Freiburger Reaktionen auf das Karlsruher Urteil

Bericht von der Vollversammlung des 26. Januar 2005.

von Timotheus Schneidegger, 27.01.2005, 19:19 Uhr (Freiburger Zeitalter)

 

Da hatte die Pressewelt wieder etwas zu berichten, als das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am Morgen des 26. Januar die 6.Novelle des Hochschulrahmengesetzes (HRG) für nichtig erklärte. Die Bildzeitung schreibt heute mit der ihr eigenen levianthanischen Unbeholfenheit an Stil und Inhalt vorbei: „Die Bundesländer dürfen von den Studenten Studiengebühren erheben.“ und wendet sich gleich ihrer Zielgruppe zu, der sie erklärt, was das heißt, nämlich „daß die alleinerziehende Verkäuferin und der Baggerfahrer mit ihren Steuern nicht mehr die Ausbildung der Professoren-Kinder mitfinanzieren müssen!“ [sic!]. spiegel.de füllte sich im Laufe des gestrigen Tages mit diesbezüglichen Beiträgen – und verlor dabei, je später die Stunde, immer mehr den Boden der Tatsachen unter den Füßen. Am Abend nach dem Urteil hieß es unter der Überschrift „Furcht vor dem Flickenteppich“ schließlich: „Überraschend kam das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nicht: Studiengebühren sind mit dem Grundgesetz vereinbar.“ Hätte das BVerfG diese Aussage getroffen, wäre die Überraschung in der Tat groß gewesen. Aber über Studiengebühren selbst, so stellte Richter Hassemer gleich zu Beginn der Urteilsverkündung klar, werde hier gar nicht entschieden. Das Urteil weise einzig und allein den Anspruch des Bundes zurück, zum gegenwärtigen Zeitpunkt in die Länderhoheit einzugreifen, indem er mit dem neuen HRG bundesweit ein gebührenfreies Erststudium und verfasste Studierendenschaften vorschreibt.

 

Baden-Württemberg, eines der Länder, die dagegen geklagt hatten, sieht sich bekanntermaßen als Vorreiter in Sachen Asozialität der Hochschulen. Die dreitägigen Freiburger Proteste vor einem Jahr richteten sich gegen die Neuerungen des Landeshochschulgesetzes (LHG), das nicht nur Studiengebühren vorsieht, von denen keiner weiß wofür sie verwendet werden; das auch nicht nur die Studierenden weiterhin von der Mitbestimmung ausschließt, sondern das auch weitere für die CDU in gottlosen Zeiten typische Volten schlägt, wie z.B. die ersatzlose Streichung des Passus, die Universität habe Bildung zu vermitteln und zu einem freien, mündigen Bürger zu erziehen, oder die schleichende Umwandlung der Hochschulen in Unternehmen.

