Vordenker der Trotzphilosophie

Mitten in die vorweihnachtlichen Verpackungs- und Versandtätigkeiten rund um den anstehenden Lichtwolf Nr. 68 fällt die traurige Nachricht, dass unser geschätzter Autor und Kollege Wolfgang Schröder bereits am 9. Dezember völlig überraschend mit 70 Jahren verstorben ist.

Schröder promovierte 1981 mit der Arbeit „Reflektierter Roman“, einer „Untersuchung zu Samuel Becketts Romanwerk mit Berücksichtigung seiner impliziten Poetik, seiner Reflexionsstrukturen und seiner Beziehung zur romantischen Ironie“. In einer Welt, in der man vom Denken nicht leben kann, verdiente Schröder sein Geld als Gymnasiallehrer. Er revanchierte sich mit der Subversion, Abiturienten auf die gefährliche Idee zu bringen, in Büchern mehr als nur Prüfungsstoff suchen und finden zu können.

(Photo: Pexels, pixabay.com, CC0)

Links des Rheins würde man Schröder einen „homme de lettres“ nennen, was eleganter klingt als der deutsche „Büchermensch“. Neben dem Brotberuf und einem beeindruckenden Lektürepensum blieb Schröder stets noch Kraft und Muße, um Prosa, Essays, Lyrik und Aphorismen in Anthologien und Zeitschriften sowie literaturwissenschaftliche Monographien zu veröffentlichen. Neben Beckett kreiste sein Denken und Schreiben insbesondere um das anthropofugale Werk Ulrich Horstmanns, der – wie Schröder (oder Nietzsche) – als Philologe Philosoph war.

Erstmals im Lichtwolf vertreten war Wolfgang Schröder 2012 in der Nr. 38 zum Thema „Autobiographie“. Hier legte er eine „Kritik der autobiographischen Vernunft“ vor, mit der er die „Autobioskopie“ als die härteste Nuss der Hermeneutik erweist:

„Es bleibt die grundsätzliche Frage offen, ob die erzählende Schrift, zumal in der ersten Person Singular, die optimale Form darstellt, um Erfahrung in Denken zu überführen.“

Damit hatte Schröder seinen Ton gesetzt, der der Leserin einiges zumutet. Doch wo es akademische Unsitte ist, die spärlichen Gedanken in ihrer läppischen Angreifbarkeit hinter Geschwurbel zu verstecken, pflegte Schröder das genaue Gegenteil. Karl Kraus gab die Richtung vor: „Wenn in einem Satz ein Druckfehler stehen geblieben ist und er gibt doch einen Sinn, so war der Satz kein Gedanke.“ (Die Fackel Nr. 300, 9.4.1910, S. 22) Schröders Feder war geschult am Aphorismus und der klugen Miniatur. Beharrlich und beschwingt legte er zu jeder Ausgabe einen Essay vor, der schwer war, weil darin kein Wort zu viel, sondern jeder Satz ein Gedanke war.

Im Vorfeld der aktuellen Ausgabe kündigte er an, sich erst einmal auf die kurze Form konzentrieren zu wollen. Nun werden wir ganz ohne ihn weitermachen müssen. Schröders Beiträge sind von einer gedanklichen Tiefe, die es überhaupt erst noch auszuloten gilt. Aus ihr dringt die Ahnung einer „Trotzphilosophie“ zu uns, deren Begriff wir Kollege Schröder ebenfalls verdanken. Auch diese harte Nuss hat er uns hinterlassen, damit wir unseren Verstand daran wie Klauen und Zähne schärfen und weder einverstanden werden noch verblöden.

Seit LW44 holte er Kleinigkeiten aus dem „trotzphilosophischen Merkzettelkasten“ hervor, und zwar unter dem Alias Rüdiger Spiegel. Spiegel-Schröder pflegte auch die Reihe „Die unbedeutendsten Denker der Geschichte“, in der er diverse Philosophen portraitierte, die es nie gab, wie zum Beispiel Hartlieb Attenbör. Der

„war ein Zweifler mit starker Neigung zu mahnenden Worten. Er wolle, so schrieb er, ‚wohl gerne ans Menschliche glauben‘, fand aber, ‚daß es dafür an hinreichenden Gründen in der allgemeinen Erfahrung mangelt und daß […] viel glänzende Ideen zwar Eindruck bewirken, doch zur Wegweisung von weniger Nutzen sind.‘“ (LW61, S. 86)

Osman Hajjar schließlich weist auf Schröders Buch „Unverfügbarkeit der Poesie“, das mit diesem Zitat anhebt:

„Bist du nicht Schriftsteller?“

„Ich war, jetzt arbeite ich posthum.“

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