Links der Woche, rechts der Welt 38/18

Der polnische Patient

Mit Polen geht es wirtschaftlich aufwärts und politisch bergab. Felix Ackermann hört sich für die NZZ unter polnischen Intellektuellen um, wie sie die Dissonanzen in ihrem Land wahrnehmen und welchen Einfluss der Zweite Weltkrieg, die Solidarnosc und der Fall des Eisernen Vorhangs auf die dortige Art haben, sich als Bürger zu begreifen. (18.09.18)

 

Deutschland fiel ihm zur Last“

Christian Thomas blickt in der FR zurück auf die Revolution von 1848 aus der Perspektive des Zeitgenossen Arthur Schopenhauers, den nicht nur die frechen Aufständischen unter seinem Fensterbrett mächtig nervten, sondern so ziemlich jeder, ob nun Revolutionär oder Staatsdenker. (19.09.18)

 

einfach 25 Bilder pro Sekunde“

Für die NZZ unterhält sich Angelika Drnek mit dem Medienkünstler David Claerbout über seine 1000-jährigen Videoinstallationen, unsere Bildkultur, wie sie unser Verhältnis zur Realität prägt und warum Philosophen dazu nichts mehr zu sagen haben. (19.09.18)

 

Die Pflanze als moralisches Subjekt

„Haben Pflanzen Rechte?“, fragt Rainer Erlinger in der SZ und macht im Streit um den Hambacher Forst noch ein weiteres diskursives Minenfeld auf. Weltweit werden Bäume verehrt, doch auf die Frage nach ihrem moralischen Eigenwert geben Philosophie, Religion, Verfassung und Ernährungswissenschaft ziemlich unterschiedliche Antworten. (19.09.18)

 

Ein Aber über allen

Simon Strauß (wer sonst) hat für die FAZ an einer aus Rufsorge mäßig besuchten Münchner Tagung über die literarisch-spiritistischen Kosmiker um Alfred Schuler und Ludwig Klages teilgenommen und freut sich über den munteren Streit über den Irrationalismus und Antisemitismus der Kosmiker und ihre Bedeutung für den Nationalsozialismus. (19.09.18)

 

Innovation, Transfer, Kommunikation

Die von Betriebswirten dominierte Wissenschaftspolitik verlangt vorgeblich sowohl Anwendungsorientierung als auch Grundlagenforschung, steht letzterer damit jedoch vor allem im Weg, wie Thomas Thiel in der FAZ beschreibt und sich ein Lob der Vernunft anstelle von noch mehr Wissenschafts-PR wünscht. (21.09.18)

 

Die Kunst, nicht Recht behalten zu müssen

Die ZEIT versucht mit „Deutschland spricht“ Leute mit gegensätzlichen Meinungen in den Dialog zu bringen. Romy Jaster und David Lanius erklären die psychologischen Fallstricke von Kontroversen, wie man richtig mit politischen Gegnern diskutiert und etwas davon hat, nicht „gewinnen“ zu wollen. (21.09.18)

(Photo: diego_torres, Roman Grac, pixabay.com, CC0)

Bücher

Der Standard schwärmt vom Quantenphysiker Carlo Rovelli, der in zwei auf Deutsch erhältlichen Büchern Raum und Zeit auf den perspektivischen Grund geht. +++ Die taz unterhält sich mit Dima Wannous über ihre syrische Heimat vor und im Bürgerkrieg, der sie einen Roman gewidmet hat. +++ Steven Pinker fordert in seinem neuen Buch „Aufklärung jetzt“. Seine diagrammreiche Polemik gegen Fortschrittspessimismus und Krisendiagnostik wird in der ZEIT ausführlich rezensiert. +++ Der Tagesspiegel freut sich über den Wissenschaftscomic, in dem Neurowissenschaftler bilder- und lehrreich „Das Gehirn“ erklären.

 

Bild und Ton

Wem „Inception“ zu wenig Gebrauch von den Möglichkeiten einer rein psychischen Ontologie gemacht hat, der könnte bei der Netflix-Serie „Maniac“ besser aufgehoben sein, die von der SZ als effektreiche Reise ins Unterbewusstsein und von der FAZ als mutiges Experiment mit und an dem Realitätssinn gelobt wird.

