Ostzonencowboys machen Krebs

Möchtegern-Gonzobericht eines schönen Folklore-Abends.

von Timotheus Schneidegger, 24.04.2006, 11:35 Uhr (Freiburger Zeitalter)

Der Falklandkrieg von 1982, in dem sich Argentinien und das Britische Empire drei Monate lang im Südatlantik um „ein paar eisige Felsen“ (R.Reagan) stritten, gilt als „the worst reported war since the Crimea“ (C.Brothers) und ein Lehrstück über militärisches Medienmanagement in Kriegszeiten. Insgesamt haben es aus dem Kriegsgebiet lediglich 202 Fotos und nur mit großer Verzögerung in die Agenturen geschafft, was die britische Presse derart in Schwulitäten brachte, daß die Zeitung „The Scotsman“ ihre Illustrationszeichner aus dem Ruhestand holen musste, um ihre Berichterstattung über die Kämpfe zu bebildern.

Natürlich begann der Krieg mit der überraschenden argentinischen Invasion der Falkland-Inseln und war nach drei Monaten wieder vorbei, da kann ja kein Reporter rechtzeitig den Scotch austrinken, um den halben Globus rudern und sich bei der Admiralität eine Presseakreditierung besorgen. Ganz anders war da das Konzert der Leningrad Cowboys in der Freiburger Stadthalle am 22.04., weshalb diese Einleitung über den Falklandkrieg nicht so richtig entschuldigt, daß die Berichterstatter des Lichtwolf lieber großzügig vorglühten, als sich um eine Fotographiererlaubnis zu kümmern.

Wir treffen abends vor der Stadthalle ein, wo auf einem im abendlichtigen Niederschlag geborenen Regenbogen ein roter Elephant in die nahen bewaldeten Hänge hinabrutscht. Die erste Enttäuschung des Abends ist die Sicherheitsschleuse am Anfang: Kein Metalldetektor, keine Körperhöhlendurchsuchung, nicht einmal richtig angefasst wird man. Hätten wir also doch den Laib Roggenmischbrot hineinschmuggeln können!

Leningrad Cowboys

Rechts das überdeutliche Fotographierverbot, links ein Sicherheitsbediensteter, der das Leben der Konzertbesucher rettet, indem er einem Kollegen den Fotoapparat wegnimmt.

Zu dem Zeitpunkt spielen noch „Nebrasska“, eine Schweizer Ska-Formation, deren Mitglieder für Eidgenossen ganz schön lebhaft sind. Herr Kachelstein jedoch fürchtet sich in der düsteren Halle, die spärlich mit hüpfendem Jungvolk gefüllt ist, und wir müssen erstmal nachtanken. Das KGB Freiburg ist Schirmherr und Schnapsmutter dieses Konzertfestivals, das schon um 15 Uhr mit Vorgruppen begann, von denen noch niemand etwas gehört hat (auch am Abend nach ihren Auftritten nicht), die sich jetzt immerhin damit brüsten können, in der Freiburger Stadthalle das Eröffnungskonzert für die Leningrad Cowboys gespielt zu haben. Die Sowjetrocker mit spitzen Schuhen und Elvistollen kommen in Wirklichkeit nicht aus St.Petersburg, sondern aus Finnland, das im Gegensatz zu den Falklands nie von Argentinien besetzt wurde und dessen Exportspektrum von Faustfunkgeräten bis zu obskuren Musikanten reicht. Aber sie klingen unheimlich sowjetisch, machen Stimmung und haben einen legendären Durst. Verständlich die Sympathie, die der Freiburger KGB-Chef (wie das immer klingt!) Vural Koca, bzw. „Kuca Vural“ (Badische Zeitung, 22.04., S.30) für die Truppe hegt. Am frühen Abend schleicht KGB-Chef Koca nervös durch die Stadthalle, die um 16 Uhr praktisch menschenleer war, und auch jetzt ist die Besucherzahl noch weit entfernt davon, das halbtägige Spektakel zu einem Nullsummenspiel für ihn zu machen, der seit Monaten sein gesamtes Leben und Kapital in das Herzensanliegen, die Cowboys nach Freiburg zu holen, investiert hat. Den ganzen Winter hindurch war der Breisgau bis nach Basel und Colmar mit hunderttausenden von Flugzetteln und tausenden von Plakaten gepflastert, die das kostspielige Ereignis bewarben.

Herr Kachelstein und unsere Übersetzerin Clarissa Gonzofeva tun sich am russischen Bier gütlich, das vom KGB im Vorraum ausgeschenkt wird. Hier wenigstens scheiden sich Fachleute von Laien; erstere können zwischen den anstehenden Massen hindurch bestellen, indem sie dem Schankpersonal gegenüber die Lautfolge „Baltika“ mit den Lippen bilden und mit den Fingern die gewünschte Drehzahl angeben. Das Russenbier Baltika kommt in verschiedenen Oktanzahlen daher, die in Inch auf dem Gefäß angegeben sind, Baltika Nr.3 ist also zu etwa 4,5% angereichert, Baltika Nr.8 rangiert bereits in der Spektralklasse von Rotwein.

