Satire, die der Zensor versteht

Die MTV-Serie Popetown ist in aller Munde. Augu¹t Maria Neander, Leiter des Ressorts »Affirmativer Papismus« in dieser Zeitung, hat sie gesehen. Ein Kommentar zur Lage von Nation und Christenheit sowie eine Filmkritik. (Folgt.)

von Augušt Maria Neander, 20.04.2006, 00:37 Uhr (Freiburger Zeitalter)

 

Deutschlands K-Gruppen schäumen. Wegen eines Kalauers, der wohl schon zu Melchisedeks Primiz alt war: »Lachen statt rumhängen« Der Musiksender MTV macht damit Werbung für die britische Zeichentrickserie »Popetown«.

 

Interessant ist weniger die Werbung (wg. langweilig) und die Serie (wg. s. u.) als vielmehr die Reaktionen. Die Christenheit leidet unter Aufmerksamkeitsdefiziten: Der Weltjugendtag ist vorbei, der Papst wieder in Rom, und, schlimmer noch, der Muselmann hat mit seinen Karikaturenkrawallen alle Spotlight time für sich genommen. Gerade die konservative und chronisch an gnosis-ähnlichen Minderwertigkeitskomplexen (»Wir wenige aufrechte Rechtgläubige und die böse Welt«) leidende Szene brodelt. Vorherrschendes Motiv: »Während man sich bei den Mohammed-Karrikaturen [sic!] in Demutsgesten überschlug, schweigt man zu dieser Gemeinheit.« (Presseerklärung der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Bayern) In der Selbstwahrnehmung dieser Hundertzehnprozentigen (die, katholischerseits, so ultramontan sind, daß jeder Linksabweichler – Card. Lehmann et. al. – verbal exkommuniziert wird, die schismatischen Levebrvisten aber umarmt werden) sind sie die letzten verbleibenden Überreste einer ehedem »heißen Kultur« (Safranski), derweil das restliche Abendland dekadent sich dem gebärfreudigen … aber das haben Sie ja schon bei den Kollegen Franzen und Schneidegger in der aktuellen Druckausgabe dieser Zeitung gelesen. Auch ansonsten Gemeinplätze: Der Nachweis aller Stürmer-Referenzen sei dem Leser als Übungsaufgabe selbst anheimgestellt. Bedauernd greint die Initiatorin der virtuellen Lichterkette stoppt-popetown.de: »Kein Christ wird Ihnen bei Ausstrahlung die Studiofenster zertrümmern, handelt es sich doch beim Christentum um eine Religion des Friedens.« (Immerhin: Kein staatliches Verbot wird hier gefordert, sondern zivilgesellschaftliche Protestformen genutzt. Daß dabei auf besagten Levebrvisten-Zirkel kath.net und das mehr als grenzwertige rechtskonservative »PI-Blog« verlinkt wird, gibt allerdings Abzüge in der B-Note.)

 

Erstaunlich ist auch die jeweils an den Tag gelegte Einstellung zur Preßfreiheit, nach der sich Schafe und Böcke scheiden lassen. Exemplarisch die Grüne Jugend: In einer dialektischen Volte sondersgleichen wird der Boykott-Aufruf des Fuldarer Bischofs Algermissen als Angriff auf die Preßfreiheit gedeutet. Boykottaufrufe sind für die Grüne Jugend nur dann comme il faut, wenn es dem ideologischen Gegner gilt (zugegeben: meist zurecht, ob es um Pelzindustrie, gewerkschaftsfeindliche Konzerne oder Umweltsauigeleien geht); Chè Dybas Erbe hingegen soll von diesem ur- und basisdemokratischen Mittel keinen Gebrauch machen dürfen. Auch die CSU packt den Gesinnungshammer aus: Der Staat müsse die religiösen Gefühle seiner Bürger besser schützen, meint Stoiber. Genauer: § 166 StGB verschärfen. Bereits jetzt ist dieser Paragraph kurios: Ketzerei werden bestraft, indes nur, wenn sie »geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören«. Lies: Nicht der Gesetzgeber allein setzt die Grenze in einer Legaldefinition, die vermeintlichen Opfer können selbst jede Äußerung zur Ketzterei nach 166 definieren (etwa durch Stürmung von Botschaften und das Verbrennen von Fahnen).

 

Ansonsten zwei Fraktionen: Boykott und Verbot; das Ordinariat von München-Freising schickt Unterlassungserklärungen an MTV, die DBK schaltet den Werberat ein, der BDKJ Freiburg beweist Medienkompetenz und hat klug die PR-Masche durchschaut.

 

Boykott ist, wie oben dargelegt, legitim. Forderungen nach Verboten und die Diffamierung von Boykotten zeugt von bizarrem Demokratieverständnis. Traurig ist vor allem, daß der potentiell klügste Beitrag zur gesamten Debatte nicht nur schon vor über einem Jahr geschrieben wurde, sondern auch im Springer-Blatt »Die Welt« erschienen ist: Am 11. Januar des letzten Jahres erläuterte Hannes Stein ebenda, daß Religion nicht witzlos sein dürfe – mit dem Islam als Paradigma einer witzlosen und dem Christentum als Inkarnation des Ironiefähigen.

Ach, wäre es so!

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