Black Lives, blue Lives
Im FR-Interview blickt der US-Historiker J. Adam Tooze auf die Spaltung der USA und die Zukunft der neoliberalen Globalisierung in einer multipolaren Welt nach Trump, während die FAZ einen soziologischen Fachartikel von Rudolf Stichweh vorstellt, der bei der Rede von einer gesellschaftlichen Spaltung zur präzisen Begriffsarbeit ermahnt.
Iris Därmann hat eine umfassende Geschichte der Sklaverei und den vielfältigen Widerstand dagegen vorgelegt, und die FAZ staunt über die vielen Bereiche, in die Därmann der Gewalt von der nackten Haut bis zu philosophischen Klassikern folgt. Im FAZ-Interview erklärt sie den Buchtitel „Undienlichkeit“ und das Verhältnis von Körperlichkeit und Widerstand.
Die Black Panthers waren in den 1960er einige Schritte weiter als die heutige Black-Lives-Matter-Bewegung und gerieten so ins Visier der US-Repressionsmaschinerie, wie eine arte-Doku zeigt, die uns die FR empfiehlt. Damit ist man auch gut vorbereitet für Aaron Sorkins Netflix-Film „The Trial of the Chicago 7“ , der der SZ die autoritären Nixon-Zeiten in Erinnerung ruft:
Auch wer in die Fänge deutscher Polizisten gerät, ist nicht unbedingt gut aufgehoben: Die FR weist auf eine ARD-Doku über Polizeigewalt hin. (zur ARD Mediathek) Was sind das für Menschen, die gern in den uniformierten Dienst wollen? Eine NDR-Doku begleitet zwei junge Polizeianwärter von der Bewerbung bis in die ersten Einsätze und die ZEIT sieht die Vor- und Nachteile des Umstands, dass der Film lange vor den aktuellen Diskussionen entstanden ist. (zur ARD Mediathek)
Damit es nicht in den Hals regnet
Während im Feu beharrlich gestritten wird, ob das E-Book verblödendes Teufelszeug oder die goldene Zukunft einer Kulturtechnik ist, versucht sich Gerhard Lauer mit seinem in der ZEIT vorgestellten Buch „Lesen im digitalen Zeitalter“ daran, Enthusiasmus und Alarmismus zu dämpfen. Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt diskutieren im Podcast „Wohlstand für Alle“ über Nationalökonomie und erklären im taz-Interview, warum die Linke sich wieder auf den Materialismus besinnen sollte.
Ernö Rubik hat in den 1970ern einen Würfel erfunden und nun die Geschichte dazu aufgeschrieben, die, wie im Tagesspiegel zu lesen ist, mindestens so kompliziert wie der Knobelcubus selbst ist. Hans Harbers wiederum war mal Wissenschaftstheoretiker und verließ kurz vorm Pensionsalter die Uni, um Reinigungskraft zu werden. Im Telepolis-Interview spricht er über die unglückliche Entfernung zwischen Philosophie und Praxis und im zweiten Teil über seine Beweggründe und die akademischen Umstände.
Aus Schaden klug werden
Die Verleihung des Friedenspreises an Amartya Sen verlief corona-bedingt etwas umständlich, doch die FR ist froh, dass Preisträger und Laudatoren auch die „Pandemie des Autoritarismus“ im Blick hatten. Überhaupt fand die ganze Frankfurter Buchmesse online statt und gibt in der FR mit 200.000 Klicks statt 300.000 Besuchern an; dass sich die Zahl derer, die sich ernsthaft für den deutschsprachigen Literaturbetrieb interessieren (ob Pandemie oder nicht) irgendwo zwischen 1.354 und 150.000 liegt (weltweit!), wurde ja schon in Schwein & Zeit errechnet.
Derweil ist die zweite Welle in vollem Gang und Spektrum schaut mal, in welchen alltäglichen Situationen das Ansteckungsrisiko besonders groß ist, und die SZ wirft einige Schlaglichter auf die Verheerungen im Kulturbereich nach über sechs Monaten Pandemie.
