Links der Woche, rechts der Welt 33/21

Menschen sind komisch

#Blessed oder #blöd? Maja Beckers beobachtet für die ZEIT den Instagram-Trend, Aufnahmen aus dem richtigen Leben im falschen mit Hashtags der Dankbarkeit zu versehen, die keinen Adressaten, aber ein Publikum haben und eine seltsame Wiederkehr des Calvinismus darstellen.

Was Autisten den sozialen Umgang erschwert, hilft ihnen beim rationalen Entscheiden: Spektrum schreibt über die Vorteile eines unausgeprägten Bauchgefühls. Im Dlf kommt heute Abend die Lange Nacht über das Leben auf kleinem Raum.

Arno Widmann macht in der FR mit dem schönen Begriff des „Lesewesens“ Werbung für eine Kulturtechnik, indem er gegen das Vorurteil argumentiert, sie sei nur was für Bescheidwisser und Topchecker.

Die NZZ portraitiert Ilaria Gaspari als muntere „Philosophin der Leichtigkeit“, die mit antiken Weisheiten Ratgeber für den distinguierten Alltag verfasst und mit 35 fast alles erreicht hat, was sie sich vorgenommen hat.

Mit dem Fremdschämen – in neudeutscher Jugendsprache „cringe“ – befasst sich Theodor Schaarschmidt bei Spektrum: Von Schadenfreude über Mitgefühl bis Kontaktschuld kann alles mögliche den Anblick fremder Peinlichkeit begleiten; und „Fun ist ein Stahlbad.“ kommt auch vor.

Nach einem Verfassungsgerichtsurteil können Ärzte Sterbehilfe leisten. Die Palliativmedizinerin Claudia Bausewein zählt in der ZEIT auf, über welche ethischen Fragen sich die Gesellschaft schleunigst einigen oder wenigstens klarwerden sollte.

Schöne Gegenwart

Verklärung, nicht Aufklärung, steht im Zentrum von Markus Kleinerts Begriffsgeschichte, die von der „metamorphosis“ oder „transfiguratio“ Jesu indirekt bis zur Warenästhetik reicht und in der FAZ vorgestellt wird. Dann könnte man mit der Gegenwartsästhetik von Moritz Baßler und Heinz Drügh weitermachen, die zur Enttäuschung des Tagesspiegels mit hohler Polemik gegen die Klassiker der ästhetischen Theorie auftreten.

Götz Eisenberg legt bei Telepolis einige Beobachtungen unserer ästhetischen Gegenwart vor: Fröhlichkeitszwang, Handyanbetung, Bubble Tea zum Aufwärmen in sozialer Kälte, die vom Motorenlärm überdröhnt wird. Heike-Melba Fendel hat nichts gegen Autos, einige ihrer besten Freunde sind Autos: Sie schildert in der ZEIT, wie es ist, sich nicht für einen Führerschein zu interessieren in einem Land, in dem sich alles um den fahrbaren Untersatz dreht.

Dann doch lieber alte Meister gucken? Die ZEIT hat die Albrecht-Dürer-Ausstellung im Aachener Suermondt-Ludwig-Museum besucht und ist begeistert, den großen Künstler auch als Reisenden und Theoretiker kennenzulernen.

Die Zukunft ist schon da

Letzte Woche ging es im Freitag um Metal in der Klimakatastrophe, diese Woche wird diese als Sujet der Literatur betrachtet: Claire Armitstead stellt das Genre der Klimafiktion oder „Cli-Fi“ anhand einiger Neuerscheinungen und Klassiker vor.

Auch die Stimmung hat schon einen Namen: ecological grief. Die SZ beschäftigt sich mit dieser lähmenden Mischung aus Angst, Wut und Trauer im Angesicht der Klimakatastrophe – und wie man ihr beikommt.

In Baden-Baden beschäftigt sich eine internationale Ausstellung mit dem Verhältnis zwischen politischer Macht und Ökosystemen, die laut FAZ auch die Frage aufwirft, wer da eigentlich wen beherrscht.

(Photo: Tama66, pixabay.com, CC0)

Deutschland entsendet derweil eine Fregatte in den Indopazifik und der Roman „2034“ malt aus, wie ein Zwischenfall nahe der Spratly-Inselgruppe die ganze Welt in einen Krieg zwischen China und den USA reinzieht; die SZ ordnet den Roman zweier Ex-Militärs politisch ein.

Die taz beschäftigt sich mit dem Rüstungswettlauf um autonome Kampfdrohnen, die anscheinend schon längst in Kriegen eingesetzt werden, womit sich einmal mehr die Rüstungslobby gegen die Ethikräte durchgesetzt hat.

Diese Woche wurde eine große Menge Kryptowährung gestohlen, dann aber wieder zurückgegeben von einem Hacker, der offenkundig Heideggerianer ist, wie die SZ meldet.

Denken gestern und heute

Die Karl-Marx-Buchhandlung in Frankfurt wird zu ihrem 50. Jahrestag in der FR vorgestellt, die auch Karl Liebknecht zum 150. Geburtstag gratuliert: einem aufrechten sozialistischen Demokraten, der vom Bürgertum zum Abschuss freigegeben wurde.

Slavoj Žižek wettert in der NZZ gegen Mitgefühl und Wohltätigkeit, die die Ordnung, die sie nötigt macht, nur stabilisieren, weswegen es links ist, Migranten abzulehnen. Herfried Münkler wiederum hat in seinem in der SZ rezensierten Buch Karl Marx, Richard Wagner und Friedrich Nietzsche als deutschester Dreigestirn zusammengedacht.

Über die Aktualität Sigmund Freuds unterhalten sich Vera King und Jürgen Wiebicke im Philosophischen Radio des WDR 5.

Selbst Adorno hatte Schwierigkeiten, Samuel Beckett zu verstehen, woran die FAZ bei der Analyse eines Photos aus dem Jahre 1961 erinnert. Diese beiden waren da auch nicht fern: Unter den zahlreichen Nachrufen auf den großen alten Intellektuellen Karl Heinz Bohrer sei hier auf die Zeilen von Jürgen Habermas verwiesen, der sich in der FAZ an ihr Kennenlernen im wilden Jahr 1967 erinnert und daran, wie es mit der rheinländischen Literaturtheorie weiterging.

Eine trotzphilosophische Grundlage für jeden Bodyshaming-Diskurs liefert der aktuelle Lichtwolf Nr. 74 zum Thema „Haut und Knochen“ – erhältlich als Paperback sowie als E-Book.

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