Der Beobachtungen der Freiburger Studierendenproteste vom Mai 2005 erster Teil.
von Timotheus Schneidegger, 10.05.2005, 14:02 Uhr (Freiburger Zeitalter)
Das, was im Mai 2005 zum Anlaß von abermaligen studentischen Protesten in vielen deutschen Universitätsstädten, so auch in Freiburg, wurde, ließe sich etwa so aus Grundgesetzzitaten zusammenreimen:
§5, (3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.
§12, (1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen.
§20, (4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
Zu letzterem sei eine Fachfrau befragt. In anscheinender Unkenntnis des Ohmschen Gesetzes verfügte Ulrike Meinhof einst: „Protest ist, wenn ich sage das oder das paßt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, daß das, was mir nicht paßt, nicht länger geschieht.“
Die widerdemokratische Herrenclubmauschelei in den oberen Etagen des Rektorats, der Umbau der Hochschulen in unternehmerische Fachkraftfabriken, die Einführung von Studiengebühren zur Finanzierung des staatlichen Rückzugs aus der Bildungspolitik, das bar allen Anstands forcierte Ausdehnen der Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Ausgeschlossenen und Privilegierten – das alles geschieht, so viel sein schon zu Beginn verraten, auch nach den Protesten weiter. In Freiburg wie auch an anderen Orten, dabei wurde dieses Mal einiges aufgeboten.
Der Lehrbetrieb an der Uni Stuttgart wurde von dortigen Studierenden fast vollständig zum Erliegen gebracht, ein lokaler Radiosender wurde gestürmt und musste den Besetzern zehn Minuten seiner Sendezeit überlassen, auf den Straßen wurde demonstriert. Studentischer Zorn auch in Flensburg, Oldenburg und Osnabrück; in Hamburg schafften es Studierende, die ihre Uni-Verwaltung besetzt hatten, von der wie in schlechten alten Schillzeiten mit fünf Wasserwerfern angerückten Polizei ins Krankenhaus geknüppelt zu werden und somit Hamburg „in der Szene“ abermals als großes Protestmekka zu bestätigen. Freiburg wollte da nicht wie bei früheren Protesten zurückstehen, sondern dieses Mal Vorreiter sein, wie auf der Kundgebung zu hören war, mit der am Montag (02.05.) die dreitägigen Proteste aller Freiburger Hochschulen eröffnet wurden. Dieses Ziel haben die Freiburger Studierenden durchaus erreicht, vor allem dank charismatischer, durchsetzungsfähiger Führungspersönlichkeiten, die sich natürlich niemals als solche sehen würden, aber doch unerläßlich sind für höhere Protestformen, und die in langatmigen, homerischen Hexametern zu ehren mir der beschränkte Rahmen dieses Berichts leider verbietet. Die Losung „Gegen Studiengebühren! Für freie Bildung!“, unter der die drei Tage Aktionismus & Demonstrationen standen, blieb trotzallem auch nach Ablauf seines Mindesthaltbarkeitsdatums Ideal, der Unmut der Freiburger Studierenden gemäß der Meinhofschen Formel lediglich bekundeter Protest, und kein Widerstand in obigem Sinne. Daß der studentische Protest die landesweite Politikerei zu nicht mehr als kostenloser Zurkenntnisnahme nebst Beruhigungsformeln („Sozialverträglichkeit“, „Verständnis für die Sorge…“), mehr oder minder gewürzt mit Ermahnung („rechtswidrig“, „wenn nicht, dann…“) bewegte – nun, es dürfte auch den kämpferischsten Idealisten nicht überrascht haben (diese vom Aussterben bedrohte Spezies handelt sowieso nicht ergebnisorientiert, dafür umso wahrhaftiger). Die Überraschungsfreiheit studentischen Protests ist keine Überraschung, was vielen Außenstehenden (jedoch ebenfalls vom Beklagten betroffenen) Anlaß ist, überhaupt am Sinn des ganzen zu zweifeln – auch dies wiederum keine Überraschung.
Demonstrationszug am 03.05. (weitere Bilder in den Galerien, siehe Dossierübersicht).
Eine ganz große jedoch ist zu finden, dreht man den Fokus auf Freiburger Verhältnisse herunter, und sie begann schon eine Stunde nach der Eröffnungskundgebung im Innenhof der Uni, von wo aus sich der studentische Mob mit Kreide bewaffnet auf die Straße gen Norden bewegte, sie mit abwaschbaren Protestbekundungen zu verzieren. Die Demonstration über den Rotteckring zum Fahnenbergplatz war unangemeldet, dafür wurde eine halbe Stunde zuvor wenigstens die Polizei davon unterrichtet, die auch sogleich verschlafen aus ihrem angrenzenden Funktionsbau geeilt kam und mit einer Hand voll von Beamten versuchte, das Rektorat zu sichern, vor dem sich die Studierenden sammelten. Diese nutzten die „symbolträchtige [sic!] Gunst der Stunde“ (u-asta info Nr.733 vom 03.05.05) und drängten nach kurzem Zögern hinein in die Uni-Verwaltung. Angelockt von dem dämonischen Lärm im Erdgeschoß stellte sich Rektor Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Jäger den Studierenden, die nach etwa einstündigem Nichtausredenlassen feststellten, sich im Dissens mit dem Hausherren zu befinden, und beschlossen, fürs erste hier zu bleiben, wo man schon mal da war. Hier also, im Rektorat der Uni Freiburg, die große Frühlingsüberraschung: Der Wachschutz war überwindbar, die Studierenden entschieden sich für eine Besetzung und – jetzt kommts: hielten diese tagelang aufrecht.
Studierende im Foyer des besetzten Rektorats am 03.05. (weitere Bilder in den Galerien, siehe Dossierübersicht).
Das besetzte Rektorat mauserte sich schnell zum hauptsächlichen Dreh- und Angelpunkt der Proteste – zum Mißfallen des u-asta, der die uni-weiten Aktionen koordinierte und mit einigem Recht eine Spaltung „der Bewegung“ fürchtete. Die eigentlich als solche vorgesehenen Anlaufstellen und Ausgangspunkte der Proteste – das Zeltlager auf der Wiese vor der Mensa Rempartstraße („Studiengebühren statt Miete?!“) und die Streikcafes vor den Kollegiengebäuden III und IV – traten, auch wegen der widrigen Wetterverhältnisse, ihre Hauptrolle an das neue Symbol des versuchten Widerstands ab. Dort, in der besetzten Uni-Verwaltung, wurde zunächst noch versuchsweise mit Rektor Jäger diskutiert. Der jedoch hatte wichtigeres, d.h. ihm angenehmeres zu tun, und begab sich am Mittwoch Morgen (04.05.) nach Rumänien (der dortigen Universität Iasi hat er eine seiner multiplen Ehrendoktorwürde zu verdanken), also hielt der Prorektor für Angelegenheiten der Studierenden und des Studiums, Prof.Dr. Karl-Reinhard Volz, fürderhin intensiven Kontakt zum akademischen Mob, der sich vor seiner Bürotür langsam aber sicher häuslich einzurichten begann.
(weiter zu Teil 2: Protestprogramm, Militanz und die da oben)
3 Gedanken zu „Von Grundgesetz und Meinhof zur Rektoratsbesetzung“