Alles flattert – Die Presse und die Nerven

Der Beobachtungen der Freiburger Studierendenproteste vom Mai 2005 dritter Teil.

von Timotheus Schneidegger, 10.05.2005, 14:42 Uhr (Freiburger Zeitalter)

 

(zurück zu Teil 2: Protestprogramm, Militanz und die da oben)

 

So ein Protest zehrt an den Nerven aller, besonders an denen der Protestierenden. Die baden-württembergischen Studierenden stehen nach wie vor unter dem Generalverdacht, eine Bande potentieller RAF-Terroristen zu sein, dementsprechend ist es ihnen per Landesgesetz untersagt, sich zu organisieren und ihre Universität nennenswert mitzugestalten. Kaum versuchen sie, sich dennoch Gehör zu verschaffen (und das muß dann schon eine Besetzung sein, vor der jedoch – Jäger hat es am 04.05. vorgemacht – ähnlich leicht wie vor einer Demo wegzulaufen ist), müssen sie sich ständig anhören, „rechtswidrig“ und „illegal“ zu handeln. Den Freiburger Rektoratsbesetzern ging es nicht anders.

Sie hatten sich auch noch über die alle Standards unterbietende Berichterstattung zu ärgern. Dabei ist die lokale Presse ja noch zu ignorieren, hat man erstmal durchschaut, was die hiesige Provinzialität so widerwärtig macht: Wie sich der zwergische Rektor als weltmännischer Unternehmensberater einer werdenden Elite-Uni aufspielt, gibt sich die Badische Zeitung als global informierende seriöse Tageszeitung, obwohl es sich lediglich um Bild ohne Titten und Fantasie handelt. Der SWR, der BZ um Längen darin voraus, jeden halbwegs kundigen Redakteur wegzurationalisieren, strahlt seinen Unsinn als Gott sei Dank nur „Drittes Programm“ in die unbewohnbaren Täler des Schwarzwalds ab, vom Freiburger „Stadtkurier“, dieser Resterampe journalistischer Nullität, soll gar nicht erst die Rede sein. In ihrer Berichterstattung über die Freiburger Studierendenproteste eint diese sozialfriedenssichernden Märchenerzähler allesamt, daß sie genauso gut vom Mars berichten könnten und – nun, da die kreativitätsbefreiten Hirne vom Dienst dort auf diese Idee gebracht wurden – das auch sofort machen werden, da genannte Redaktionen bewiesenermaßen auch gänzlich ohne sich einen Eindruck vom Ort des Geschehens machen zu müssen davon fabulieren können. Karl May hätte wenigstens bunte Charaktere in die Meldungen hineingedichtet!

Polizei rückt aus. (weitere Bilder in den Galerien, siehe Dossierübersicht).

 

Die nationale Presse machte keine bessere Figur. Die dpa hatte bei irgendeinem Rektoratsbediensteten angerufen, um sich nach der Besetzung zu erkundigen, der Angerufene vermutete hinter seiner Bürotür um die 30 Studenten, und die deutsche Journaille, von der taz bis zur Süddeutschen, druckte die zusammengesponnenene Agenturmeldung viehisch ab, ohne auch nur auf die Idee zu kommen, mal selbst in Freiburg anzurufen, um wenigstens über die Zahl der Besetzer wahrheitsnäheres in Erfahrung zu bringen.

Die Studierenden können Trost darin suchen, „daß die Presse das Auge und Ohr der Welt ist. Denn die Welt ist so blind und so taub, daß sie sich die Presse gefallen lässt“ (Karl Kraus, Die Fackel Nr.577, Nov.1921, S.21). Oder sie heilen die geschundene Besetzerseele mit der Solidarität, die von überall herströmte: Der DGB und sogar der Personalrat der Uni Freiburg unterstützten den Protest, aber auch die DKP und der Freiburger Kükator, was eher nicht an die große Glocke gehängt wurde.

