Jede Stimme zählt – die bedrohte Mehrheit im AStA

von Timotheus Schneidegger, 02.11.2004, 12:16 Uhr (Freiburger Zeitalter)

 

Politik ist langweilig. Wer die Zusammenkünfte des Allgemeinen Studierendenausschusses der Uni Freiburg in den letzten Semestern mitverfolgt hat, darf sich ruhigen Gewissens eingestehen, der hypnotischen Wirkung des immer gleichen Trotts anheimgefallen zu sein: Die in Überzahl vertretenen AStA-Mitglieder des BuF (Bündnis unabhängiger Fachschaften) würden einen Vorstand und o-Referenten gemäß ihren Vorgaben aus der FSK (Fachschaftenkonferenz) wählen. Die Opposition aus Hochschulablegern der großen Parteien mochten meckern und klagen, dafür oder dagegen votieren, oder – wie es der RCDS üblicherweise tut – gar nicht erst im AStA auftauchen – es würde alles nichts an der absoluten Mehrheit ändern, mit der BuF seit Jahr und Tag im AStA schaltet und waltet. Auch dies immer gleich: BuF schlachtet die Posten der offiziellen Studierendenvertretung zugunsten der unabhängigen Strukturen des u-Modells (das bereits an dieser Stelle beschrieben wurde) finanziell aus und quittiert die AStA-Sitzungen von da an mit pro-forma-Sitzungen, in denen kaum mehr gemacht wird als die Anwesenheit festzustellen und die hilflose Opposition auszulachen.

Manchmal wird jemandem ein Furzkissen auf den AStA-Sitz gelegt, das war’s aber auch schon. Diese Routine war eigentlich auch für die gegenwärtige Legislaturperiode zu erwarten. Daß die buf-Fraktion mit acht von 15 Sitzen nur noch ganz knapp im AStA prävaliert, brachte zunächst nichts weiter als das nicht gerade aufsehenerregende Novum der Anwesenheitspflicht für jeden ihrer Vertreter.

 

Politiker werden gemeinhin solange für zurechnungsfähig gehalten, wie sie die unspektakuläre Gleichmäßigkeit ihres Geschäfts reproduzieren und die Aussage „Politik ist langweilig.“ im Bereich dessen halten, was der Fall ist. Manchmal aber verliert einer den Verstand – und dann wird es spannend. Das gilt, wie sich zeigt, auch im Sandkasten der Studierendenpolitik.

buf

Martin Lyssenko (links) überlegt im Kreise seiner Fraktion: Annuit coeptis?

 

In der ersten Sitzung des AStA 2004/05 am 22.10.04 kündigte einer der acht buf-Vertreter, Martin Lyssenko, sein imperatives Mandat und erklärte sich zum absoluten AStA-Mitglied. Unter anderen Umständen hätte die Weigerung eines buf-Vertreters, die Beschlüsse der FSK und Vollversammlungen im AStA durchzusetzen, nur für Stirnrunzeln und einen Anruf in Emmendingen gesorgt, um nachzufragen ob einer aus der Geschlossenen ausgebüchst ist; nicht jedoch bei dem knappen Mehrheitsverhältnis von acht zu sieben.

Die sieben Sessel der Opposition verteilen sich auf drei JuSos und je einen von den JuLis und seattle (den Kapitalistenjägern, nicht der Stadt!). Die beiden Gewählten des RCDS bewiesen ihr hochschulpolitisches Engagement einmal mehr durch Abwesenheit.

Aber auch die achtköpfige buf-Fraktion war nicht komplett: Ein Mitglied fühlte sich seinen Weisungen nicht mehr verpflichtet, und Martins Verlobte Lisa Dietsche (wie er ein zurückgetretener u-asta-Vorstand) ließ ihren Platz im AStA verwaist, weil sie für eine Psychologenparty den Flur fegen musste; der Weltgeist hat die Unpäßlichkeit der ursprünglich dafür Verantwortlichen durch einen Todesfall in der Familie eingerichtet.

