Links der Woche, rechts der Welt 30/21

Was kann Philosophie noch?

Dieter Henrich wollte die Philosophie als Wissenschaft im Sinne des Idealismus wiederherstellen, indem er dessen Grundlagen erforschte, wie die SZ in ihrer schwärmerischen Rezension von Henrichs Autobiographie schreibt.

Edgar Morin äußert sich zum seinem 100. Geburtstag im Freitag über den seit 75 Jahren weltweit wachsenden Gegensatz zwischen Macht und Ohnmacht – und es kommt wirklich alles darin vor.

Giorgio Agamben hingegen hat die Pandemie genutzt, um seine Theorie von der Reduktion aufs nackte Leben wieder ins Spiel zu bringen. Arno Kleinebeckel schaut bei Telepolis, was an ihr und der damit verbundenen Normalisierung des Ausnahmezustands in der „Hygienediktatur“ dran ist.

„Sein und Streit“ ist der Name der Philosophie-Sendung im DLF (morgen u.a. über Normalität, Klimaschutz und Sci Fi) und Titel des Spektrum-Podcasts, in dem Marie-Luisa Frick darüber nachdenkt, inwiefern die Philosophie die Konfliktfähigkeit stärkt.

 

Was kommt

Bedingt durch die Klimakatastrophe sieht Parag Khanna ein Zeitalter der Migration heraufziehen – und zwar mit einem Optimismus, von dem sich die SZ in ihrer Buchbesprechung nicht anstecken lässt.

Im Telepolis-Interview erklärt Zukunftsforscher Christian Grünwald, wie man kommende Megatrends erkennt, bevor sie unübersehbar werden, und warum das Nachdenken über ein Social-ScoringSystem nach chinesischem Vorbild etwas anderes ist als die Forderung dessen.

(Photo: pixaoppa, pixabay.com, CC0)

Die FR informiert darüber, inwiefern ökologische und demographische Nachhaltigkeit bei der Stadtplanung berücksichtigt werden kann, wenn vor allem Angebot und Nachfrage weiter den Wohnungsmarkt bestimmen. Fahrradfreundliche Städte lohnen sich auch finanziell, wie die FAZ anhand von Studien herausfindet, in denen die wahren Kosten der Automobilität durchgerechnet wurden.

Wolfgang Streeck wagt sich an den Großentwurf einer postglobalisierten Welt, die dem Menschen und nicht dem Kapital nützt – dank eines Revivals des Nationalstaats und Streecks Polemik gegen den Internationalismus. Das überzeugt die FAZ nicht, aber sie nimmt es hin. Über die Idee eines von Empathie und Solidarität geprägten Homo Cooperativus denkt Claus Leggewie morgen früh bei Essay und Diskurs im DLF nach.

 

Und nun?

Mit der ethischen Herausforderung, ob Corona-Geimpfte Vorrechte gegenüber Impfverweigerern haben sollten, setzen sich Thomas Beschorner und Martin Kolmar in der ZEIT auseinander, indem sie Chancen und Grenzen einer Impfpflicht ausloten.

Der Neurowissenschaftler John Dylan-Haynes kommt in seiner Einführung in seine Disziplin kaum übers Libet-Experiment hinaus, und wo doch, übertreibt er werbewirksam die Erkenntnisfolgen für Telepathie und Willensfreiheit maßlos, wie die FAZ in ihrer Rezension moniert. Über die Frage, ob und wie frei unsere Gedanken wirklich sind, unterhalten sich auch Thomas Metzinger und Jürgen Wiebicke im Philosophischen Radio des WDR 5.

Dann lieber spielerisch in eine virtuelle Realität abtauchen? Über die jüngsten Eskapaden in Eskapismustechnologie der großen Unterhaltungskonzerne informiert uns die SZ.

 

Das Weitere und Engere

Die SZ erinnert daran, wie Voltaire systematisch die französische Staatslotterie knackte, um sich ganz der geistigen Arbeit widmen zu können, während die FAZ Frank Böckelmann zum 80. Geburtstag gratuliert, indem sie an seinen Weg vom subversiven Aktionisten zum Nationalideologen nachzeichnet.

Ulrich Herberts Buch geht der überraschend kniffligen Frage nach, wer die Nationalsozialisten waren, und der Freitag lobt, wie er Wurzeln und Ursprünge der deutschen Demokratieverachtung darstellt.

Auch die FAZ war in der Ausstellung „Katastrophe“ im Frankfurter Filmmuseum und hat auch das Begleitbuch gelesen, das das Verhältnis zwischen Mensch und Natur anhand seiner fiktiven Ausnahmezustände umkreist.

David Hugendick derweil hat in der ZEIT einige gute Ideen, was Milliardäre anstatt ihres aktuellen Weltraumrennens veranstalten könnten (zum Beispiel dem Trägerverein des Lichtwolf spenden), und verweigert sich beharrlich dem ideengeschichtlich altehrwürdigen Reiz des Alls.

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