heads and hands 2004 – Chancen gleich Null

Herr Mattusch vertrat auf der Messe die European Employment Services (EURES), einen Zusammenschluß der europäischen Arbeitsverwaltungen, dessen Ziel es ist, generell die Mobilität der europäischen Arbeitnehmer zu fördern und den Arbeitgebern die richtigen Arbeitnehmer zu verschaffen. Der Mann arbeitet in Freiburg bei der Agentur für Arbeit, obwohl auf seiner Visitenkarte immer noch „Arbeitsamt“ steht. Gut, hätte der Laden gleich wieder Millionenbeträge für neue Karten verpulvert, wäre es auch nicht recht gewesen.
Dafür kennt er Arbeitsmarkt und Philosophie gut genug, um deren Beziehung mit angemessener Widersprüchlichkeit zu beschreiben.

von Timotheus Schneidegger, 19.05.2004, 10:59 Uhr (Dunkles Zeitalter)

 

(Gespräch mit Herrn Mattusch als MP3, ungefähr 12,5MB groß)

 

Lichtwolf: Wer ist der typische Student, der sich an Ihrem Stand informiert?

 

Herr Mattusch: Es waren heute relativ viele da, die sich für die neuen osteuropäischen Länder interessiert haben, das ist mir wirklich aufgefallen.

 

Lichtwolf: …die EU-Beitrittsländer…

 

Herr Mattusch: Die Beitrittsländer, genau. Viele haben sich dafür interessiert, zum einen für den Bereich Studium, zum Teil aber auch für Arbeit nach dem Studium, und die meisten, die in die klassische Beratung kommen, sind in der Regel Leute, die sehr mobilitätswillig sind. Die größten Hits sind UK wegen der Sprache, und Spanien ist auch sehr attraktiv.

 

Lichtwolf: Aber Estland und Lettland sind auch wegen der Lebenshaltungskosten zum Beispiel attraktiv, die ja im Vergleich zu Freiburg nur einen Bruchteil ausmachen.

 

Herr Mattusch: Ja, sicher deswegen. Und was man so hört ist ja auch, daß das mittlerweile sehr moderne Staaten sind, die internet-mäßig sehr stark ausgerüstet sind.

 

Lichtwolf: War auch ein langer Artikel darüber im Spiegel letztens.

 

Herr Mattusch: Genau, genau.

 

Lichtwolf: Welchen Aufgaben würden einen ausgebildeten Philosophen auf dem neuen europäischen Arbeitsmarkt erwarten?

 

Herr Mattusch: Ja, gut, ein ausgebildeter Philosoph ist jemand der gelernt hat zu denken – was heute gar nicht mehr so selbstverständlich ist. Von daher denke ich, daß eigentlich jedes Unternehmen und jede Institution gut beraten wäre, Philosophen einzustellen.

Was vielleicht bei den Philosophen fehlt ist ein gewisser wirtschaftlicher Hintergrund und die notwendigen, sage ich mal, operativen Kenntnisse, also gute IT-Kenntnisse – was man halt heute so im Organisations-Management braucht. Aber wenn Sie das mitbringen, haben Sie als Philosoph meiner Einschätzung nach genau so viel Chancen wie ein Volkswirt oder Jurist und sind zum Teil sicher sogar noch besser branchen- und spartenübergreifend geeignet.

Lichtwolf: Dazu fallen mir gleich zwei weitere Fragen ein. Die erste: Macht es noch Sinn, von den Philosophiestudenten weiterhin die Beherrschung einer alten Sprache zu verlangen, oder sollte man stattdessen einen Hörerschein zum Beispiel in Makroökonomie oder Urheberrecht zur Voraussetzung für die Zwischenprüfung machen?

 

Herr Mattusch: Also, ich kann es auf jeden Fall so sagen: Ob Sie eine alte Sprache lernen sollen oder nicht, kann ich nicht beurteilen, weil die reine Kompetenz dieser Sprache in der Regel für den Arbeitsmarkt heute nicht mehr sehr viel ausmacht. Ob Sie beim Lernen der Sprache andere Schlüsselqualifikationen erworben haben, wie zum Beispiel logisches Denken oder strukturelles Denken, ist eine andere Frage.

Aber daß es sehr sinnvoll ist, Zusatzqualifikationen zu erwerben, steht außer Frage. Es gibt ja die Möglichkeiten, entweder ein Beifach zu wählen, das sehr praxisorientiert ist, oder einfach in der Akademie für Weiterbildung, die auch von der Uni betrieben wird, die nötigen Zusatzkenntnisse zu erwerben. Denn Sie brauchen natürlich als Philosoph nicht nur ihre Fachkenntnisse – das geht dem Volkswirt im Prinzip auch so – , sondern Sie brauchen das, was man heutzutage im handling können muß, wenn man in teams, die in der Regel kompetenzübergreifend sind, arbeiten will.

 

Lichtwolf: Eine Frage, die bei einigen Unternehmensvertretern für Staunen gesorgt hat (den Anfang der Philosophie), war die, was von der Idee eines Betriebsphilosophen zu halten ist, der in Ergänzung zum Betriebspsychologen die Mitarbeiter weiterbildet, indem er ihnen zum Beispiel aus „Sein und Zeit“ oder Marcuses „Der eindimensionale Mensch“ vorliest und mit den Menschen dort Gespräche führt. Für DaimlerChrysler wäre das vielleicht auf der Ebene des

Managements vorstellbar. Sie haben gerade gesagt, daß Philosophen gerade in solchen Bereichen in Europa Anstellung finden könnten.

