Links der Woche, rechts der Welt 31/21

Andere Zeiten, andere Sitten

Im FR-Interview spricht der klassische Philologe Dennis Pausch darüber, wie anders man einander in der Antike beleidigte als heute und dass Juvenal auch Reden für Trump hätte schreiben können. Der Altorientalist Stefan Maul wiederum unterhält sich mit der FAZ ausführlich über Hammurapi (oder Hammurabi), der Babylon zum Großreich mit in jeder Hinsicht weltweitem Führungsanspruch und universeller Gesetzgebung machte.

Zu seinem 300. Todestag wird in der FR an den islamischen Mystiker Nurredin al-Dscherrahi erinnert, der einen der bekanntesten Sufi-Orden begründete und damit ein ganz anderes Verhältnis zu Gott pflegte als es zeitgleich in Deutschland üblich war.

Die FAZ setzt ihre Dante-Reihe fort, diesmal würdigt Winfried Wehle den Mut zur dichterischen Phantasie, der Dantes schwerst rationalem Zeitgenossen Thomas von Aquin fehlte.

 

Linksrum, rechtsrum?

Per Leo polemisiert in seinem neuen Buch gegen die Wiedergutwerdung und die „Holocaustbetroffenheit“ der Deutschen. Der taz geht es dabei zu oft drunter und drüber, auch die ZEIT zeigt sich wenig überzeugt von Leos nationalliberalen Nietzscheanismus. Die FR erinnert an die Wahl Adolf Hitlers zum NSDAP-Vorsitzenden vor 100 Jahren.

Beim G8-Gipfel 2001 in Genua nahm die globalisierungskritische Bewegung Fahrt auf – oder kam sie an ihr Ende, wie Peter Nowak bei Telepolis schreibt? Ursächlich war nicht allein die faschistoide Repression gegen die Proteste, 9/11 oder linke Praxismüdigkeit.

Kann die humanistische Demokratie Klimakatastrophe, Atomkrieg und Digitalisierung überstehen? Der Standard bringt einen Auszug aus der Festrede Julian Nida-Rümelins bei den Salzburger Festspielen mit Argumenten von Platon und Kant.

Vielleicht hülfe es auch, sich die Belarussinnen zum Vorbild zu nehmen: Die taz stellt Olga Shparagas „Die Revolution hat ein weibliches Gesicht“ vor, dass an den schon ein Jahr währenden weiblichen Widerstand erinnert.

 

„Prometheus has landed.“

Was will der Mensch im All? Alfred Paschek sortiert bei Telepolis einige (auch unterstellte) Motive der Raumfahrt, die Günther Anders schon während ihres goldenen Zeitalters kritisch sah, während andere aus ihr utopisches Potential techno-religiöser Art schöpfen.

Die Technologie läuft der Vernunft davon, schreibt Marcel Fratzscher in der ZEIT, und selbst wenn die Folgen manifest werden (wie bei der Klimakatastrophe), verfängt die Neigung, beim altbekannten Weiterso zu bleiben.

Die filmische Liebeserklärung an den Chaos Computer Club (CCC) mit dem schönen Titel „Alles ist eins. Außer der 0“ wird in der SZ als überraschend spannende Geschichte des deutschsprachigen Nerdtums der 1980er gelobt. Auch die taz, in deren Räumen der CCC 1981 gegründet wurde, würdigt die Kino-Doku, die den legendären und vor 20 Jahren verstorbenen Wau Holland ins Zentrum nimmt:

Konrad Paul Liessmann denkt in seinem in der SZ vorgestellten Buch anhand der zwölf Glockenschläge Nietzsches über nichts weniger als den Menschen und seine Welt nach.

 

Nachdenken über CoronX

Pandemie-Philosophie heißt vor allem kritische Biopolitikforschung, so auch in Roberto Espositos Buch „Immunitas“, das laut SZ weniger alarmistisch und viel hellsichtiger als Agambens Interventionen auf das Verhältnis von Gemeinschaft und Individuum blickt.

Thomas Brussig dagegen hat im Essay „Mehr Diktatur wagen“ seine Vorstellungen von geeigneter Pandemiebekämpfung gebündelt. Telepolis bringt den Text, unterhält sich zuvor jedoch mit dem Schriftsteller über schlechte Laune im Lockdown, die Mankos der Demokratie und den Mut zum Ausnahmezustand.

(Photo: fsHH, pixabay.com, CC0)

Harry Nutt legt in der FR eine kleine Geschichte der Staatsfeindschaft vor: Die Imago vom faschistoiden Atomstaat der 1970er erlebe gerade in den Debatten um Pandemie-, Migrations- und Klimapolitik eine eigentümliche Wiederkehr.

Peter Sloterdijk unterdessen sieht in „Querdenkern laut WELT „Figuren wie aus dem Spätmittelalter“. Den von Heike Kleffner und Matthias Meisner herausgegebenen Sammelband über rechtsradikale Netzwerkarbeit in der Corona-Krise wird im Freitag besprochen.

 

Das Weitere und Engere

Der Zufall und die Geschichte seiner Erforschung ist das Thema von Walter Hehls Buch, das bei Spektrum als mangelhaft rezensiert wird. John-Dylan Haynes’ Buch zum Stand der Hirnforschung und wie man Gedanken lesen kann, indem man Leute in eine Röhre steckt, wird in der SZ vorgestellt. Darüber, wie die Medizin von philosophischen Fragestellungen profitieren kann, unterhalten sich Thomas Bohrer, Michael Schmidt und Jürgen Wiebicke im Philosophischen Radio des WDR 5.

Hektor Haarkötter ein laut Tagesspiegel aufregendes Buch über Notizbücher, Merkzettel und Sudelhefte vorgelegt, also private Medien mit ganz eigener Schriftsprache und Funktion. Die SZ erinnert an Ludwig Marcuse, der vor 50 Jahren als ein denkerischer Solitär starb, dem ein menschenfreundlicher Nietzsche kluge Ideen über Toleranz und Glück eingab. Noch mehr von und über diesen Marcuse gibt es heute Abend im DLF in der Langen Nacht.

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