Links der Woche, rechts der Welt 22/21

Vernunft in der Krise

Der Verfassungsschutz hat für die demokratiefeindliche Melange auf „Querdenker“-Demos eine neue Kategorie geschaffen und die FR stellt einen von Heike Kleffner und Matthias Meisner herausgegebenen Sammelband über deren Netzwerke, das Problem der „Rechtsoffenheit“ und was man tun kann vor. Die ZEIT rezensiert das Buch von Armin Schäfer und Michael Zürn über den Erfolg von Populisten als Defizit der Repräsentanz.

Neben der Demokratie steht auch die Wissenschaft in der Kritik: Jörg Phil Friedrich schreibt in der ZEIT über den Zweifel, ob die Naturwissenschaften in Krisenzeiten wirklich so verlässlich und hilfreich sind wie lange gedacht. Die Kluft zwischen Labor und Lebenswelt, zwischen Modell und Alltag könnte zu groß sein – und doch haben wir nix Besseres. Über die Gefahr für die Demokratie, die zu großes Vertrauen in die Wissenschaft bedeutet, hat Alexander Bogner ein Buch geschrieben, das bei Spektrum rezensiert wird.

Sind deutsche Universitäten Keimzellen des Rassismus? Natasha A. Kelly erklärt im ZEIT-Interview das Problem des strukturellen Eurozentrismus und wie man den Rassisten Kant zu lesen hat. Mit Eva von Redecker unterhält sich die ZEIT über Freiheit – anlässlich der abgesagten Leipziger Buchmesse im Videoformat. Über Solidarität in der Krise und ihre Dialektik denkt Rainer Forst in der FR nach.

Ist die Pandemie ein Zeichen? Mit Angst und Ressentiments zu Seuchenzeiten beschäftigt sich Bernhard Wiens bei Telepolis und vergleicht, wie man früher und heute auf unsichtbare Gesundheitsgefahren reagierte. Die Maske jedenfalls wird bleiben, glaubt Marleen Stoessel und erklärt uns das morgen im DLF bei Essay und Diskurs.

 

Beim Denken beachten

Jede Lektüre ist Bevormundung: Henning Lobin hat ein Buch über neurechte Sprachpolitik vorgelegt und die FR freut sich, dass die Linguistik endlich den Mut zur politischen Intervention gefunden hat.

Wer ist schon Herr im eigenen Oberstübchen! Daniel Kahneman, Olivier Sibony und Cass R. Sunstein haben ein Buch über das vielfältige Rauschen geschrieben, das unsere Urteile beeinflusst und besonders fatal ist, wenn wir als Richterin arbeiten oder sonstwie was zu entscheiden haben.

Das Bewusstsein füllt die Lücken, die die Wahrnehmung hinterlässt: Steve Ayan erklärt bei Spektrum, wieso das Unbewusste alles andere als blind-blöder Trieb ist, sondern ein unersätzliches Hilfsmittel in einer komplizierten Welt.

Roman Bucheli macht sich in der NZZ Gedanken, wie sich politische Utopie vom Verschwörungsglauben unterscheidet, weisen doch beide die Wirklichkeit zurück, wie sie uns erscheint.

 

Was mal war

Nach dem großen Dürer-Geburtstag hat die SZ eine Ausstellung der Berliner Museen über die Kunst der Spätgotik besucht (Man darf wieder!), die u.a. das Denken feiert, mit dem die Neuzeit begann. Auch die ZEIT war in der Spätgotik-Ausstellung und staunt über die Einführung von Zeit, Kontrast und Wirklichkeit in die europäische Malerei. Etwas später kam die Romantik. Die Vorurteile dieser gegenüber zählt die ZEIT auf, um dann Stefan Matuschek dafür zu loben, mit seinem Buch dem reaktionären Image der Romantik zu Leibe zu rücken.

(Photo: FelixMittermeier, pixabay.com, CC0)

Die SZ schwärmt von den Naturessays Harry Martinsons, die Mitte des 20. Jahrhunderts die letzten Augenblicke der unberührten schwedischen Landschaft einfangen und erklären, wie Nature Writing geht. Frauen hatten die längste Zeit weder die Ruhe noch den Ort, um sich ihre Gedanken zu machen, und was das in Internetzeiten bedeutet, kann man sich heute Abend im DLF in der Langen Nacht anhören: ein Chatroom für sich allein.

Frithjof Bergmann ist im Alter von 90 Jahren gestorben und die FAZ würdigt den „Arbeitsphilosophen“, der die Berufswelt des 21. Jahrhunderts als Erster kommen sah.

 

Wachstum ohne Grenzen

Wer über grenzenloses Wachstum spricht und Tom Krebs heißt, erregt Aufsehen, vor allem, wenn er sich als Ökonom dagegen ausspricht: Im ZEIT-Interview fordert er u.a., im quantitativen BIP auch Lebensqualität zu berücksichtigen. Mit der deutschen Abhängigkeit vom Export im Sinne einer Sucht beschäftigt sich Andreas Nölke in seinem Buch, das, wie der Freitag schreibt, auch die Auswege hin zu ökosozialer Gerechtigkeit beschreibt.

Die ZEIT unterhält sich mit dem Soziologen Steffen Mau über Grenzen, wer das Privileg erhält, sie zu überschreiten, und wie die Pandemie die neofeudale Gesellschaft gestaltet. Pankaj Mishras Essay über die Fortsetzung des Imperialismus in Form des westlichen Universalismus wird im Freitag vorgestellt.

 

Science Fiction Now

Studieren wir bald Astroarchäologie? Telepolis bringt einen faszinierenden Text von Avi Loeb, in dem er noch einmal kurz und bündig seine These darstellt, mit dem interstellaren Objekt namens ‚Oumuamua sei ein Stück außerirdischen Weltraumschrotts durchs Sonnensystem geflogen.

Der Tagesspiegel ist schwer begeistert von einem Gesprächsband, in dem Sibylle Berg und Dietmar Dath geistreich über unsere dystopische Zukunft plaudern. Derselbe Dath lobt Dante in der FAZ als Vordenker der Klassengesellschaft, des Unterbewussten und des Cyberspace.

Bei Telepolis geht es um die Künstliche Intelligenz GPT-3, die mehr oder weniger überzeugende Texte generiert und so Sorgen vor vollautomatisierten Desinformationskampagnen schürt. Daniel Kehlmann hat sich in einen Schreibwettbewerb mit einer KI begeben und Spektrum stellt den daraus entstandenen Essay vor.

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