Links der Woche, rechts der Welt 27/21

Geschöpfe und du

Die Historikerin Dagmar Herzog hat bei den diesjährigen Adorno-Vorlesungen über Eugenik gesprochen, die schon vor 1933 als zur Tat schreitende Rationalität akzeptiert war, wie die taz resümiert. Adorno übrigens hat einen Stolperstein in Frankfurt-Oberrad bekommen und die FR berichtet über den langen Weg dahin.

Christine Korsgaard könnte mit „Tiere wie wir“ ein Standardwerk der Tierethik vorgelegt haben, glauben wir der FR-Rezension, die Korsgaards Aristoteles und Kant fortsetzende Argumentation für Pflichten gegen die Mitgeschöpfe zusammenfasst. Die WELT derweil empfiehlt eine arte-Doku über Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Mensch und Tier. (Mediathek)

Ernährung ist nicht nur eine Frage von Tierethik und Klimaschutz, sondern auch der Gesundheit, wie der Vortrag von Thomas Mohrs auf der Jahrestagung des Ethikrats zeigt, über den die FAZ nachgrübelt.

Die SZ unterhält sich mit Jurgis Karpus und Bahador Bahrami, die erforschen, wie rücksichtslos sich Menschen gegenüber Maschinen z.B. im Straßenverkehr benehmen.

 

Nichts scheint, alles bleibt…

wie es ist.

Ole Nymoen sieht im Freitag ein, dass von den Hoffnungen auf einen postpandemischen Systemwechsel zumindest in der Arbeitswelt ebenso wenig geblieben ist wie von allen früheren Utopien einer Welt mit weniger Malochezwang. Der Überwachungskapitalismus dagegen ist längst keine Dystopie mehr, wie eine Installation der Journalistin Laura Poitras in Berlin zeigt, die uns die ZEIT erklärt.

(Photo: PhotoMIX-Company, pixabay.com, CC0)

Florian Rötzer seufzt bei Telepolis darüber, wie affirmativ es ist, Skepsis vorschnell als Verschwörungstheorie abzutun, und wie schwer, mit Systemkritik nicht von neurechten Möchtegern-Eliten eingemeindet zu werden. Der Zorn jedenfalls wächst und Albena Azmanova verzweifelt im ZEIT-Interview darüber, dass es der Linken nicht gelingt, Ärger und Enttäuschung über die wachsende soziale Ungerechtigkeit zu artikulieren.

 

Klimaschutz mal anders

Nicht nur in den Niederlanden geht’s Big Oil an den Kragen: Der Guardian schaut auf die Strategien, mit denen Ölkonzerne zur juristischen Verantwortung für die Verursachung und Verharmlosung der Erderwärmung gezogen werden sollen.

Franka Lu erklärt uns derweil in der ZEIT, dass wir beim Klimaschutz nicht allzu hoffnungsvoll gen China blicken sollten, wo jeder Protest gegen Umweltverschmutzung mit eiserner Hand und modernster Technik unterdrückt wird, weil es um nichts anderes als wirtschaftspolitische Interessen gehen soll.

Derweil mahnt eine Denkfabrik des Forschungsministeriums hierzulande, bei der Wissenschaftskommunikation bloß keinen Aktivismus erkennen zu lassen, wie die FAZ meldet.

 

Bildung, Bildung, Bildung

In Deutschland werden Kinder nach der 4. Klasse für den Rest ihres Lebens einsortiert. Eine Studie, über die die FAZ berichtet, zeigt die Dilemmata, die ein verbindlicher weiterer Schulweg bzw. die freie Schulwahl seitens der Eltern hat.

Unter dem Hashtag #IchBinHanna dokumentieren Nachwuchsakademikerinnen aller Geschlechter und Fächer ihre prekären Arbeitsverhältnisse. Telepolis unterhält sich mit Daniel-Pascal Zorn über das Elend des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes und der Universität im Würgegriff von Ökonomisierung und Bürokratie, außerdem lesen wir dort, dass niederländische Unis Festverträge zur Norm machen wollen.

 

Zweimal messen, einmal sägen

Mit der „Enzyklopädie der Genauigkeit“ stellt uns der Tagesspiegel eine Kulturgeschichte der Infographik vor, die zugleich ein munteres Lob des empirischen Rigors ist. Die Mathematikerin Irene Neumann betont im Gespräch mit der ZEIT die Relevanz ihres Fachs für fast alle anderen und erhält Zustimmung von Kit Yates, dessen Buch „Warum Mathematik (fast) alles ist“ bei Spektrum rezensiert wird.

 

Auf ins All!

Dietmar Dath stellt uns in der FAZ zwei ungewöhnliche Weltraum-Filme vor: In „Stowaway“ offenbart sich das Wesen des erdverwurzelten Herdenwesens Mensch in der Leere des Alls, „Proxima“ begleitet eine Astronautin, die sich von ihrem Kind in Richtung Mars verabschiedet. Ausführlicher geht die SZ auf „Proxima“ ein, in dem der Weltraum von Eva Greens Schauspiel zu dem Randphänomen reduziert wird, der er ja auch ist.

Dazu passend ruft Pola Fendel in der ZEIT dazu auf, Mütter ohne Kind und Väter mit Kind als inzwischen durchaus normale Alltagserscheinung zu akzeptieren.

Doch zurück ins All: 175 Sonnensysteme könnten wenigstens theoretisch etwas von der Menschheit mitbekommen haben, wie zwei Astronominnen laut FAZ ausgerechnet haben. Üben Sie schon mal auf der Erde: Spektrum berichtet über den wohltuenden Effekt, mit Fremden einen kurzen Plausch anzuzetteln.

 

Denken hier und woanders

Die deutsch-französische Freundschaft war immer auch eine geistige, weshalb sich Cécile Calla und Barbara Peveling in der ZEIT darüber wundern, warum Feministen links und rechts des Rheins kaum noch was miteinander zu tun haben. Um feministische Krimis geht es morgen bei Essay und Diskurs im DLF.

Die FAZ gratuliert Julia Kristeva, der Schöpferin des Begriffs „Intertextualität“, zum 80. Geburtstag und die taz erinnert anlässlich seines 30. Todestags an den marxistischen Stadtsoziologen Henri Lefebvre, der schon in den 1960ern eine Mobilitäts- und Urbanitätskritik formulierte, die bis heute virulent ist.

Christian Vooren wundert sich in der ZEIT über die Frage nach dem Sinn des Lebens und erwähnt die einschlägigen Philosophen wenigstens am Rande. Die Reductio ad absurdum ist in der Logik praktisch und in der Praxis unlogisch: Matthias Warkus denkt in seiner Spektrum-Kolumne über einen widerspruchsfreien Alltag nach.

Außer dem neuen Lichtwolf gibt es auch ein neues Buch, in dem Michael Helming die osteuropäischen Schriftsteller Svatopluk Turek, Hermann Ungar, Richard Weiner, Hans Olschewski und Oscar Walter Cisek aus dem Vergessen hervorholt.

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