 

buf stand mit sechs Stimmen den fünf Stimmen der Opposition gegenüber – und Martins wurde holladiewaldfee zur meistbeachteten im AStA. Allein die Enthaltungen des JuLi- und des seattle-Vertreters erlaubten es der buf-Fraktion, wenigstens den AStA-Vorsitz und einige Referenten gemäß den FSK-Vorgaben zu wählen. Dem Schwitzkasten ist buf damit aber noch längst nicht entronnen: Folgt der RCDS Martins Weckruf und schickt seine beiden Vertreter zur kommenden AStA-Sitzung im November, können die Vorstände und Referenten mit den Stimmen der Opposition und der von Martin auch wieder abgewählt werden.

Dies gilt jedoch als unwahrscheinlich: Die seattle-Gruppe hat Martin seine Rolle im Streit um die Besetzung der Freiburger CDU-Zentrale während der Januar-Protesttage (wir berichteten hier und später noch einmal hier) übel genommen und würde eher den Irakkrieg für völkerrechtlich einwandfrei erklären, als mit Martin zu kooperieren. Außerdem hatte Martin per email am 25.10.04 erklärt, den u-asta nicht behindern, sondern zu Reformen zwingen zu wollen. In seinen Augen sinnvolle Ansinnen der buf-Fraktion werde er natürlich auch weiterhin durch den AStA passieren lassen. Die JuSos bekundeten in gleicher Manier am 30.10.04, keinen „Tötungsversuch“ am u-asta unternehmen zu wollen.

Falls nachher alles in die Wicken geht, wird schon jetzt klargestellt, daß keiner Schuld gewesen sein will. Der u-asta, der sich durch die Mittel der AStA-Gremien finanzieren muß, spürt die Axt an seine Wurzel gelegt. Für den u-asta geht es um die Wurst: Allein durch die absolute Mehrheit des BuF im AStA gelangt er an seine Infrastruktur. Ohne sie bräche die Handlungsfähigkeit des u-asta ein – sein Schicksal wäre spätestens mit den nächsten Uniwahlen im Mai 2005 besiegelt, vor denen der RCDS die letzten Reste des BuF mit Hochglanzwahlplakaten ins Bächle spülen würde.

Entsprechend aufgeregt ging es in der FSK vom 26.10.04 zu, in der die Gesandten der u-Fachschaften gemeinsam mit den u-Vorständen Daniele Frijia und Clemens Weingart überlegten, wie mit der im AStA bedrohten Mehrheit ihres u-Modells umzugehen ist.

In einer Klausur über Reformen des u-Modells zu debattieren, um nach außen unbeeindruckt zu wirken, kam für die FSK gar nicht in die Tüte: Wenn sich der u-asta zu solchem Getue verleiten ließe, könne man den Laden auch gleich dichtmachen und wenigstens mit gewahrtem Anstand untergehen. Ähnliche Absagen erhielten die Erwägungen, sich der Stimmen des JuLi- oder seattle-Vertreters zu versichern, Martins Unfalltod zu arrangieren oder dem Abtrünnigen ein Angebot zu machen, das er nicht ablehnen kann.

Die FSK gab sich trotz Ratlosigkeit kämpferisch: Das u-Modell habe nun die Chance, sich zu bewähren. Wenn der Rückhalt in den Fachschaften groß genug sei, könnten die u-Strukturen bis zur nächsten Wahl auch dann aufrechterhalten werden, wenn die Opposition ihnen mit Martins Hilfe durch den AStA die Infrastruktur (nicht nur Moneten, auch die Räumlichkeiten) unterm Gesäß wegzieht. Es sei daher wichtig, die Basis aufzuklären (die Studierenden) und zu formieren (die Fachschaften). Die Situation soll auf der Vollversammlung am 3. November zur Sprache kommen, und nicht wie im Mai/Juni der Streit darüber, wie sich der u-asta gegenüber den Studierenden verhalten soll, die während des Unistreiks die CDU-Zentrale besetzt hatten, ausgesessen werden.

