heads and hands 2004 – Der Bericht

von Timotheus Schneidegger, 19.05.2004, 11:31 Uhr (Dunkles Zeitalter)

 

 

Die Karre gab es nicht zu gewinnen. Entweder stand die zum Appetitmachen dort oder einer der Aussteller hat sich bis vor die Tür fahren lassen, weil sein Helikopter nicht auf dem Rahnerplatz landen konnte.

 

Von Absolventenmessen, diesem Dschungel von Hochglanzprospekten, Anglizismen und bunten Firmenständen, zwischen denen headhunter nach Beute suchen, halten sich Philosophie-Studierte in der Regel fern.

Wer im Laufe seines Studiums instinktsicher und vernunftbegabt die Zeichen der Zeit erkannt und für sich verstanden hat, hat die Philosophie Hobby sein lassen und etwas richtiges zu Ende studiert, also etwas, was ein Ende hat und sich auf einer „recruiting-Messe“ ohne Verlegenheit vorzeigen lässt. Das übrige Dutzend der jährlichen Philosophie-Abschließer hat entweder kein geregeltes Einkommen nötig oder sich bereits zuverlässig im wissenschaftlichen Feld plaziert, also kein Interesse an „job“ oder „career“. Beide Seiten also, „ausgebildeten Philosophen“ und Absolventenmesse koexistieren im stillen Einverständnis, sich nicht in die Quere zu kommen. Das ist komisch: Prallen diese Welten doch einmal aufeinander, so tritt ihr beiderseitiges Scheitern zu Tage, nur zählt die eine das Scheitern zu ihrem Wesen, während die andere es als schlimmstes aller Übel fürchtet.

Keine verrückte Obdachlose, die den Beamer klaut, sondern die Alditüten-Frau. Ob die Aussicht, eines Tages ebenfalls in einem Kleid, das den frühen Wigald Boning neidisch gemacht hätte, auf Messen herumzustehen für Ökonominnen besonders verlockend ist, darf jedoch bezweifelt werden.

 

„heads and hands 2004“, die von Uni, Career Center und Studentenwerk initiierte Absolventenmesse, die am 15. Mai in die Mensa Rempartstraße weste, richtete sich nicht nur an Kopf- und Handarbeiter, auch an „young professionals“. Obwohl wir nicht wussten, was das sein soll, fühlten wir uns angesprochen und schickten zwei Lichtwolf-Redakteure hin. Eintritt war frei und man konnte zu Fuß hinlaufen, also wurden noch nicht einmal Spesen fällig. Und das Scheitern konnte entfesselt werden.

Etwa drei Dutzend Aussteller drängten sich in den oberen Stockwerken der denkmalgeschützten Fraßraffinerie. Neben halbwegs bekannten Firmen wie Aldi (Süd) und der Dresdner Bank auch sonderliche Exoten wie AESCULAP AG & Co. KG, die beruhigenderweise in Medizintechnik macht, d.h. deren Klientel kann mit obskuren Abkürzungen umgehen. Auch uninahe Organisationen wie das Frankreich-Zentrum, diverse Sprachschulen und andere Coaching-Geschichten waren dabei, mussten aber mit ihren aus Holz und Pappe gezimmerten Ständen ins Obergeschoß. Wie üblich ließ es sich ganz gut auf der Messe aushalten: Von Aldi gab es Chips, O-Saft und eingeschweißte Freßpakete mit schimmligem Obst und überall lächelten schöne Menschen in eleganter Aufmachung freundlich dem mümmelnden Zaungast zu.

 

DaimlerChrysler am Treppenaufgang machte schon von außen einen ansprechenden Eindruck: Dezentes Eierschalenweiß mit schwarzer Schrift (Times New Roman) ohne hektische Farbgebung umgrenzte die Parzelle, die Anzüge saßen und der Beamer strahlte auch mal was anderes als Fehlermeldungen oder Windows XP-Hintergründe an die Tapete. Dort hätte man mal fragen können, wo die Dividende von diesem Jahr bleibt und warum Schrempp, der wohl auch von seinem Betriebsphilosophen nicht zu zügeln war, weiterhin im Vorstand wüten darf. Aber wir hatten ja Zielgruppenvorgaben. Das Gespräch mit Herrn Gräber von DCX gibt es hier.

Die Damenkollektion von Orsay zum Bewerben. In der kommenden Saison dominieren die Gefahr signalisierenden Farben auch im Büro und an der Schlange vorm Arbeitsamt.

 

Der Stand der Klamottenverramsche Orsay sah ebenfalls zunächst vielversprechend aus. Gerade hatte sich das Unternehmen mit einer Modeschau auf der Mensabühne beliebt gemacht, bei der eine „reine Damenkollektion“ für Büro und Bewerbung auf- und ablief (Bilder in der Galerie). Und Orsay hatte sich das blaue Quadrat auf dem Lageplan der Messe gegönnt. Blaues Quadrat heißt: Die suchen Geisteswissenschaftler. (Kam sonst nur noch bei Franke Schweiz AG und der Techniker Krankenkasse vor.)

Leider verstand Orsay darunter nur BWL- und Jurastudenten, denn es bestand weder Interesse an einem mit Marx und Marcuse bewaffneten Betriebsphilosophen, noch an einem Korrekturleser für die ausliegenden Flyer.

