heads and hands 2005 – Angst und Schrecken

Alles hat seinen Widerpart. Superman hat Lex Luthor, Batman hat gar einen ganzen Zoo von Gegenspielern und so geht es auch dem Lichtwolf. Ein ganz dicker Brocken unter seinen Erzfeinden ist „Griffel und Köppe“, auch „heads and hands“ genannt, und war Ende April wieder in Freiburg.

von Timotheus Schneidegger, 30.04.2005, 22:03 Uhr (Freiburger Zeitalter)

 

Die alljährliche Absolventenmesse heads and hands, 2004 noch ein gemütlicher Trödelmarkt aus selbstgezimmerten Bruchbuden, zwischen denen sich die badische headhunter-Elite in der Mensa Rempartstraße langweilte, hat 2005 – offenbar hat man inzwischen mitbekommen, daß sich die ganze Welt über das Wirtschafts-„Deutsch“ kaputtlacht – den albernen Untertitel „recruiting-Messe“ abgeworfen und ist vollends zur „Zukunftsmesse“ ausgewachsen. Symbolisch ist der Benz, den DaimlerChrysler vor dem Eingang geparkt hat, viel größer als der vom letzten Jahr.

DCX-Benz

Verfluchte Muttersprache, daß du das Wort Wichstum nicht kennst und damit so viele Kalauer („Unser Unternehmen wichst. Wichsen Sie mit!“) verunmöglichst!

 

 

Die Sonne knallt gnadenlos auf das Dach der unlängst zur Multifunktionshalle mutierten Mensa, die allen in ihr beherbergten Veranstaltungen den Fluch des Scheiterns auferlegt. Kein Wunder, ist der Fraßraffinerie ja selbst bei ihrer eigentlichen Aufgabe kein Erfolg vergönnt. Mit fiebrigem Blick schleichen die Damen in Kostümen, die Herren in Dreiteilern zwischen Plakatwänden und Beamern umher, Achselschweiß suppt aus den Ärmeln, in schattigen Ecken schlabbern delirierende Menschenressourcer irre kichernd ihre Latte Macchiato-Einläufe, die fernen Stände flirren in der Hitze wie die gottverlassenen Barracken von Wild West-Geisterstädten. DaimlerChrysler ist also wieder dabei, Die Zeit auch, die ganzen Medizinkapitalisten, Sprachschulen und Absolventenlandverschickungen aus der akademischen Korona – und natürlich die verrückte Alditütenfrau.

Alditütenfrau

Hätten Obdachlose auch nur ein kleines bißchen Stilbewußtsein – ach, wie prachtvoll könnten deutsche Innenstädte sein!

 

Erst der zweite Blick macht die Veränderungen gegenüber 2004 sichtbar. Im Alditütenkleid steckt eine andere Frau – ihre Vorgängerin hatte sich damals zwar vom Aldiführer mit der Kündigungsdrohung zum Überstreifen des Plastikdirndls zwingen lassen, aber irgendwann muß die ja auch entlassen und durch motivierte „young professionals“ ersetzt werden.

Es fehlen die ganzen im letzten Jahr so lieb gewonnenen Gestalten: Der Verein formerly known as Arbeitsamt ist kaum wiederzuerkennen (m.a.W. ich habe den Stand nicht gefunden), den Zeit-Stand hat die Praktikantin vom letzten Jahr übernommen und bei DaimlerChrysler stehen nur „social skill“-Seminaristen herum. Es ist eiskalt; keiner weiß, ob gleich der blanke Haß oder die brodelnde Geilheit aus den von Marilyn Manson besungenen schönen Leuten herausplatzt, aber irgendeine Orgie wird kommen, das steht allen ins Gesicht geschrieben.

Bis dahin sprechen die Freundlichkeitsroboter routiniert jeden an, der es versäumt, Blickkontakt zu meiden. Weil mit dieser Sorte von in Anzug gepresster, fleischgewordener Kommunikationskompetenz, die einen investigativen Reporter schon auf tausend Kilometer entdeckt, nichts anzufangen ist, gibt es dieses Mal keine Interviews – da hätte ich ja auch gleich mit einem Anrufbeantworter sprechen können.

 

Am vergangenen Mittwoch sprach der Luxemburger Kathedersympath Guy Kirsch vor Absolventen der Freiburger Wirtschaftswissenschaftler über Angst und Furcht in Politik und Wirtschaft. Perlen vor die Säue. Mit Kierkegaard bestimmte er Furcht als die Wahrnehmung einer konkreten Gefahr im Gegensatz zur Angst als allgemeines Gefühl der Unsicherheit.

Volksmassen

Sprachspiel für die humanistisch gebildete Zielgruppe: Absolvenz, Insolvenz, Supersolvenz, haha.

