Links der Woche, rechts der Welt 51/20

So sind Denker drauf

Auch die FAZ bespricht Axel Schildts Buch über Medien-Intellektuelle und staunt vor allem über die Fleißarbeit, die ein Who-is-who von Radioessayisten, Profs und Feuilletonisten der Nachkriegs-BRD ergibt.

Der Komponist Adorno geht hinter dem Philosophen und Sozialforscher Adorno stets etwas unter. Sein Briefwechsel mit Ernst Krenek ist neu ediert worden und macht laut SZ die Bedeutung der beiden Freunde für die neue Musik und deren Philosophie erahnbar. Manfred Geier geht der FAZ etwas zu vorhersehbar dem Liebes- und Sexleben von Philosophen nach. Bei Slavoj Žižek – der immerhin mal mit einem Unterwäschemodel zusammenwar – läuft es wohl nicht mehr so: Bei Sein und Streit im DLF plädiert er dafür, Sex als eine Art von Versagen zu begreifen.

Stimmung oder Laune? Die SZ unterhält sich mit dem selbsternannten Launologen Helmut Fuchs über Psychohygiene in der Pandemie und warum wir im Wohlstand schlecht drauf sind. Ob die soziale Diät im Lockdown dem Denken nutzt oder schadet, Matthias Warkus ist sich in seiner Spektrum-Kolumne nicht sicher.

Vor allem das Genre ist schuld am Skandal, dass Philip K. Dick und der jüngst verstorbene John le Carré keinen Nobelpreis bekommen haben, wie die FAZ kommentiert – ohne zu erwähnen, dass beide damit in ausgezeichneter Gesellschaft sind. Yassin Musharbash hat für le Carré recherchiert und erklärt in seinem Nachruf in der ZEIT, was er von ihm über Verrat und Verräter gelernt hat.

Bei Spektrum stellt uns Hakan Baykal den Derwisch Bedreddin Mahmud Bin Israil vor, dessen Liberalismus seiner Karriere und seinem Leben im Osmanischen Reich zum Verhängnis wurde.

 

Geschichten der Menschheit

Früher war alles besser: Yuval Noah Hararis Graphic Novel über die Anfänge der Menschheit lässt die FR nostalgisch nach der Zeit vor Ackerbau, Staat und Religion werden. Ausgesprochen begeistert zeigt sich die FAZ von Regina Toepfers Buch über Kinderlosigkeit im Mittelalter, das fortan in den Fußnoten von Hausarbeiten nahezu aller Fachbereiche vorkommen wird. Barbara Bleisch und Andrea Büchler beschäftigen sich in „Kinder wollen“ mit der gegenwärtigen Reproduktion und Spektrum empfiehlt ihr Buch. Der besonderen Beziehung zwischen Müttern und Töchtern ist die heutige Lange Nacht im DLF gewidmet. Apropos: Das deutsche Radio feiert in diesen Tagen seinen 100. Geburtstag. Güllewunsch!

(Photo: nastya_gepp, Anastasia Gepp, pixabay.com, CC0)

Lektionen für den Lockdown

Wer hat uns Pandemie und Lockdown beschert? Der Kapitalismus! Wolf Wetzel gibt uns bei Telepolis die Hausaufgabe mit auf den Weg, wie lange wir uns noch krank machen lassen wollen. Ebenfalls bei Telepolis werden Ergebnisse einer ersten Studie zu politischen Einstellungen von Corona-Skeptikern vorgestellt.

Die Pandemie wird bleibende Spuren hinterlassen, auch in unseren Begriffen vom Helden und Individuum, wie Aleida Assmann im ZEIT-Interview erklärt. 1993 schrieb Dirk C. Fleck einen Roman über die Ökodiktatur, im Telepolis-Interview blickt er auf die Gegenwart („Gesundheitsdiktatur!“) und die nach wie vor unerquicklichen Zukunftsaussichten. Auch die sind längst zu einer Serie verwurstet worden: Der Freitag stellt uns die französische Miniserie „The Collapse“ vor:

 

Spielchen

Die FR portraitiert den Spieleforscher Ulrich Schädler und sein Forschungsgebiet der Ludographie, dem wir u.a. die faszinierende These verdanken, der Mensch habe das Spielen vom Wolf gelernt. Seither hat sich in dem Bereich einiges getan, erkennbar etwa an der SZ-Besprechung des lang ersehnten Instantklassikers „Cyberpunk 2077“ – leider (noch) voller Bugs:

Passend dazu unterhalten sich Marco Wehr und Jürgen Wiebicke im Philosophischen Radio des WDR 5 über Cyborgs, Cyberware und Cyberspace.

Für Aufregung sorgte diese Woche die Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, wonach immer mehr Jugendliche onlinesüchtig sind, was Thomas Pany bei Telepolis eher als Generationenkonflikt einordnet. Hilfreich in allen spielerischen Zusammenhängen ist die Auseinandersetzung, die Frank Luerwegs bei Spektrum mit dem Thema Niederlage und der Frage führt, wie man ein guter Verlierer bleibt.

 

Antisemitismus als Meinung und Denkmal?

Jay H. Geller gelingt es in seinem Buch über Gershom Scholem und seine drei Brüder die ganze Vielfalt jüdischen Lebens in der Weimarer Republik darzustellen, wie die FR schreibt. Diverse Kirchen sind mit antijüdischen Motiven verunziert und die FAZ fragt in einem Kommentar, warum sich die Zuständigen für den Kölner Dom so schwer damit tun, ihren Antisemitismus in Stein und Pigment endlich loszuwerden.

Nix Denkmalschutz: Mit der „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ sprechen sich zahlreiche Intellektuelle und Künstlerinnen gegen eine Überbekämpfung des Antisemitismus aus, die die Meinungsfreiheit gefährdet. Stefanie Schüler-Springorum gehört zu den Unterzeichnerinnen und erläutert in der ZEIT ihre Sorge um den offenen Diskursraum. Omri Boehm erklärt ebenda, warum der Anti-BDS-Beschluss des Bundestags den Kampf gegen Antisemitismus eher erschwert. Die taz schüttelt den Kopf über solchen Alarmismus, während Stephan Hebel in der FR vor allem diejenigen Stimmen würdigt, die sich nicht mit Pauschalvorwürfen vor der Debatte drücken.

 

Sprachen, Praxen, Gewalten

Nicht so überzeugt ist die taz von Judith Butlers metaethischer Argumentation für Gewaltlosigkeit. Zur „Kritik des Moralismus“ haben Christian Neuhäuser und Christian Seidel einen Sammelband herausgegeben, der dem Freitag sehr schön Dilemmata von Kant über Nietzsche bis hin zu heutigen Konsumentscheidungen beleuchtet.

Martin Seel nimmt in der NZZ Trumps Spektakelpolitik zum Anlass, u.a. mit Humboldt über Sprachgewalt nachzudenken – selbstverständlich nicht ohne die obligatorische Warnung vor politischer Korrektheit. Wir bleiben derweil weiter zu Hause (und freuen uns auf den nächsten Lichtwolf) und diesem Ort in der Philosophie hat Florian Rötzer sein Buch „Sein und Wohnen“ gewidmet, dessen Einleitung bei Telepolis zu lesen ist.

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