Links der Woche, rechts der Welt 24/21

Letzte Woche gab es keine Links der Woche. Haben Sie es gemerkt? Entschuldigung, aber die Arbeit am nächsten Lichtwolf ging vor. Der erscheint in einer Woche und ist trotz des Titelthemas „Haut und Knochen“ mitnichten spindeldürr. Abo gefällig?

Apropos: Wie der einzige bunte Lichtwolf mit Katze und Drag aussieht und sich noch dazu anhört, zeigt dieses Video, in dem Miranda Cortez Ulrich Elsbroeks Text über die Frage des Nichts aus LW49 vorliest:

 

Linke Problemlagen

Nach der Lektüre einiger zeitgenössischer Vordenker erklärt Artur Becker der heutigen Linken in der FR, was ihr Problem ist: Seit der ideologischen Ernüchterung taumelt sie utopiescheu zwischen Realpolitik und Populismus durch die Weltgeschichte. Lea Grundig schuf in den 1960ern einen zwischen Dada und sozialistischem Realismus angesiedelten Bild-Zyklus zum Manifest der Kommunistischen Partei, der in der DDR nicht erscheinen durfte, aber zur Freude des Freitags nun veröffentlicht wird.

Christoph Nix bleibt als 68er beim Kommunismus und schöpft im Freitag die Begründung dafür aus Lebenserfahrung und Altersweisheit. Doch man glaube nicht, völlig ideologiefrei denken zu können: Matthias Warkus stellt in seiner Spektrum-Kolumne eine schöne Definition von Ideologie als „Denkfehler höherer Ordnung“ vor. Es ist jedenfalls nicht links, Wahrheitswerte davon abhängig zu machen, wer etwas sagt: Marlon Grohn legt bei Telepolis eine pointierte materialistische Kritik identitätspolitischer Sensibilität vor.

 

Lukács kommt wieder

Zum 50. Todestag von Georg Lukács ist eine Anthologie vor allem seiner frühen Schriften erschienen, die dem Freitag etwas Hoffnung auf eine Renaissance seines riesigen Werks macht. Auch die FAZ stellt den bei Suhrkamp erschienenen Sammelband vor, der einen Einstieg in Begriffe wie „Verdinglichung“ und „transzendentale Obdachlosigkeit“ und das Verhältnis von Theorie und Praxis ermöglicht. Rüdiger Dannemann ist neben Axel Honneth einer der Herausgeber und stellt Georg Lukács im Freitag mit einem kleinen ABC nämlicher Begrifflichkeiten vor, während der Standard Lukács als „Adorno des Ostens“ und „Stehaufmännchen des Weltkommunismus“ würdigt.

 

Nachlässe

Edmund Husserls Nachlass ist bis heute nicht vollständig entziffert und veröffentlicht – aber wenigstens vor den Nazis gerettet. Wie das kam, darüber hat Toon Horsten einen veritablen Wissenschaftskrimi vorgelegt, der in der SZ besprochen wird. Der Nachlass von Hannah Arendt dagegen ist von der Library of Congress diese Woche komplett und durchsuchbar ins Netz gestellt worden.

 

A posteriori ist man immer klüger

Julian Nida-Rümelin weiß in seinem Buch „Die Realität des Risikos“ ex post besser, was alles in der Pandemiebekämpfung schiefgelaufen ist, doch ausweislich der SZ-Rezension ist es zu anspruchsvoll für „Querdenker“. Auch Olivia Mitscherlich-Schönherr ist unzufrieden mit der bisherigen Corona-Politik und bedauert im Freitag-Interview, dass in der Krise nicht die Philosophinnen gefragt wurden. Auf Mathias Greffrath ist immer Verlass, weshalb seine dreiteilige Überlegung, was nach der Pandemie bleibt und wie es weitergehen soll, bei Essay und Diskurs im DLF empfohlen sei.

Stammt die Pandemie nun doch aus einem Labor? Die FAZ kommentiert die aktuelle Lage im „epistemischen Bürgerkrieg“.

 

Wie geht’s der Uni?

An der Uni Halle geht es wie bei vielen Sparrunden den Nischenfächern an den Kragen, weshalb die ZEIT sich mit Katharina Bahlmann über den Wert akademischer Orchideen unterhält. Halle ist überall, wie Laura Henkel in der FAZ nach der vorerst abgewendeten Sparplänen anmerkt: Der Effizienzfimmel bedroht auch andernorts die Idee der Universität.

Im Pariser Centre Pompidou fand dagegen eine Art interdisziplinäres Speed-Dating zur Zukunft der Menschheit statt, bei dem die SZ erstaunliche Querverbindungen aufblitzen sah.