 

Viel machen kann der u-asta nicht, selbst wenn die Studierenden auf der Vollversammlung beschließen würde, Martin geteert und gefedert aus der Stadt zu jagen. Die Empörung darüber, wie er über die buf-Listen in den AStA gelangt ist, um dort das u-Modell in Frage zu stellen, für dessen Bestand seine Fraktion im Mai wiedergewählt worden ist, mag noch so groß sein, der u-asta hat keine Möglichkeiten einzugreifen. Martins Verhalten stellt keinen Verstoß gegen die u-asta-Satzung dar, die sowieso keine Sanktionsmaßnahmen gegen AStA-Mitglieder enthalten kann, weil es sich – Sinn der Sache – um zwei rechtlich voneinander unabhängige Organe handelt. Eine vorzeitige Abwahl Martins ist nicht drin, einzig ein formaler Ausschluß aus der buf-Liste wäre denkbar. Den könnte der Betroffene dankend annehmen ohne dadurch sein AStA-Mandat einzubüßen.

Wie ohnmächtig die Instanzen des u-Modells jemandem gegenüberstehen, der sich hervorragend mit ihren Verfasstheiten auskennt und seine Möglichkeiten zu nutzen weiß, zeigt sich auch an der u-Fachschaft Philosophie, die verzweifelt darum bemüht ist, sich irgendwie von Martin, ihrem „prominentesten“ Mitglied, zu distanzieren, um nicht vor der ganzen Uni als Brutstätte des Wahnsinns dazustehen. Martin auszuschließen ist nicht möglich, da alle Studierenden eines Fachs automatisch Mitglieder seiner Fachschaft sind. Die Katholische Kirche kann exkommunizieren, den Fachschaften ist durch ihr basisdemokratisches Gutmenschentum weniger „Schlagkraft“ vergönnt. Die Philosophen könnten noch nicht einmal verhindern, daß Martin als ihr Vertreter in der FSK an Abstimmungen teilnimmt. Würde er es spaßeshalber darauf anlegen, gäbe es faktisch zwei konkurrierende Philosophie-Fachschaften vor dem u-Modell. In diesem Fall müsste gemäß §5 (6) der u-asta-Satzung eine Fachbereichsvollversammlung darüber entscheiden, welche der beiden die von den Studierenden legitimierte Fachschaft ist. Was Martins Fachschaft bleibt ist, sich offiziell zum u-Modell in seiner jetzigen Form zu bekennen und von Martin zu distanzieren.

 

Auf die Enttäuschung und Wut, die er ausgelöst hat, reagiert Martin gelassen wie Buddha. Es sei nicht seine Schuld, wenn das u-Modell ihm die Schritte erlaube, die er tut. Wie in Sachen Klonforschung ließe sich darüber streiten, ob alles, was machbar ist, auch gemacht werden muß.

Seinen kairos hat Martin jedenfalls genutzt. Im AStA kann er es mit seiner Stimme darauf ankommen lassen und hat den u-asta schon dazu eingeladen, sich blaue Augen und blutige Nase abzuholen. Wenn Martins Verlobte Lisa ihr AStA-Mandat aufgäbe und als eine der vier studentischen Vertreterinnen im entscheidungsmächtigen Senat (der dem AStA übergeordnet ist) zurückträte, würde ihr Gemahl in spe nachrücken. Eine günstigere Lage, um Forderungen an den u-asta zu stellen, ist kaum zu erreichen, schon gar nicht für eine einzelne Person. Für die Freiburger Studierendenvertretung dagegen hätte es kaum einen ungünstigeren Moment dafür geben können, sich eine grundlegende Neuordnung abpressen zu lassen, als wenige Tage vor der Anhörung des Bundesverfassungsgerichts zum Verbot von Studiengebühren.

 

Darüber, was Martin antreibt, gibt es unter Beobachtern, Szenekennern und sowas verschiedene Meinungen. Opportunistischer Ego- oder Powertrip, Mitleid mit RCDS & JuSos, al-Kaida-Mitgliedschaft, Sachverstand, Dämonenbesessenheit oder der verständliche Wunsch, die Gästeliste und damit die Kosten seiner anstehenden Hochzeit möglichst klein zu halten – was auch immer dahintersteckt: Für Aufregung in der Freiburger Studierendenpolitik ist gesorgt.

 

Im zweiten Teil dieses Dossiers wird das von Martin geforderte Konzept einer Studierendenvertretung beleuchtet. Darin wird das u-Modell einer hochschulgruppenfreundlichen Repräsentation dem gegenwärtigen, das fachschaftsgebundene Basisdemokratie für sich reklamiert, gegenübergestellt.

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