Herr Mattusch: Es gibt mittlerweile durchaus Philosophen, die im Bereich

philosophischer Lebensberatung arbeiten, und zwar nicht mit einem psychotherapeutischen oder spirituellen, sondern mit einem philosophischen Ansatz. Mir selber sind hier in Freiburg ein, zwei Praxen bekannt, die so arbeiten. Ich denke, wenn diese philosophische Orientierung im privaten Bereich nutzvoll ist, scheint es mir offensichtlich zu sein, daß sie auch im unternehmerischen Bereich nutzvoll sein könnte.

 

Lichtwolf: Sie meinen das wäre etwas, woraus man durchaus Kapital schlagen könnte?

 

Herr Mattusch: Ich denke schon. Die Frage für mich ist halt, inwieweit in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation sich die Unternehmen darauf einlassen würden, so jemanden einzustellen. In der Regel wird es vermutlich so sein, daß Sie als Selbstständiger – als freelancer – so etwas anbieten müssten. Ich glauben, daß da durchaus Chancen bestehen.

 

Lichtwolf: In Form einer Ich-AG?

 

Herr Mattusch: Zum Beispiel.

 

Lichtwolf: Der Bachelor-Studiengang Philosophie. Was sollte ein Student nach sechs Semester können, um sich auf dem modernen Arbeitsmarkt zurechtzufinden?

 

Herr Mattusch: Da müsste ich überlegen. Wichtig sind einfach Zusatzqualifikationen, weil er ja dann nicht direkt als Philosoph beschäftigt werden wird, sondern er wird im Unternehmen oder in einer Institution eine trainee- oder Einweisungszeit durchlaufen. Die Kenntnisse, die er braucht, um dort zu arbeiten, wird er in der Regel da lernen, ob Sie jetzt bei DaimlerChrysler arbeiten oder als Hochschulberater bei der Agentur für Arbeit. Sie müssen das, was Sie dort lernen, das Werkzeug und die Methoden, dann im Rahmen von trainee oder Einweisung kennenlernen. Von daher ist das wichtigste, daß sie open-minded – fällt mir als Wort ein! – sind…

 

Lichtwolf: Das sind Philosophen ja meistens. Hoffentlich.

 

Herr Mattusch: Das liegt in der Struktur der Sache. Deswegen habe ich das am Anfang unseres Gesprächs so thematisiert, daß sie – vermutlich! – flexibler im Denken sein müssten, als jemand, der Ingenieurswissenschaften studiert hat, und in seiner Fachrichtung sehr gut und spezialisiert ist.

Ich hatte es vorhin schon gesagt: Was Sie sicher können müssten ist das gesamte MS Office-Paket, mit den ganzen Sachen wie Powerpoint-Präsentationen und dieses handling – das müssten sie einfach mitbringen. Da weiß ich nicht, inwieweit Sie das während des Studiums lernen.

Lichtwolf: Im Studium selbst nicht. Aber für die Generation, die jetzt kommt, ist das kein Problem, die ist ja mit dem Computer großgeworden. Das ist ja was anderes als die Professoren, die jetzt noch da sind, und gerade mal wissen wie der Computer angeschaltet wird.

 

Herr Mattusch: Genau. Was mir auch ganz wichtig erscheint ist, daß sie in dem, was man so Informations-retrieval nennt, sehr fit sind.

 

Lichtwolf: Recherche?

 

Herr Mattusch: Internet-Recherche. Man muß mit dem Internet sehr gut umgehen können und wissen: Wie finden Sie Informationen, wie bereiten Sie diese auf. Das ist durchaus immer schon ein klassisches Berufsfeld für Philosophen gewesen, daß sie z.B. Assistenten von irgendwelchen Vorstandsmitgliedern waren und denen die ganzen Informationen gemacht und Reden geschrieben haben.

 

Lichtwolf: Redenschreiber…

 

Herr Mattusch: Ja, das klingt jetzt so verkürzt: »Redenschreiber«! Ich denke so geht das heute ja nicht mehr, sondern es wird wirklich jemand sein, der im Prinzip für seine Tätigkeit eine journalistisch- dokumentarische Kompetenz braucht.

 

Lichtwolf: Wie würden Sie die Einstiegschancen für einen Philosophie-Magister beurteilen, der sein Studium in der durchschnittlichen Studienzeit von 16 Semester absolviert hat, das heißt im Idealfall 28 Jahre alt ist und damit ein gutes Drittel seines Lebens nie richtig gearbeitet hat?

 

Herr Mattusch: Ich denke die Chance, daß der heute einen Einstieg in ein Unternehmen bekommt, ist gleich null.

Lichtwolf: Das sind klare Worte.

 

Herr Mattusch: Ja, das kann man sicher so sagen. Weder in einer Institution wie der Agentur für Arbeit, die auch Philosophen für bestimmte Bereiche einstellt, noch bei irgendeinem wirtschaftsorientierten Unternehmen wird dieser Absolvent eine Chance haben.

 

Dieses Dossier kostet im Gegensatz zu denen von Spiegel Online nichts und enthält folgendes:

heads and hands 2004 – Der Bericht

Interviews:

heads and hands 2004 – Fotogalerie

Einladung zum de-qualification Wochenendseminar des Lichtwolf (PDF-Datei, ungefähr 42,8KB groß)

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