Die taz empfiehlt den Film „Wackersdorf“, der das politische und gesellschaftliche Ringen um die Atomkraft in den 1980er Jahren darstellt (und angesichts der Vorgänge im Hambacher Forst zur richtigen Zeit kommt). Auch Telepolis freut sich über diesen urbayrischen Polit-Thriller und „Heimatfilm gegen das Heimatministerium“:

„Was ist überhaupt normal?“, darüber diskutieren Lara Huber und Jürgen Wiebicke im Philosophischen Radio des WDR 5. Im DLF kommt heute die Lange Nacht über Demenz, morgen früh geht Thomas Meyer in einem zweiteiligen Radioessay den neuen und alten Rechten nach und mittags sind #MeToo, #MeTwo, Kirche und Missbrauch die Themen bei Sein und Streit.

 

Geschwindigkeit und Herzstillstand

Bereits am 10. September ist Paul Virilio im Alter von 86 Jahren gestorben, wie die NZZ kurz meldet. Die FR würdigt ihn als ungebrochen aktuellen Denker der Beschleunigung und des virtuellen Kriegs, worauf auch die SZ in ihrem Nachruf anhebt, während der Standard an Virilio als Architekten und Vordenker des „rasenden Stillstands“ erinnert, doch die Titanic hat den allerbesten Virilio-Nachruf von allen.

 

Das Weitere und Engere

Zwei Studis haben das Philosophicum der Uni Frankfurt mit Steinen beworfen und mit Hammer und Sichel besprüht, die FR war beim denkwürdigen Amtsgerichtsprozess dabei. +++ Die FR berichtet von der Kölner Konferenz der Gesellschaft für analytische Philosophie, wo man sich vor allem damit auseinandersetzte, warum Philosoph*innen in öffentlichen Debatten kaum vorkommen. +++ Die WELT stellt John Lockes Gedankenexperiment „Der freiwillige Gefangene“ vor, das nach wie vor hilft, den Freiheitsbegriff zu klären. +++ Der Standard ist noch ganz mitgenommen von der Eröffnung des Steirischen Herbstes mit Performances u.a. von Laibach und einem greisen Philosophen im Trachtenjanker. +++ Thomas Assheuer erinnert in der ZEIT an Georg Simmel, der vor 100 Jahren starb, als akademischer Außenseiter seiner damaligen Gesellschaft gekonnt den Puls fühlte und bis heute zitiert wird, ohne dass sein Name fällt. +++ Der Althistoriker Ralf Behrwald blickt zurück auf die FAZ-Debatte um den Begriff des Mittelalters und stellt die Schwierigkeiten globalhistorischer Periodisierungen dar. +++ Nicht mehr lang, und die Maschinen schreiben Romane: Die FAZ stellt den Plot-Generator vor, der auf Knopfdruck Geschichten, Charaktere und alles andere ausspuckt, was der Phantasielose zum fiktionalen Schreiben braucht. +++ Matthias Warkus beschäftigt sich in seiner Spektrum-Kolumne mit den verschiedenen Arten von Wissen, die die Philosophie neben dem bloßen Faktenwissen kennt. +++ Hurra, wir verblöden: Seit Mitte der 1970er sinken die durchschnittlichen IQ-Werte von Jahr zu Jahr, wie Telepolis meldet. +++ Der Futorologe Matthias Horx rät im SZ-Interview dazu, sich weder von hysterischen Debatten noch von Utopien davon abhalten zu lassen, an die Zukunft zu denken. +++ Das „Bohemian Browser Ballett“ (BBB) hat die besorgten Bürger von Chemnitz satirisch aufs Korn genommen und daraufhin Besuch von der AfD bekommen, die mit Filmkamera vor den Privatwohnungen der Beteiligten aufgetaucht ist. Schlecky Silberstein fühlt einen Hauch von 1933 im Nacken und für die FAZ zeigt die AfD spätestens jetzt, „was wirklich in ihr steckt“. +++ Nicht ganz uneigennützig listet die taz 15 Gründe auf, warum die Zeitung (ob auf Papier oder als E-Book) und ihre Verantwortlichen in digitalen Zeiten weiterhin Respekt verdient haben. +++ Vielleicht gilt das ja auch für Zeitschriften. Der neue Lichtwolf ist da, hat 112 Seiten und beschäftigt sich mit „Genozid für Fortgeschrittene“.

Schreiben Sie einen Kommentar