 

Diese resultiere aus einem Mangel an Wissen. Es käme nicht auf die Menge der Informationen an, sondern auf ihre Verknüpfung zu einem konsistenten, sinngebenden Verständnisganzen. Die Informationsflut und Sinnentleertheit der Moderne seien idealer Nährboden der Angst, der rational durch den Auszug, das fürchten zu lernen, zu begegnen sei: Die allgemeine Angst müsse auf eine konkrete Furcht zurückgeführt werden. Kirsch beschrieb, wie eine ganze Furchtobjektindustrie in Medien und Politik davon lebe, geeignete Furchtobjekte anzubieten, auf die sich das Gefühl der Angst reduzieren lässt. Gut zu wissen, daß der Kapitalismus seinen Siegeszug nun auch in den dunklen Gefilde menschlicher Gefühlsregungen antreten zu können meint.

In der anschließenden Diskussion ließ sich entspannt – man war ja unter sich – über Münteferings haferstichige Kapitalhetze witzeln und die Frage des Gastgebers Gerold Blümle an den geladenen Kirsch war dann doch bezeichnend für das vorherrschende Weltbild: Die Menschen seien allgemein träge und dem status quo aufs lästigste verhaftet, welche Furchtobjekte müsse man zur Ablenkung ihrer Ängste liefern, um die Marktliberalisierung weiter vorantreiben zu können?

Wer weiß, ob man an die Eliteposten, auf denen sich solche Geister austoben können, durch Messen wie heads and hands gelangt. Die bildungsfremde Truppe aus Kapitalclowns, die während Kirschs Vortrags auf Zettelchen darum baten, mitzuschreiben, sobald „klausurrelevante ökonomische Bezüge“ auftauchen, und ihren Schicksen, die immerzu tratschten als wäre man beim Friseur, ist zwar Zielgruppe von heads and hands, zog aber offenbar das Sonnenbad an der Dreisam dem Arrivieren vor. Gut so, soll das verdammte Pack Platz machen für trotzige Geisteswissenschaftler (die bei heads and hands nix zu suchen, bzw. finden haben), denn Frieden kann es zwischen uns nicht geben, auch wenn viel zu viele Gutmenschen versuchen, „das friedliche Miteinander diametral entgegengesetzter, antagonistischer Ideologien zu propagieren, wenn sie nach Hegelscher Art ‚vermitteln‘, und das heißt versöhnen wollen, was schlechterdings nicht versöhnt werden kann“ (Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Editorial der Ausgabe 1/1957).

Skull and Bones

Das seien die Überreste minderqualifizierter Bewerber, scherzt die Dame von stryker. Ist das schon Holocaustleugnung?

 

Damit lassen sich auch die Beraterfritzen abwimmeln, wenn das demonstrative Desinteresse allein nicht weiterhilft. Im sog. „Pavillion“ der Mensa haben sich vier „Terminals“ eingerichtet: Hier geht es um Existenzgründung, gerade für auf Seinsfragen abgerichtete Philosophen Freiburger Prägung interessant. „Ich würde endlich Existenzen bei ihrer Entstehung ertappen“ (Sartre: Der Ekel, S.150), denke ich noch, ehe mich sogleich ein Steuerfachmann anfällt: Ich bin zu lange vor einer unverständlichen Auflistung halb englischer, halb deutscher Worte stehengeblieben. Um ihn nicht sofort zu frustrieren, erzähle ich, schon längst eine Existenz gegründet zu haben, spare mir aber sophistische Witzchen und verkaufe ihm statt dessen den Lichtwolf als Erfolgsgeschichte studentischer Selbständigkeit. Nachdem er verarbeitet hat, daß es sich hierbei nicht um irgendwelchen Bio- oder Informationstechnologie-Kram handelt, auch nicht um Philosophie, was schon schlimm genug wäre, sondern gar um das Gegenteil davon, fragt er mit diesem „Oh Scheiße“-Blick, irgendwo zwischen Abscheu und faszinierter Neugier gefangen (die Gleichzeitigkeit dieser Empfindungen kennt jeder, der sich schon einmal z.B. einem übergroßen Insekt hinter einer schützenden Glasscheibe gegenübersah), ob ich davon etwa leben könne. „Nein, im Gegenteil“, antworte ich und freue mich über die tiefsinnige Mehrdeutigkeit dessen. Sein Interesse ist endgültig versiegt, nachdem ich darlege, wie wir beim Lichtwolf ohne die geringsten betriebswirtschaftlichen Kenntnisse oder finanziellen Ehrgeiz vor uns hinwurschteln und mögliche Übernahmen durch das konsequente Erwirtschaften von Verlust abwehren. Der Steuerfachmann entschuldigt sich artig, ich klaube meine Prospekte und Werbegeschenke zusammen und verlasse den Existenzgründersektor, wo das Wort seine Wirklichkeit fand: „Alles Existierende entsteht ohne Grund, setzt sich aus Schwäche fort und stirbt durch Zufall.“ (ebd. S.152)

 

(Empfohlene Lektüre zur Vertiefung: heads and hands 2004, das Dossier zur recruiting-Messe mit interessanten Gesprächen an den Ständen von Arbeitsamt, DaimlerChrysler und Die ZEIT.)

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