Philosophen haben nicht nur zu denken gelernt, sondern können auch richtige Worte von falschen unterscheiden und hätten diese Blamage abwenden können. Hoffentlich lernt Orsay daraus! (zum Vergrößern einfach mal auf das Bild klicken)

 

Dabei herrscht gerade an letzterem doch sichtbarer Bedarf (siehe Bild). Immerhin: Sobald Vollbeschäftigung ausbricht wäre ein Philosoph in der Abteilung Personalentwicklung vorstellbar.

Orsays Firmenphilosophie wurde als jung, dynamisch und international beschrieben. Ob der Laden damit eine Mischung aus Schopenhauer (der zwar wenig dynamisch) und Leo Trotzki (der nicht immer jung war) ist, konnte die Dame am Stand nicht bestätigen. Dies weniger, weil die PR-Aufpasserin nicht in der Nähe war, um das ganze abzunicken, sondern wohl eher weil weder der erste, noch der zweite Name ein Begriff war.

Die von öffentlicher Hand in die Bewerberschlacht geworfenen Vertreter von Institutionen wie Arbeits- und Sozialamt mussten sich im Abseits an den Katzentischen herumdrücken. Dafür gab es dort die dicksten Prospekte mit dem meisten Text, regelrechte Konvolute im Vergleich zu den Hochglanzzetteln mit glücklichen, schönen Menschen der wirtschaftenden Unternehmen. Und die klarsten Antworten gab es hier auch. So hat Herr Mattusch vom Arbeitsamt sehr schön auf den Punkt gebracht, was einen durchschnittlichen Philosophie-Magister nach dem Abschluß erwartet: Zwar kann so ein MA denken wie kein anderer, aber seine Chancen sind gleich null. Wahrscheinlich nicht „trotzdem“, sondern „deswegen“. Obwohl jedes Unternehmen gut beraten wäre, sich einen open-minded Philosophen für Organisations-Management und Informations-retrieval einzustellen. Andererseits ist dieses ominöse erweiterte Europa für das Arbeitsamt noch eine solche terra incognita, daß vermutlich selbst Philosophen in Estland Reden schreiben und Miete sparen könnten; vorausgesetzt sie wissen wie man Powerpoint-Präsentationen zusammenschludert (und dafür gibt es ja die Assistenten des MS Office-Pakets).

Medienpartner von heads and hands 2004: Die Zeit und Junge Karriere. Bester Stand von allen, obwohl es nichts zu trinken gab.

 

Mit den esoterischen Wirtschafts-Denglisch-Worten im Ohr ging es zum Stand von „Die Zeit“, wo es nicht nur die aktuelle Ausgabe kostenlos gab, sondern auch mal jemanden, der sowohl von investigativem Journalismus als auch vom Philosophie-Studium schon etwas gehört hat. Insofern war das Gespräch mit der dortigen Ausstellerdame das ergiebigste. (Es nachzulesen und anzuhören – mit allen Sakrilegen gegen den kapitalistischen Weltgeist – an dieser Stelle.) Ihr Hinweis auf den Artikel mit der bezeichnenden Überschrift „Cash schlägt Kant“ in der aktuellen Beilage „Zeit Chancen – Studium und Karriere“ (Nr.18, April 04, S.8) sei hier gerne weitergegeben. Darin geht es um Till Streichert, der in Boston über Kant promoviert hat und mit einer dreiminütigen Darstellung des ontologischen Gottesbeweises im Vorstellungsgespräch so glänzte, daß er jetzt als Assistent des „Managing Director“ von T-Mobile Großbritannien knechten darf. In etwa das, was Herr Mattusch vom Arbeitsamt als letzte Chance der Philosophen in der heutigen Welt ausmalte.

Hoffnung für die Höchsten: Einladung zum Dequalifizierungs-Seminar des Lichtwolf.

 

Zu guter Letzt hat sich der Lichtwolf derer angenommen, die in unserer Gesellschaft ein trauriges Nischendasein führen müssen: Die hoffnungslos überqualifizierten Fachkräfte, die gegen Nachmittag in Strömen mit hängenden Köpfen aus der Mensa trotteten, weil sie einfach zu gut für diese Arbeitswelt sind. Für viele war die Einladung zum de-qualification Wochenendseminar des Lichtwolf das Highlight in der doch so gut ausgeleuchteten recruiting Messe. (Das Flugblatt zum Ausdrucken und Wegwerfen gibt es hier.)

 

Das Resümee von heads and hands 2004: Mitgenommen haben wir je eine Ausgabe von Die Zeit (mit Sonderbeilage) und Junge Karriere, insgesamt 6 Euro. Außerdem drei Gläser O-Saft (etwa 4,50 Euro), je ein Freßpaket von Aldi (etwa 2,- Euro), viele Kugelschreiber und Schmierpapier (ein Euro), insgesamt also Erträge im Gegenwert von etwa 13 Euro 50. Das und die interessanten Einsichten, die in den Gesprächen vermittelt wurden, lassen uns sagen: Gerne wieder.

 

Dieses Dossier kostet im Gegensatz zu denen von Spiegel Online nichts und enthält folgendes:

heads and hands 2004 – Der Bericht

Interviews:

heads and hands 2004 – Fotogalerie

Einladung zum de-qualification Wochenendseminar des Lichtwolf (PDF-Datei, ungefähr 42,8KB groß)