Links der Woche, rechts der Welt 04/20

Nicht ohne Leber im Hades landen

Der Bundestag hat Jens Spahns doppelte Widerspruchslösung abgelehnt, stattdessen wird allen regelmäßig ein Organspendeausweis unter die Nase gehalten. Daniela Zeibig fragt bei Spektrum, warum so viele Menschen mit der Organspende hadern, und die Forschung fördert mitunter seltsame Vorbehalte zu Tage. (16.01.20)

 

Rousseau hatte Recht

Der Kapitalismus setzt auf extrinsische Motivation in Form von Geld und Freiheits- bzw. Liebesentzug. Andreas von Westphalen untersucht bei Telepolis, wie dieses Belohungs- und Strafregime schon die Kindererziehung prägt und die intrinische Motivation zu prosozialem Verhalten korrumpiert. (19.01.20)

 

Zwischen Nachtwächter und Gouvernante

Hans Ulrich Gumbrecht denkt in der NZZ über die Neuerfindung des Staates nach, über dessen Wesen und Aufgabe seit Fichtes Zeiten gestritten wird. Der US-Nachtwächterstaat und der europäische Sozialstaat kriseln jetzt aber ganz wirklich & ernsthaft und die autoritären Alternativen (inkl. Ökodiktatur, natürlich) scharren schon mit den Hufen. (20.01.20)

 

Staatsmoralismus am Werk

In Schweden wird „Normkritik“ institutionalisiert, was Thomas Steinfeld in der SZ einige Sorgen macht. Seit Foucault und Butler wissen wir ja, wie der vermeintlich harmlose Alltag durch Machtstrukturen geprägt ist, aber wer darum in allem eine abschaffungswürdige Repression am Werk sieht, ist selber repressiv. (20.01.20)

 

Theokratie ohne Grundlage

Katajun Amirpur berichtet für die ZEIT von der Situation im Iran, wo die Theokratie nach 40 Jahren der Religiosität den Garaus gemacht hat. So bestätigt sich auf ironische Weise die alte These von der unweigerlichen Säkularisierung der Moderne. (22.01.20)

 

Projektionen und schlechte Kopien

Kapert die Neue Rechte nun auch Marx? Über diese Frage unterhält sich Reinhard Jellen bei Telepolis mit „Widerspruch“-Herausgeber Konrad Lotter. Demnach sucht die Neue Rechte nicht nur bei Mohler und Heidegger nach einer philosophischen Fundierung, sondern auch bei der marxistischen Kritik der bürgerlichen Gesellschaft. (22.01.20)

 

Dienst an der Transformation

Liberalismus und Industrialisierung haben in die Zivilisationskrise geführt, die es nötig macht, unsere gesamte Lebens- und Denkweise umzustellen, worüber Leander Scholz im Freitag nachdenkt. Nötig ist es, die Begriffe von Bürger, Gesellschaft, Markt und Staat neu zu denken – und eine allgemeine sozialökologische Dienstpflicht könnte dabei helfen. (25.01.20)

 

Biokonservative vs. Bilderberger

Im zweiten Teil seines Telepolis-Essays über den Transhumanismus geht Thomas Barth dessen Verhältnis zur Menschenwürde auf den Grund, mit der das transhumane Unsterblichkeitsstreben und die dazugehörige Fortschrittsgläubigkeit öfters in Konflikt geraten. (25.01.20)

(Photo: Anestiev, Christo Anestev, pixabay.com, CC0)

Bücher

Patrik Svensson hat ein Buch über Aale geschrieben und Spektrum ist fasziniert, wie sich das geheimnisvolle Tier von Aristoteles bis Freud durch die europäische Ideengeschichte schlängelt. +++ Vor 100 Jahren erschien Ernst Jüngers „In Stahlgewittern“ und die FR würdigt das Buch als Dokument der Sachlichkeit und psychologisch-literarische Eloge auf den Soldaten in denkwürdigen Zeiten. +++ Der Liberalismus ist in die Defensive geraten und die taz stellt zwei Bücher von Andreas Reckwitz und Jan-Werner Müller zu seiner Ehrenrettung (als Mittel zur Befreiung bzw. Kunst des Kompromisses) vor. +++ Klaus Viewegs Hegel-Biographie wird von der taz dafür gelobt, die Denunziation als preußischer Staatsdenker zu widerlegen und an Hegels Freiheitsdenken heranzuführen. +++ Es geht nicht ohne ihn, aber auch noch so demokratische Staaten können scheitern, wie Daron Acemoglu und James A. Robinson in ihrer Geschichte des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft erklären, die der Tagesspiegel rezensiert. +++ Nicht ganz so zufrieden ist der Tagesspiegel mit Daniel Goffarts Warnung vor dem Verschwinden der Mittelschicht, findet es aber wichtig, sich über die Zukunft des Systems Gedanken zu machen. +++ Die FAZ stellt den Sammelband mit Essays vor, in denen sich Hannah Arendt mit dem Judentum auseinandersetzt.

