Protestprogramm, Militanz und die da oben

Der Beobachtungen der Freiburger Studierendenproteste vom Mai 2005 zweiter Teil.

von Timotheus Schneidegger, 10.05.2005, 14:25 Uhr (Freiburger Zeitalter)

 

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Die Besetzung der Uni-Verwaltung war kein schlechter Auftakt für die Freiburger Hochschulproteste, deren dreitägiges Programm sich am 02.05. gerade erst zu entfalten begann. Auf den täglichen Vollversammlungen informierte ein Gesandter aus dem besetzten Rektorat über die aktuelle Lage und die (mauen) Ergebnisse stundenlanger, mit Prorektor Volz geführter Diskussionen über die unmögliche Sozialverträglichkeit von Studiengebühren, ehe anschließend Solidarität mit den Besetzern demonstriert (im wahrsten Sinne des Wortes) wurde. Dazwischen fanden, abgesehen von den sporadischen Störungen der unbeeindruckt weitergeführten Uni-Veranstaltungen (ein Uni-Streik war auch, u.a. aus Rücksicht auf die protestmüden Kommilitonen, gar nicht erst beschlossen worden, dennoch musste „mobilisiert“ werden), informative Vorträge und mobilisierende „workshops“ statt („Bildung vs. Ausbildung“, „DirectAction“, „Argumente für und gegen Studiengebühren“, „Gleichberechtigung an der Uni“, „Neoliberaler Umbau“, „Das neue Landeshochschulgesetz“, Bildungsfinanzierung im Ausland, Basteln und Malen).

04.05.: Ein Solidaritätsmarsch trifft am Rektorat ein. (weitere Bilder in den Galerien, siehe Dossierübersicht).

 

Jaja, wie wesenhaft ähnlich sich die Pole in diesem Widerstreit sein können: Die Bildungspolitik ist die Kraft, die stets das Gute will und oft Probleme schafft, wie der SPD-Politiker Hans Schwier wusste, während der studentische Protest gegen jener selbstzerstörerischer Auswüchse die Kraft ist, die das Gute will und oft nichts anderes hervorbringt als Mist: Was sich hinter „Direct Action Workshop“ verbarg, blieb auch dem im kombinierten Gebrauch von Fremdwörterbuch und Google Geübten unklar – es sei denn freilich, er begab sich zu besagter Veranstaltung. Programmpunkte wie „Transpis malen“ und das täglich um 19 Uhr loslärmende „Topfschlagen gegen Studiengebühren“ kündeten von der starken Präsenz der Kommilitonen der Pädagogischen Hochschule. Erst recht durfte einem beim „Protestgrillen mit Elitewurst und Veganerspieß“ und „Grillen statt Guerilla“ vorm KG IV kotzübel werden angesichts des schwindelerregend weiten Wegs der infantilen Regression, den Hochschulproteste seit 1968 zurückgelegt und sich dabei den substanzfressenden Erreger der nichts unkommerzialisiert lassenden Erlebniskultur eingefangen haben, die bald (wenn die Sache mit der Bildung endlich erledigt ist) selbst das Sterben reklamephrasenreich zum „happening“ aufblähen wird. Solchem postmodernen Protestkapitalismus zum Trotz war immerhin das „Protest-Frühstück für alle und zwar umsonst“, wie es in Anlehnung an den Bildungsschlachtruf hieß.

03.05.: Um die Wurst, in die Fachschaftskasse. (weitere Bilder in den Galerien, siehe Dossierübersicht).

 

Themennahe Theaterstücke standen oft auf dem Tagesplan, fanden aber gar nicht statt oder stets an anderem Ort, schlimmer noch die abendlichen Parties (da ging gar nichts), doch immerhin die Koordinierungstreffen im AStA-Haus hielten sich an die Termine und im besetzten Rektorat wurden, besonders zu Beginn, so häufig „Plena“ abgehalten, daß es unmöglich war, über offizielle Aktionen nicht auf dem Laufenden zu bleiben. Außer man gehörte zur Majorität der am Schreibtisch gebliebenen Studierenden, die sich auf Dürrenmatt berufen könnten („Ich gehe auf keine Demonstration. Ich bin selber eine.“). Kommenden Studentengenerationen wird der Luxus der Ignoranz von Bachelor-Fließband und Finanzterror ausgetrieben sein; zu „Demonstration“ fällt den Kunden des Ausbildungsdienstleisters Universität nur noch „Powerpoint“ ein und „Dürrenmatt“ wird sie an „Burn-out-Syndrom“ denken lassen. Andere teilten zwar solche Sorgen, verstanden ihren persönlichen Zweifel am Sinn des Protests gegen scheinbar unabwendbaren Reformzeitgeist jedoch als eine politische Eingebung miß und beklagten sich darüber, daß diese Position in den Protestaktionen viel zu kurz käme. Wieder anderen ging das alles gar nicht weit genug – selbst die (friedliche) Besetzung des Rektorats. La banda vaga (ein anarcho-kommunistischer Freundeskreis oder sowas) moserte schon vor Beginn der Protesttage über den Typus des angepassten pro-forma-Proteststudis und dessen Rolle im Kapitalismus, nur um sich dann doch ebenfalls im besetzten Rektorat einzuquartieren, dort die eigens bevorworteten Kopien der sog. „Klassiker“ (Marcuse, Mühsam, usw.) auszulegen und von Rätetribunalen zu träumen, die jeden, der den wachhabenden Polizisten freundlich zunickte, als konterrevolutionäres Verräterschwein zur Guilloutinierung auf den Parkplatz schicken.