 

Offiziell gingen die Protesttage an Christi Himmelfahrt (05.05.) zu Ende, die Besetzung indes ging weiter. Während die Uni von Protestinsignien gereinigt wurde, lief um 16 Uhr die „Duldung“ der Besetzer im Rektorat aus (siehe Bericht vom 05.05.). Es bestand somit fortan die Gefahr einer Räumung, die sich aber nach einem Blick auf den Parkplatz, von dem das mittlere Polizeiaufgebot inzwischen verschwunden war und verschwunden blieb, als weniger drängendes Problem erwies. An diesem Nachmittag wurde einmal mehr das geplante Studiengebührenmodell des Landes mit Prorektor Volz diskutiert, tags darauf (06.05.) wurde die hundertste Stunde der Besetzung feierlich begangen, aber schon am Samstag begann der Alp des Personalmangels die Besetzer ernsthaft zu drücken. Der erneute Besuch von Volz am Nachmittag (siehe Bericht vom 07.05.) lockte zwar noch einmal an die 150 Studierende an den Fahnenbergplatz, doch die insgeheime Rechnung des Rektorats, die Besetzung würde über kurz oder lang ihren Reiz verlieren und folgenlos aussterben, drohte langsam aufzugehen.

Seit dem Feiertag machte sich unter den Besetzern auch noch ein zunehmender Lagerkoller bemerkbar, der sich einerseits darin äußerte, daß die bis dato im Foyer des Rektorats vor den Augen und Ohren abgehaltenen Plenarsitzungen in vermeintlich abhörsichere Winkel verlegt wurden. Die täglich aus dem Rektorat an Indymedia übermittelten Berichte verrieten zwar wenig über tatsächliche Ereignisse, dafür umso mehr über die Stimmungslage. Die Infiltrationsparanoia, das herzlichste Elemente linker Folklore, machte sich Luft und Indymedia berichtete von geheimnisvollen Männern, die in dicken Karossen vor dem Rektorat hielten und fotographierten, sowie von besoffenen Burschenschaftlern, die in voller Montur drei Nächte in Folge über den Parkplatz gestolpert kamen, mal um den Besetzern Bierkästen zu spenden, mal um mit Bierkrügen zu schmeißen. Einigen im Rektoratsinneren gereichten deren nächtliche Auftritte zur Erheiterung, was anderen zum Anlaß wurde, sich darüber aufzuregen und „keine Toleranz für Nazis“ zu fordern (und die üblichen seitenlangen Traktate zum Thema an die sowieso schon vollgeklebten Wände des Rektorats zu kleben), worüber sich wieder andere aufregten, die keine Gruppierung vom Protest ausschließen wollte, was erstere wiederum usw.usf. Daß sich die WASG, Linksruck & Co. an den studentischen Protesten beteiligten störte allerdings keinen; jedenfalls keinen der Protestierenden. Schließlich bereicherte Indymedia das Medienecho der Freiburger Studierendenproteste auch mit den Klagen von Besetzerinnen über die männlichen Platzhirsche, und zwar ganz im mauligen Ton des Hysterie-Feminismus („Machos, die gerade immer auf den Plenas alles dominieren“, a.a.O.), der noch in der Anordnung von Baumarktregalen überdeutliche Zeichen patriarchalen Mutterhasses zu erkennen vermag.

Im Innern des Rektorats, Perikles oder Athene, jedenfalls ordentlich beflaggt; im Hintergrund Polizei. (weitere Bilder in den Galerien, siehe Dossierübersicht).

 

Ob die Bitte, künftig alle Berichte mit dem Plenum abzustimmen, eine direkte Reaktion der Penis-Tyrannis darauf ist, oder lediglich den aus dem Provisorium gewachsenen Strukturen von Organisation zu verdanken ist – naja, wenigstens die Freiburger Leser (Innen!) können sich ihre eigene Meinung bilden: Das Rektorat steht ja seit dem 02.05. täglich 24 Stunden lang jedem offen und mausert sich mehr und mehr zu einem Autonomen Zentrum, komplett mit Kulturprogramm am Abend, eigener Besetzt-Zeitung und Homepage.

 

Bis zum Besuch von Ausbildungsminister Frankenberg am 11.05. um 17 Uhr in der Freiburger Stadthalle (Alter Messplatz) und zur tags darauf folgenden großen Demonstration werden die Besetzer sicherlich noch durchhalten. Wie es danach weitergeht, ist ungewiß. Daß die Studierenden womöglich wochen- oder gar monatelang ihr Rektorat bewohnen könnten, bis die dortigen Hausherren ihnen den Gefallen tun und sie mit einer Räumung zu den moralischen Siegern erklären, klingt aberwitzig, ist aber angesichts der trotz aller Widrigkeiten, Unanehmlichkeiten, Ausfälle und trotz aller Aussichtslosigkeit ungebrochenen Motivation der Besetzer durchaus vorstellbar.

Und das ist kein schlechtes Ergebnis für einen Freiburger Studierendenprotest.

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