verbindet tierethische Positionen und politische Philosophie, wenn er, wie die FAZ schreibt, nach dem Recht auf Rechte der Tiere fragt. +++ In der taz streiten sich die Psychologin Berit Brockhausen, der Philosoph Philipp Hübl und die rappende Sprachwissenschaftlerin Reyan Şahin über das Streiten. +++ Im Gespräch mit der ZEIT äußert sich Susan Neiman über #BlackLivesMatter, Kant und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nach der Pandemie. +++ Philipp Blom z.B. freut sich in der NZZ über das neue Verhältnis zwischen Mensch und Natur, dass Covid-19 uns lehrt. +++ Über Alleinreisende und -speisende als neue Zielgruppe von Ferien- und Gastro-Industrie lesen wir in der taz. +++ Im FR-Interview spricht Markus Gabriel über das Schweigen der Philosophen in Krisenzeiten und über das Wirtschaftswachstum als Jahrtausendfehler. +++ Die Zeitschrift Information Philosophie hat Äußerungen von deutschsprachigen Philosoph*innen zur Corona-Krise gesammelt und die SZ ist schockiert über diesen Strauß an Trivialitäten.

Schreiben Sie einen Kommentar