Nach den Protesttagen hatte die Vollversammlung am 22.01.04 beschlossen, im Fall eines positiven Beschlusses des BVerfG über die Länderklage gegen das HRG sofort in den Streik zu treten. Die Debatte darüber nahm den Großteil der gestrigen Vollversammlung in Anspruch, wenngleich sie weniger eine Debatte, denn eine fortlaufende Akklamation, es müsse etwas getan werden, war. Obwohl jeder mit diesem Karlsruher Urteil rechnen musste, und obwohl noch nicht einmal die Klägerländer das laufende Semester das letzte ohne Studiengebühren sein lassen werden, also gar nicht die Not zu überstürzten Aktionen besteht – die im Übrigen in der Politik eh nichts zu suchen haben –, nahm sich das randvolle Freiburger Audimax wie eine entsicherte Waffe aus. Ein Agitator hätte den anwesenden Bruchteil der laut jüngstem Spiegel-Ranking zweitbesten Studenten Deutschlands, der sich wenigstens dann zu einer Vollversammlung schleppt, wenn es ums Geld geht, zu allem aufwiegeln können. In der Atmosphäre hätte jeder Aufruf seine willigen Vollstrecker gefunden, wäre er nur in die Forderung nach einem gebührenfreien Studium und sozialer Gerechtigkeit eingekleidet. Jede solche Bekundung allgemeiner Unzufriedenheit löste genauso sicher begeistertetes Kriegsgeschrei aus, wie ein Redebeitrag, dem eben diese volksgemütliche Note fehlte, sonderbarste Häme. Sebastian Mohr von den JuLis ist ein elender Besitzstandswahrer und Karrierist – logo, sonst wäre er ja nicht bei einer bürgerlichen Hochschulgruppe – und seine vorgeschlagene „Salamitaktik“, statt der wirkungslosen Streikerei die juristischen Schwächen des LHG anzugreifen, gehört längst ins Repertoire der Anstrengungen baden-württembergischer Studierendenvertretungen. Doch trotz der Überflüssigkeit des mehrfach von Zwischenrufen unterbrochenen Redebeitrags aus dem Munde dieses einsamen AStA-Mandatsträgers gehört eine ordentliche Portion Schneid dazu, sich wie in jeder Vollversammlung der blanken Feindseligkeit des u-Plebs zu stellen (im Gegensatz zu den Figuren vom RCDS, die ja nur noch auf dem Hochglanzpapier ihrer Wahlplakate existieren). Damit war besonders gestern kein Blumentopf zu gewinnen, in einer Vollversammlung, die nicht diskutieren, sondern protestieren wollte und auf alles andere reagierte, als sei es eine Apologie des von Stuttgart ausgehenden novus ordo universitatis. Die beinahe einstimmige Annahme des Antrags, erst im Sommersemester 2005 im Verbund mit anderen Unis zu streiken, war da regelrecht erstaunlich; das Ausbuhen der wenigen, die es wagten, gegen den Volkszorn mit „Nein“ zu stimmen, dagegen typisch. Wer das möchtegernrevolutionäre Treiben aus der Ferne betrachtet, mag lachen, wer Sympathie für die Studierenden empfindet, traurig den Kopf schütteln, wie auch diejenigen von der aufgebrachten Masse ausgepfiffen wurden, die den Antrag ablehnten, weil sie sofort streiken wollten, anstatt nun monatelang an Magengeschwüren ob unartikulierten Ärgers zu laborieren. Das Spektakel nährt Zweifel daran, wie zweckmäßig es ist, Vollversammlungen – die im Freiburger u-Modell immerhin das höchste weisungsbefugte Gremium sind – in einer derartig aufgeladenen Atmosphäre zu veranstalten. Das Gros der Studierenden ist jedoch nur dann, wenn die persönliche Betroffenheit ihm frisch ins Bewußtsein getreten ist, für Protestaktionen zu mobilisieren.

 

Der Richterspruch des BVerfG kam so überraschend wie Weihnachten. Viele fragten sich: Woher auf den letzten Drücker ein Geschenk nehmen, d.h. was nun, was tun? Eine sofortige Reaktion auf die Urteilsverkündung hätte auch in Freiburg vorbereitet werden können – Studierendenvertretungen in anderen Universitätsstädten haben es ja im wahrsten Sinne des Wortes demonstriert. Daß es am gemächlichen Oberrhein nicht zur umgehenden Brandschatzung der CDU-Büros kam, liegt wohl nur daran, daß niemand auf die Idee kam, in der Vollversammlung dazu aufzurufen. Eine sonderbare Ratlosigkeit blieb im Audimax zurück, während draußen eine kleine von hellsichtigen Polizisten behütete Spontandemo veranstaltet wurde. Die tätliche Reaktion der Freiburger Studierenden auf die Kassation des HRG stand in keinem Verhältnis zu ihrer Erregung – durchaus ein Grund zur Erleichterung. Denn es geht für einen Studierenden in BaWü nicht in erster Linie darum, seiner Frustration darüber Luft zu machen, nicht den geringsten spürbaren Einfluß auf das zu haben, was deutlich spürbaren Einfluß auf ihn haben wird. Protest ist nach dem Karlsruher Urteil genauso unabdingbar wie am Tag zuvor – der Richterspruch hat schließlich weder alte Übel beseitigt, noch neue hinzugefügt, sondern nur eine mögliche Rettung vor ihnen zunichtegemacht. Wenn Stuttgart nach höchstwahrscheinlich gewonnener Landtagswahl zum Wintersemester 2006/7 Studiengebühren einführt, wird es zu spät sein; bis dahin aber ist noch genug Zeit, einen angemessenen Protest zu organisieren, der nicht auf spontaner Aufgewühltheit, sondern auf nüchterner Einsicht in die Unerträglichkeit der Stuttgarter Pläne gebaut ist. Nur ein solcher nämlich kann wirksamer sein als der Ringelpietz mit Anfassen und Haschkeksen vom Januar 2004.

 

Das erste Treffen zur Koordination der kommenden Proteste findet am Mittwoch, 02.02. um 18h in HS 1009 statt. Kommende Woche wird symbolisch in allen Himmelsrichtungen Deutschlands demonstriert: Das Treffen für die Manifestation des Südens in Mannheim ist am darauf folgenden Donnerstag, 03.02. um 9:30h vor dem Konzerthaus am Bahnhof.

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