 

Bild und Ton

Star-Trek-Freunde wissen es schon, alle anderen können mit einem Amazon-Abo liebäugeln: Beim Streamingdienst des einbrüstigen Versandhändlers kehrt Jean-Luc Picard als Kapitän zurück. Die ZEIT freut sich, dass hier wieder an das Grübeln im Weltraum über Moral, Verantwortung und Identität angeknüpft wird, das Star Trek TNG in den 90ern ausmachte, und wer nach Dietmar Dath Loblied in der FAZ keine philosophische Lust auf das Schauspiel hat, soll halt Fußball gucken.

Die Dinge der Ermordeten: Im DLF kommt heute Abend die Lange Nacht über die Habseligkeiten von Auschwitz. Bei Essay und Diskurs denkt Martin Zeyn morgen über Scham insbesondere in Bezug auf den Körper nach. Das schwierige Verhältnis zwischen Nord- und Südhalbkugel ist morgen ein Schwerpunkt bei Sein und Streit, während Guido Kreis und Jürgen Wiebicke im Philosophischen Radio des WDR 5 über Gottesbeweise und Gotteswiderlegungen sprechen.

 

Die Unordnung der Dinge

Christian Bangel rät in der ZEIT abermals der CDU, die Extremismus- und Hufeisentheorie aufzugeben, die gefährlich blind macht für den Standort des Feindes. +++ Eric Frey erklärt im Standard, wie Political Correctness für Linke wie Rechte zum Kampfbegriff wurde und warum der Pranger nicht immer die beste Lösung ist. +++ Philipp Ruch vom Zentrum für politische Schönheit gibt im FR-Interview Auskunft über die umstrittene Stelen-Aktion vor dem Reichstagsgebäude und warum er trotz allem weitermacht. +++ Nicolas Stemann hat Ayn Rands Kapitalismusverherrlichung auf die Theaterbühne gebracht und erklärt im NZZ-Interview u.a., warum man Rands Einfluss in den USA nicht unterschätzen sollte. +++ Der Tagesspiegel stellt Chinas führenden Staatsphilosophen Zhao Tingyang vor, der dem westlichen Universalismus die „Vision einer weltumspannenden Kooperation“ gegenüberstellt.

 

Berichte aus der Akademie

Die FAZ berichtet über ein Experiment, das zeigt, wie zufallsgenerierter Unfug durch postmodernen Tiefsinn zu großer Kunst geadelt werden kann. +++ Vor einem Jahr wurde in der Stavanger-Erklärung ein vorsichtiger Umgang mit digitalen Bildungstechnologie gefordert und die FAZ ist zufrieden, dass die Sorgen um die Zukunft des Lesens Gehör finden. +++ Am gleichen Ort lobt die FAZ den Hersteller Ubisoft dafür, dass man im Computerspiel „Assassin’s Creed: Odyssey“ durch ein von Historiker kuratiertes antikes Griechenland flanieren und z.B. Sokrates im Gymnasion zugucken kann:

 

Trotz Philosophie

Die FAZ bringt und bespricht ein Gedicht, mit dem der 21-jährige Martin Heidegger seine Kindheit verabschiedet. +++ Hermann Heidegger, adoptierter Sohn und Nachlassverwalter des Fundamentalontologen, ist gestorben, wie die die SZ meldet. +++ Auch Terry Jones ist diese Woche gestorben und die ZEIT ruft dem Monty Python nach. +++ Die FR weist auf eine vierteilige Vorlesungsreihe von Menachem Fisch über das Verhältnis der drei Monotheismen an der Uni Frankfurt hin. +++ Im Zuge der Klimakrise könnte der Totenkopfschwärmer häufiger nördlich der Alpen herumbrummen, weshalb Andrew Müller uns das faszinierende Insekt in der taz näher vorstellt.

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