Links der Woche, rechts der Welt 45/20

Kulturkrampf

Archäologen wühlen gern im Müll, denn – wie die SZ schreibt – sie wissen: Was eine Gesellschaft wegwirft, verrät viel über sie. Der Mathematiker Nassim Nicholas Taleb hat Max Weber vom Kopf auf die Füße gestellt, wie Telepolis berichtet: Nicht Religion transformiert Kultur, sondern diese nutzt jene zur Abgrenzung gegenüber anderen. Über die Bedeutung von Kultur, Moral und geteilter Intentionalität bei der Menschwerdung des Menschen hat der Verhaltensforscher Michael Tomasello nun eine Summa seiner Forschung vorgelegt, die laut FAZ das Zeug zum Standardwerk hat.

 

Philosophische Haussen und Baissen

Wenn über die Jugend von heute geschimpft wird, ist selten der Hinweis fern, dieses Gemaule habe schon Sokrates angestimmt. Matthias Warkus geht dem Pseudozitat in seiner Spektrum-Kolumne nach. Außerdem bemerkt Warkus die Wiederkehr der zwischenzeitlich etwas verblassten Bioethik als Megatrend.

Sinan Aral hat eine flott geschriebene Metaanalyse sozialer Medien als „Hypemaschine“ vorgelegt, die sich laut FAZ nicht in bloßem Kulturpessimismus ergeht. Ganz und gar nicht überzeugt ist die FAZ dagegen von Michael J. Sandels Kritik an der Würde und Gemeinsinn zersetzenden Leistungsgesellschaft und erinnert an eine gelungenere Auseinandersetzung mit dem Thema Meritokratie.

Anlässlich seiner Vierfachbiographie „Feuer der Freiheit“ darf Wolfram Eilenberger im Freitag-Interview u.a. erläutern, warum die 1930er zum Nachdenken über Selbstbestimmung aufriefen und was wir mit Ayn Rand anfangen können. Die FAZ ist nicht gerade begeistert von dem Buch, in dem Eilenberger einfach das Rezept seines Bestsellers „Zeit der Zauberer“ nachkocht.

Die SZ derweil bringt eine dpa-Meldung über die neuen Pläne für das Nietzsche-Haus in Naumburg.

 

Rechtsdrehender Quark

Immer diese „Einzeltäter“: Die SZ weist auf ein ARD-Dokudrama hin, das den Verbindungen des Dutschke-Attentäters Josef Bachmann in die rechtsextreme Szene nachforscht. Der Freitag schüttelt derweil den Kopf über Pascal Bruckners Pamphlet wider den „eingebildeten Rassismus“ namens Islamophobie.

Und wer die Mondnazis und Hitler auf einem T-Rex in „Iron Sky“ lustig fand, darf sich auf „African Kung-Fu Nazis“ freuen, dem „größten ghanaischen Film aller Zeiten“, wie die ZEIT schreibt, dessen Entstehungsgeschichte noch verrückter ist als der Plot:

 

Trotz USA

Für Georg Diez bleiben die USA trotz allem Chaos ein Sehnsuchtsort, wie er in der taz schreibt: Zwar ahnt er inzwischen von den Verbrechen des Liberalismus, über die die meisten US-Amerikaner nichts wissen wollen, aber freier und cooler sind die Menschen jenseits des Atlantik halt schon. Auch Gero von Randow schwelgt in Erinnerungen an die jugendliche Faszination von den USA, um dann in der ZEIT pragmatischer zu werden: Europa sollte sich über die „Wertegemeinschaft“ des „Westens“ keine Illusionen machen und einsehen, dass es ohne die USA nicht geht. Selbst wenn Trump die Wahl verlieren sollte, wird der Trumpismus bleiben, wie Johannes Völz u.a. mit Walter Benjamin und Neil Postman in der ZEIT schreibt: Dazu war diese toxische Mischung aus Hetze und Entertainment einfach zu erfolgreich, wenn auch um den Preis demokratischer Kultur.

Also hinaus aus dem Fenster mit dem ganzen Krampf? Der DLF widmet heute seine Lange Nacht literarischen Putschisten wie Gabriele D’Annunzio, Ernst Jünger oder Yukio Mishima…

Der Historiker Timothy Snyder hat die Freiheit genossen, fast an einer Blinddarmentzündung zu sterben, und erklärt im FR-Interview das US-Gesundheitssystem als nur eine weitere Profitmaschine im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Über die Freiheit der USA, aus den weltweiten Klimaschutzbemühungen auszusteigen und auf Nachhaltigkeit zu scheißen, schreibt Claus Leggewie in der FR.

 

Wie geht es nun weiter?

Keiner weiß, ob es beim temporären Lockdown bleibt oder das Schicksal uns für das Skandalon dänischer Nerzfarmen die Luft zum Atmen raubt. Und Trump ist auch noch nicht raus aus dem Weißen Haus. Die SZ hat mit „Zozobra“ bei mexikanischen Intellektuellen den Begriff für das anstrengende Jahr 2020 gefunden. Generation Corona? Der 24-jährige Philosophie-Student Jakob Arnu beschreibt ebenfalls in der SZ, was es bedeutet, unter den gegenwärtigen Umständen zu studieren. Bei Essay und Diskurs im DLF denkt Susanne Scharnowski morgen früh über Heimweh und Fernweh in Zeiten der Corona-Krise nach und auch im Philosophischen Radio des WDR 5 geht es im Gespräch zwischen Pater Anselm Grün und Jürgen Wiebicke um Isolation, Quarantäne und Besinnung auf sich selbst.

(Photo: sweetlouise, Luisella Planeta Leoni, pixabay.com, CC0)

Die ZEIT unterhält sich mit dem Medizinphilosophen Cornelius Borck darüber, wie man in Europa und den USA mit Tod und Pandemie umgeht und umgehen sollte. So jedenfalls nicht: Telepolis beobachtet einen sächsischen Rechtsextremisten mit Mandat, der es nach der Hetze gegen Geflüchtete nun mit dem Corona-Aufstand versucht.

Hypochondrie gehört in gebildeten Kreisen zum guten Ton. Die Furcht vor Erkrankung kann sich aber durchaus selbst zur psychischen Krankheit ausweiten, die sich allerdings durchaus erkennen und behandeln lässt, wie bei Spektrum zu lesen ist.

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