 

Die Proteste versprachen ja auch eine Militanz, wie sie sich so mancher Besetzer im Rektorat wünschte: Als „Freiburger Frühling“ wurde das Programm ausgegeben und die suggestive Zahlenreihe 1848, 1968, 2005 angehängt – nationalistischer Pathos, Tränengas, Schlagstöcke, sowjetische Panzer, hunderte von Toten und Verletzten! Fehlte alles. Und die Sonderausgaben des Agitprop-Organs u-asta info enthielten zwar Listen mit „Programmpunkten, zu denen voraussichtlich weitere hinzukommen werden (aktuelle Anschläge vorm KG III-Protestcafe)“ (Nr.733, S.3), aber in die Luft geflogen ist dann doch nichts.

Bunter Protest am Mittag des 03.05. (weitere Bilder in den Galerien, siehe Dossierübersicht).

 

Außer den Luftballons, die am Dienstag Mittag (03.05.) mit angehängten Grußkarten an Ausbildungsminister Frankenberg den Winden überantwortet wurden. Zuvor hatten Sportstudenten den üblichen Protestzug per pedes um die Variante ergänzt, in Kanus die Dreisam stromabwärts gen Innenstadt zu befahren und damit zu unterstreichen: Die Bildung geht den Bach runter!

 

Die große Vollversammlung am Mittwoch Abend (04.05.) im Foyer des KG I bestätigte die studentische Forderung nach Rektor Jägers Rücktritt, die erläuterungsbedürftig weil größtenteils symbolisch ist. Ziel der Diskussionen der Rektoratsbesetzer mit ihren unfreiwilligen Gastgebern (i.e. Jäger, Volz) war insbesondere, die Repräsentanten der Uni Freiburg dazu zu bewegen, den erklärten Willen eines großen Teils der Mitglieder eben dieser Uni zu vertreten, vor allem gegenüber dem Land BaWü. Das Rektorat der Uni sollte sich also gegen Studiengebühren, gegen die Ökonomisierung und weitere Entdemokratisierung der Hochschulen, und für die Wiedereinführung einer Verfassten Studierendenschaft aussprechen, d.h. die studentischen Forderungen unterstützen, denen mit der Besetzung nicht bloß der nötige Nachdruck, sondern vor allem ein Forum verschafft werden sollte. Auch dies hätte mehr Symbol- als Tatcharakter gehabt, war jedoch nicht zu haben. Die erbärmliche Tautologik der Gebührenbefürworter hielt an der ihr eigenen Rechthaberei fest: „Es gibt kaum ein Land auf der Welt, in dem so wenige Kinder aus Elternhäusern studieren, wo die Eltern selber nicht studiert haben. Und deshalb ist es gerade nicht besonders sozial in Deutschland. Und wir glauben, wenn es Stipendien gibt, wenn es Studiengebühren gibt, wenn es eine bessere Ausbildung gibt, dann haben wieder mehr Kinder eine Chance, auch in Deutschland ein gutes Studium zu machen“, stammelte es aus Angela Merkels Prachtvisage einigen „Schreihälsen“ zur Antwort, die am 04.05. während des CDU-Wahlkampfs in NRW gegen Studiengebühren protestierten (Quelle: Deutschlandradio). Weil Ökonomiefetischisten und willige Helfer der globalen Ausplünderei nicht nur peinlich sind, sondern ihre Untergebenen verschachern statt sie zu repräsentieren, deshalb – lange Rede, kurzer Sinn – forderten die Besetzer des Freiburger Rektorats den Rücktritt von „Meister Jäger“ – und tun es nach wie vor.

 

(weiter zu Teil 3: Alles flattert, die Presse und die Nerven)

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