Links der Woche, rechts der Welt 18/20

Auch eine Krise der Theorie

Julia Encke resümiert in der FAZ die schrillen Töne, die u.a. Agamben, Žižek und Sloterdijk im bzw. über den angeblichen Ausnahmezustand anschlagen, während der Virologe Christian Drosten sich gerade mit seiner Bedächtigkeit beliebt macht und die Ökonomin Maja Göpel die Theorie der Wirklichkeit anpasst – und nicht umgekehrt. (26.04.20)

 

Eine kleine Geschichte der Autarkie

Mit dem zoon politikon ist in Quarantäne nicht viel los, weshalb Lea Haller in der NZZ auf das Phänomen der Einsamkeit blickt, die allzu gern pathologisiert wird. Dabei findet sich von Epikur über Petrarca und Montaigne bis Nietzsche durchweg ein Lob des Rückzugs ins Lesen, Denken, Schreiben und Selbstgenügen – das allerdings auch intellektuelle Gefahren birgt. (28.04.20)

 

Wirklichkeit des Virus

René Scheu unterhält sich für die NZZ mit Markus Gabriel u.a. über dessen Fiebersymptome, das Leben in einer Simulation und die epidemiologische Fiktion, die tiefgreifende politische Maßnahmen legitimiert. Doch die ihm immer wieder fragend aufgedrängte Agenda der NZZ will er nicht philosophisch adeln. (28.04.20)

 

Kein Körper ist eine Insel

Elsa Koester hat sich für den Freitag bei diversen Fachleuten umgehört, welche Folgen der Mangel an körperlicher Nähe in diesen Zeiten hat – und das betrifft mit Oxytocin und Mikrobiom nicht nur das Offensichtliche, sondern wirft ein ganz neues Licht auf das Fundament von Foucaults Biopolitik-Begriff. (29.04.20)

 

Maske nur mit Stirnrunzeln

Am Begriff „Verschwörungstheorie“ gibt es schon länger Kritik. Peter Nowak schlägt bei Telepolis „irrationales Denken“ als treffenderen Ersatz vor und verweist dazu auf die blind befolgte Maskenpflicht, die zu hinterfragen einen ebenso ins gesellschaftliche Abseits bringt wie Trump zu loben (Wofür?). (01.05.20)

 

Das Schönste im Leben ist umsonst“

Zu all den Sorgen kommt nun auch die Angst um den Kapitalismus, schreiben Elisabeth Raether, Mark Schieritz und Bernd Ulrich in der ZEIT. Der Lockdown hat alles Treiben aufs Wesentliche reduziert und diese Erfahrung könnte dem Hyperkonsum den Garaus machen, weil sie eine durchaus angenehme war. (01.05.20)

(Photo: Bessi, pixabay.com, CC0)

Bücher

So kann es mit uns nicht weitergehen – und warum das so ist, erklären die neuen Bücher von Maja Göpel und Jonathan Franzen, die der Tagesspiegel zur gemeinsamen Lektüre empfiehlt. +++ Renate und Gernot Falkner versuchen sich an einer Philosophie des Lebens, die bei Spektrum als „Zitate-Steinbruch von Esoterikern und Kreationisten“ abgewatscht wird. +++ Schon jetzt darf man gähnen über die Corona-Bücher, die längst in der Mache sind. Der Freitag macht sich einen Spaß daraus und phantasiert das Herbstprogramm der Verlage zusammen.

 

Bild und Ton

ZDFneo spielt in der Miniserie „Deutscher“ (Komparativ wohl beabsichtigt.) durch, wie sich die normaldeutschen Vorstadtbewohner nach einem Wahlsieg von Rechtspopulisten verändern, und die FAZ empfiehlt das insgesamt. Hier geht es zur Mediathek.

Kein Gott, kein Staat, kein Vaterland: Im DLF kommt heute die Lange Nacht über Anarchismus. Gestern ging es bei Essay und Diskurs ums Weinen, morgen wird „Die Erfindung des Geldes“ wiederholt. Kritik und Überwindung des Kapitalismus sind die Themen bei Sein und Streit.

 

Die Unordnung der Dinge

Die Maske ist das Zeichen unserer Zeit – weshalb man mal in der SZ die kleine Kulturgeschichte des Gesichtsfetzens im Zwielicht von Hygiene und Karneval lesen soll(te). +++ Ihre Datenspende, bitte: Adrian Lobe denkt in der taz einigermaßen erratisch über Foucaults Biopolitik und die seltsam beliebte Corona-App des RKI nach. +++ Die FAZ verteidigt Cornelia Koppetsch, deren AfD-Buch letztes Jahr wegen plagiierter Textstellen und seltsamer Sympathie für den Forschungsgegenstand durchfiel, gegen die „akademische ‚Cancel Culture‘“.

 

Berichte aus der Akademie

Anlässlich der Veröffentlichung von UFO-Videos durch das Pentagon denkt Florian Rötzer bei Telepolis u.a. über Viren aus dem All nach. +++ Wer gerne den kantischen Blick in den Sternenhimmel wagt, wird die von Elon Musk in den Orbit geschossenen Satelliten bemerkt haben, die Clemens J. Setz in der FAZ völlig zu Recht beschimpft. +++ Der Anglist Theo Stemmler freut sich über Neologismen und Jugendsprache, bittet in der FAZ aber sehr charmant darum, einer weiteren Verlotterung der Grammatik um der Satzlogik willen Einhalt zu gebieten.

 

Trotz Philosophie

Michael Jäger nutzt im Freitag die Quarantäne für eine Untersuchung der „Spannung zwischen distanziertem Engagement und ‚view from nowhere‘ bei Habermas“ in vier Teilen. +++ Dennis Yücel gratuliert Hegel im Tagesspiegel etwas voreilig zum 250. Geburtstag und sammelt dazu sowohl O-Töne aus der Hegelforschung als auch aktuelle Dissertationsvorhaben mit Hegelbezug. +++ Die Philosophie lobt von Seneca bis Derrida die Distanz, die nun schon seit Wochen von allen gefordert wird – die taz empfiehlt, sich darauf einzulassen. +++ Ebd. träumt Helmut Höge den Traum des Misanthropozäns von der Rückkehr der Natur in jäh menschenleere Städte (mehr zum Thema übrigens u.a. in LW63 und LW67). +++ Der Standard stellt Walter Benjamins Über den Begriff der Geschichte“ von 1940 vor.

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