 

Wo Menschen schön wohnen

Auch in sozialen Beziehungen herrscht das Kapital, das ausgerechnet durchs Schenken vergrößert wird, wie eine Studie zeigt, über die die SZ berichtet. Die FAZ resümiert eine andere Studie, wonach Frauen mit der ungleichen Arbeitsteilung in ihrer Beziehung ganz zufrieden sind, weil es so besser klappt.

In der FR erinnert Arno Widmann (Skandal!) an die publizistische Aktion „Wir haben abgetrieben!“ vor 50 Jahren und den bis heute fortdauernden Kampf gegen § 218 StGB. Und was ist mit den Männer von heute los? Als EM-Alternative hat das ZDF einen Haufen „Boys“ um die 30 vor die Kamera gesetzt und zu ihren Einstellungen, Gefühlen und Erfahrungen befragt, was die FR als gelungenes Experiment lobt.

Der Stoff, aus dem arte-Dramen sind: Ob der Turiner Philosoph Gianni Vattimo einem Erbschleicher verfallen ist, wird in der FAZ erörtert.

(Photo: Victoria_Borodinova, pixabay.com, CC0)

Dann doch lieber alleine bleiben? Die Medizin warnt vor Einsamkeit als Gesundheitsgefahr, die Philosophie schätzt sie für den Tiefsinn und die Psychologie für die Kreativität: Raphael Rauh stellt bei Spektrum den Nutzen und Nachteil der Einsamkeit vor. Über die Bedeutung der Wohnformen für den Klimaschutz hat Gernot Wagner ein Buch geschrieben, das bei Spektrum rezensiert wird. Die Lange Nacht übers Häuslebauen kann man im DLF nachhören.

 

Was tun beim Klimaschutz (?)

Für die taz berichtet Ulrike Fokken aus dem Harz, wo nach drei Dürresommern die düstere Klimazukunft des Waldes ebenso zu besichtigen ist wie die mühsame Rückkehr des Lebens (und Wirtschaftens).

Weder Staat noch unsichtbare Hand allein werden es richten: In der ZEIT-Reihe zum Thema Freiheit wägt der Wirtschaftsethiker Martin Kolmar ordnungspolitische Maßnahmen gegenüber dem freien Markt beim Thema Klimaschutz ab.

Ziviler Ungehorsam war schon für den Ur-Öko Thoreau ein Thema und ist es bei der Klimaschutzbewegung umso mehr, wie die taz schreibt und einige Fachleute zu Fragen des Widerstands, der Gewalt gegen Sachen und der Prozesskostenbeihilfe zitiert.

 

Staatsgewaltig

Nach der Sklaverei und dem Widerstand dagegen bleibt Iris Därmann in ihrem neuen Buch beim Thema und stellt darin die vielen niedrigschwelligen Möglichkeiten vor, Gewalt etwas entgegenzusetzen. Der Tagesspiegel stellt das Buch vor.

Vom Rechtsstaat wird viel gesprochen, doch was genau ihn ausmacht bleibt vage, wie Herlinde Pauer-Studer im Standard schreibt: Laut Lon L. Fullers Definition kommt er nicht ohne Moral aus, was problematisch ist.

Alle sind bekanntlich „irgendwie liberal“, was eine Bestimmung des Liberalen so schwierig macht. Christoph Möllers betreibt in seinem Buch darum ein vorsichtiges Abwägen von Freiheitsgraden, wie die FAZ anerkennend feststellt.

 

Das Weitere und Engere

Wolfgang Benz feiert seinen 80. Geburtstag. Die SZ gratuliert dem interventionistischen Zeithistoriker und Antisemitismusforscher, seine akademische Sozialisation wird in der FAZ rekapituliert.

Jochen Hörisch erklärt im ZEIT-Interview anlässlich seiner Kulturgeschichte der Griffel, was von unseren Händen zu halten ist, deren Bedeutung von Goethes Faust über die Digitalisierung bis zur verbotenen Berührung reicht. Über den Tod und die Endlichkeit unterhalten sich Siegfried Reusch und Jürgen Wiebicke im Philosophischen Radio des WDR 5.

Die FAZ resümiert zwei Bücher über den Verdacht, im Literaturbetrieb hacke eine Krähe der anderen kein Auge aus, Schriftsteller würden sich gegenseitig also über den grünen Klee loben.

Fuck yeah, ihr Arschlöcher! Bei Spektrum nimmt uns Anna Lorenzen mit in die Wunderwelt der Malediktologie und beleuchtet die Macht und den Nutzen von Vulgärsprache – auch aus Sicht der unvermeidlichen Hirnforschung.

Schreiben Sie einen Kommentar