Alles wird immer schlimmer: Mit Katastrophenwahrnehmung und Alarmismus beschäftigt sich Daniel Schwandt und erklärt bei Telepolis am Beispiel von Überflutungen, in welche kognitiven Fallen mensch laufen kann. Vom Nutzen und Nachteil allerlei Ängste schreiben Eric Frey und Jakob Pallinger im Standard.
Ein Bild gegenwärtigen Unglücks wird schärfer durch Vergleich mit früheren: Nachdem es letzte Woche um die mittelalterliche Pest ging, schaut Spektrum auf die erste historisch verbürgte Pandemie, die sich ab 541 von Ägypten über den gesamten mittelmeerischen Kulturraum ausbreitete. Und was ist mit der Klimakatastrophe? Hatten „wir“ auch schon: Bei Spektrum geht es um den Treibhauseffekt, der vor 252 Millionen Jahren ein Massenaussterben zur Folge hatte.
Die Ermordung eines französischen Lehrers, der im Unterricht zum Thema Meinungsfreiheit einige Mohammed-Karikaturen gezeigt hatte, sollte zum Anlass für eine neue Religionskritik werden, die sich, wie Stephan Grigat in der taz schreibt, durch Besinnung auf ihre Ursprünge wiederbeleben und den Ultrarechten aus der Hand nehmen ließe.
Sterbliche, nackt unter Autos
Eher unzufrieden ist die FAZ mit „I Am Greta“, weil Greta Thunberg in Nathan Grossmans Film als ungewöhnliche junge Frau gezeigt wird, was Hoffnung macht, obwohl Horror angebrachter wäre.
Das Auto als Virus – wissen wir von Knoflacher – baut nicht nur Stadt und Land nach seinen Bedürfnissen um, sondern auch das Denken, wie Albrecht Selge in der taz beschreibt und die Verkehrswende als auch intellektuelles Unternehmen in Aussicht stellt.
Klaus Theweleit stellt so gute Fragen wie „Kommen Körper einzeln vor?“. Auf der Suche nach einer Antwort hastet er in der FAZ von antiker Vergewaltigungsliteratur über die Gitarre von Jimi Hendrix und anderes Zeug bis zur pädagogisch sinnvollen Enteinzelung von Schüler*innen. Christina Mohr dagegen geht in der ZEIT ihrer Skepsis gegenüber dem vielgepriesenen Lebensziel „Verpartnerung“ nach und entdeckt vor allem in Kunst und Kultur unzählige Belege für das Elend (in) der Zweierbeziehung – nebst seltenen Ausnahmen.
Onlyfans ist wie Instagram, nur nackter, und der Freitag beschreibt, wie einige Leute dort sowohl ihr sexpositives Selbstbewusstsein als auch beträchtliches Einkommen finden, was – wie immer, wenn es (wie übrigens im nächsten Lichtwolf auch) um Sex und Geld geht – Probleme mit sich bringt. Um Körper geht es auch in der Ausstellung des Kreuzberger Kunstverein ngbk, und zwar, wie der Tagesspiegel bemerkt, vor allem ums schlaff abhängende Fleisch.
Die Pandemie hat immerhin zu einem aufgefrischten Bewusstsein unserer Leiblichkeit geführt, das, wie Philipp Tingler in der NZZ überlegt, uns einen ewigen Vorsprung vor der Künstlichen Intelligenz einbringt. Seit dem BVerfG-Urteil zur Sterbehilfe im Februar ringt der Ethikrat um eine Haltung zur Frage, ob und wie mit dem Wunsch zu sterben gesetzlich umgegangen werden soll, und die FAZ resümiert einige Standpunkte. Fast die Hälfte der Menschheit ist überzeugt, man müsse an Gott glauben, um moralisch zu handeln, was die NZZ alles andere als entsetzt kommentiert. Apropos NZZ: Über Langeweile unterhalten sich Barbara Streidl und Jürgen Wiebicke im Philosophischen Radio des WDR 5.