„Widerspruch ist keine Zensur“, muss Lukas Hermsmeier einmal mehr in der ZEIT klarstellen, weil so mancher die Meinungsfreiheit durch identitätspolitische Eiferer bedroht sieht. Die ehrenwerte Verteidigung einer offenen Streitkultur hat aber bemerkenswerte Leerstellen und Widersprüche, die im Text auseinanderklamüsert werden. (28.07.20)
Die ZEIT bringt einen Merkur-Essay von Markus Steinmayr über rechtsradikalen Umweltschutz unter der schönen Überschrift „Fridays for Yesterday“. Doch nicht erst die neue Rechte hat in der „unberührten Natur“ die ideale Kombination von Romantik und Regression entdeckt, wie die Ideengeschichte des biologistischen Antimodernismus zeigt. (29.07.20)
Bücher
Der Freitag bringt einen Auszug aus Dietmar Daths „Hegel to go“, der richtig Bock auf ein Büchlein mit dermaßen albernen Titel macht. +++ Die FAZ bespricht die von Noam Zadoff verfasste intellektuelle Biographie Gershom Scholems. +++ Benjamín Labatut hat wissenschaftshistorische Essays über Menschen geschrieben, die an die Grenzen des Denkens gingen, und die ZEIT ist begeistert von Stil und Methode. +++ Die ZEIT ist dagegen nicht zufrieden mit Susanne Boshammers harmlosem Buch darüber, „warum wir (nicht alles) verzeihen sollten“. +++ Die Verhaltensforscher Remo Largo und Michael Tomasello haben zwei dicke Bücher über das soziale Wesen des Menschen geschrieben, die die ZEIT in der Isolation ganz wehmütig machen. +++ Demokratie in den Händen alter weißer Männer: Die taz bespricht Emanuel Richters Buch über die politischen Folgen der gesellschaftlichen Überalterung. +++ Ebenfalls in der taz wird Gustav Horns Buch über den Zusammenhang von Neoliberalismus und Rechtspopulismus und die Not einer linken Wirtschaftspolitik vorgestellt. +++ Markus Gabriel sucht in Anlehnung an Kant in der Gegenwart nach Zeichen moralischen Fortschritts und ist der ZEIT trotzallem doch etwas zu optimistisch. +++ Verena Brunschweiger ist Antinatalistin und Feministin und plädiert in ihrem vom Freitag vorgestellten Buch für Kinderlosigkeit zugunsten des Klimas. +++ Donatella Di Cesare denkt über den liberalen Offenbarungseid nach, zu dem das Corona-Virus die westlichen Demokratien zwang, und der Freitag empfiehlt auch gleich noch ein etwas älteres Werk der Denkerin über die Berufung der Philosophie. +++ Wer „Die Pest“ schon durch hat, soll halt mal Guido Morsellis apokryphen (und traurig-schönen) Roman „Dissipatio humani generis“ als Buch der Stunde lesen, rät die NZZ.
Bild und Ton
Die SZ freut sich auf das gehobene Fernsehprogramm zum anstehenden 75. Jahrestag der ersten Atombombenwürfe, z.B. die Doku „Unser Freund, das Atom“ auf arte oder „Als die Sonne vom Himmel fiel“ auf 3sat:
Im Internet gibt es wirklich zu allem und jedem einen Porno. Darüber unterhalten sich Herr Meier und Frau Lenk in ihrem jüngsten Podcast:
Ab ins Herz der Finsternis: Im DLF kommt heute die Lange Nacht über Joseph Conrad. Lichtwolf-Leserinnen haben es geahnt: Fahrradfahrer sind die besseren Menschen. Damit beschäftigt sich ein dreiteiliger Radioessay von Johannes Ullmaier, den der DLF ab morgen in Essay und Diskurs wiederholt (weshalb alle Teile bereits online hörbar sind). Sklaverei, Hongkong und Georg Lukács sind Themen bei Sein und Streit. Fasziniert ist die taz von dem Hörspiel „Zusammen Walden“, bei dem 500 Menschen während des Lockdowns das berühmte Buch Thoreaus eingelesen haben und das nun in mehreren Teilen im WDR 3 zu hören ist.
Berichte aus der Akademie
Sylvia Kreiß schlägt bei Telepolis vor, allen die Teilnahme an Präsenzveranstaltungen freizustellen, um eine reine Online-Lehre im kommenden Semester zu vermeiden. +++ Auch die ZEIT blickt auf die Grabenkämpfe im Literaturarchiv Marbach, die wenige Monate nach Amtsantritt der neuen Leiterin ausbrachen. +++ Fleischkonsum schadet unter den Bedingungen der Massentierhaltung dem Klima und Gewissen, aber auch der Gesundheit? Spektrum wägt (mit Video) ab. +++ Investitionen und Renditen auf dem Kapitalmarkt widerlegen den Mythos, erneuerbare Energien seien eine viel zu kostspielige Alternative zu den (hoch subventionierten) fossilen Energieträgern, wie Telepolis aufschlüsselt.
Die Unordnung der Dinge
Ein sehr schönes Stück über den milliardenschweren Wirecard-Skandal und die Gier in der Finanzwelt legt Dieter Thomä in der ZEIT vor. +++ John Muir gilt in den USA als naturphilosophischen Humboldt – und biologistischer Rassist, weshalb nun auch die ihm gewidmeten Denkmale infrage gestellt werden, wie in der FR steht. +++ Die „Mohren-Apotheke“ in Kassel ist von Aktivisten kurzerhand umbenannt worden, indem sie das M entfernt haben, wie die taz berichtet. +++ Dient die Corona-Pandemie als Vorwand, um die Demokratie abzuschaffen? Carlo Ginzburg widerlegt in einem Text, den die FAZ nachzeichnet, dieses jüngste Geraune vom Untergang des Abendlands. +++ Alan Posener antwortet in der ZEIT einigermaßen empört auf den offenen Brief, in dem zahlreiche Intellektuelle vor der „Antisemitismus-Keule“ gegen „Israelkritik“ gewarnt hatten. +++ Eine in der SZ vorgestellte Studie legt nahe, dass Krisensituationen Gläubige gläubiger und Ungläubige ungläubiger machen. +++ Anlässlich des internationalen „Tags der Freundschaft“ am 30. Juli denkt der Tagesspiegel über persönliche Verbundenheit in Politik und Kultur nach.
Trotz Philosophie
Dass Zufriedenheit ähnlich schwierig wie die Zeit zu definieren ist, treibt Matthias Warkus in seiner Spektrum-Kolumne um. +++ Im Freitag lesen wir ein Interview mit James Lovelock, worin der 101-jährige Mitbegründer der Gaia-Hypothese u.a. über Gesundschrumpfung durch Pandemien und Klimakatastrophe spricht. +++ Das Lachen der Thrakerin hat nie aufgehört, es ist eher noch lächerlicher geworden, findet die FR. +++ Wie Walter Benjamin durch seine Zeit in der Schweiz geprägt wurde, beschreibt die NZZ nicht ohne Stolz. +++ Testweise gibt es LW65 zum Thema „Not“ nicht nur als Heft und E-Book für Kindle und im epub-Format, sondern auch als „Taschenbuch“ bei Amazon. Würden Sie Lichtwölfe lieber vom einbrüstigen Versandriesen beziehen?