Inzwischen schrammelt die letzte Vorgruppe auf der Bühne herum: »Kalles Kaviar«, vielleicht nach einem widerlichen Porno benannt?, lässt es ruhig angehen und ist damit viel schweizerischer als Nebrasska. Frollein Gonzofeva wundert sich, daß es so etwas wie Schweizer Reggae (das soll das nämlich sein) gibt. Herr Kachelstein hat auf der Suche nach dem Klo versehentlich das Gebäude verlassen und kommt mit seiner eingerissenen Eintrittskarte nicht mehr rein. Er wird später weinend unter einem knospenden Laubbaum aufgefunden; derweil vertreibt man sich im Innern die Zeit mit Sozialstudien. Immer mehr innige Anhänger der Cowboys schleichen mit angeklebten Haartollen und Sowjetuniformen zwischen den linksradikalen Elementen herum, die von der Festivität unter roten Sternen angelockt wurden. Liebende Rocker-Eltern machen ihren in Bierlachen plantschenden Nachwuchs schon im Kindesalter mit dem Phänomen des Gehörschadens vertraut. Unlöschbarer Durst nach der schäumenden Brandung an südatlantischen Felsküsten steigt aus dem kollektiven Bewußtsein empor.

Um 22:30h wird die sich vor der Bühne drängende Menschentraube langsam unruhig, dann endlich marschieren die Cowboys begleitet von Westernfanfaren auf die Bühne. Sichtlich vom harten Rockergeschäft und dazugehöriger Genußtrinkerkarriere gezeichnet lassen die Herren es gepflegt krachen. Ich konzentriere mich auf die Choreographie der beiden Tänzerinnen, die schon beim zweiten Lied einen als „Mister Scheiße“ vorgestellten Pottwal im Elvis-Kostüm abschlecken. Mister Scheiße sei den Cowboys angeblich an der französischen Grenze zugelaufen – trotz des ungallischen Namens höchst glaubwürdig.

Leningrad Cowboys

Da das Motiv, dessen Aufnahme verboten ist, (im Gegensatz zu sagenwirmal der ehemaligen US-Botschaft in Teheran) schlecht ausgeleuchtet und in Bewegung ist, waren lediglich betrunkene heimliche Fotos möglich. Also hat Herr Kachelstein hier aus dem Gedächtnis nachgezeichnet, wie die Leningrad Cowboys nebst Gogo-Tänzerinnen auf der Bühne standen (wahrscheinlich).

Um doch noch irgendwie meinem gesellschaftlichen Informationsauftrag nachzukommen, verfolge ich den Moderator des Reigens, Martin Brücker (hauptberuflich Schauspieler und Schriftsteller, dessen herausragendes Drama „Von Menschen und Engeln“ Ende März in Freiburg uraufgeführt wurde und hiermit offiziell empfohlen wird), in den Bereich hinter der Bühne, wohin in regelmäßigen Abständen hübsche junge Damen entschwinden. Alles ganz harmlos, wird mir versichert, da nähert sich schon der Wachposten, um mich unbeeindruckt von meinem Presseausweis rauszuschmeißen. Gerade noch kann ich den einzigen finnischen Satz brüllen, den ich kenne (Lumi on valkoinen. Schnee ist weiß.), schon stehe ich mit halb verschüttetem Baltika wieder vor der Bühne, auf der die beiden Tänzerinnen gerade Doktorspiele treiben: Die Brünette im knappen Krankenschwesteraufzug verfolgt ihre rothaarige Kollegin, die außer zwei Stoffstreifen über den Brüsten und weißen Hotpants eigentlich gar nichts mehr anhat. Ich fotographiere und werde gleich von einer Sicherheitsfrau deswegen angeschissen. (Falls meine Mama mitliest: Genau das war damit gemeint, ich hätte „dort eine junge Frau kennengelernt“…)

Um Punkt Mitternacht ist nach einer Zugabe bereits Schluß, weiter geht es mit einer Aftershowparty im KGB, zu der alle Vorgruppen nebst den Cowboys eingeladen sind. Frollein Gonzofeva ist taub geworden und überhört den Polizeiwagen, der mit vollem Tatütata (finnisch?) auf sie zurast. Ich nehme Herrn Kachelstein an die Hand und wir gehen nach einer kurzen Visite im KGB, das schon vor Eintreffen der feiergeilen Cowboys voll wie ein afrikanisches Flüchtlingsschiff ist, weiter.

Etwas besseres als den Tod finden wir überall.

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