Unterwegs auf der Achse des Bösen

Report aus dem Iran.

von Timotheus Schneidegger, 10.04.2005, 11:02 Uhr (Freiburger Zeitalter)

Das neue Jahr 1384 ist wenige Tage alt, als das Flugzeug über die flachen Dächer der Stadt hinweg auf die regennasse Rollbahn Teherans knallt. Die Konterfeis von Ayatollah Chomeini und seines Nachfolgers Chamenei begrüßen den Neuankömmling in der ersten islamischen Republik der Welt mit mahnendem Blick, ehe Duty Free Läden eine Stange Marlboro für 7 Dollar anbieten: Willkommen auf Planet Iran!

Iran

Beten oder Brausen in der zentraliranischen Stadt Yazd.

Willkommen in einem vom Islam regierten Land, das die Araber nicht leiden kann, das die Hezbollah unterstützt, mit den Palästinensern aber nur im Haß auf Israel d’accord geht, das mutmaßlich nach der Atombombe und Einfluß auf die besetzten Nachbarländer Irak und Afghanistan strebt, Rechtsnachfolger einer der ältesten Zivilisationen der Menschheit (Perser) ist, gewaltige Ressourcen und doch eine Analphabetenrate von 20,6% hat.

26 Jahre nach der islamischen Revolution sind die rigiden Zustände, die denen im Afghanistan unter den Taliban entsprochen haben müssen, zwar durch die Reformversuche des liberalen Präsidenten Chatami und besonders die nicht auszusperrende Globalisierung aufgeweicht, die sich in diesem Winkel als Verwestlichung ausnimmt. Doch an dem Experiment, die Perser mit dem Koran zu regieren, wird im Iran des Jahrs 2005 unserer Zeitrechnung unnachgiebig festgehalten – was so manchen schizophrenen Eindruck macht und dem westlichen Besucher einiges abverlangt. Kaffee ist – im Widerspruch zum Vorurteil des Muselmanentrunks – kaum zu bekommen, erst recht ist auf Alkohol oder das seit der Pubertät liebgewonnene Herumschäkern mit dem schönen Geschlecht zu verzichten, das vom Hidschab, der islamischen Kleiderordnung, in Kopftuch und Mantel oder gleich ganz unter den schwarzen Tschador, wörtlich und tatsächlich ein „Zelt“, gezwungen wird. Die 75 Peitschenhiebe, die einem Trunkenheit oder voreheliches Geturtel einbringen, kann man sich auch sparen – man muß ja nicht gleich mit einem Köpper in die fremde Kultur eintauchen.

Iran

Ein Mullah auf dem Weg zur Arbeit.

Aber dem moralischen Regime lässt sich mit sophistischer Akrobatik auch etwas abgewinnen: Der Iran ist das ideale Land zur Heilung von Alkoholismus. Verbitterten Ledigen bleibt der Anblick von knutschenden, händchenhaltenden Pärchen erspart, und schließlich ist eine verschleierte Frau angeblich „wie eine Perle in der Muschel“, besagt zumindest eine der vielen Parolen, die – wie die riesigen propagandistischen Darstellungen von Ayatollahs, zerbrechenden Davidsternen und im Iran-Irak-Krieg von 1980 bis 1988 gefallenen Soldaten (in der lokalen Diktion „Märtyrer“) – die Fassade jedes zweiten mehrstöckigen Hauses bedecken. Auch wenn die Frau in der iranischen Geschlechter-Apartheid nicht in einem Ausmaß unterdrückt wird wie z.B. in Saudi-Arabien, wo frau noch nicht einmal alleine das Haus verlassen darf, so ist doch ihre gesellschaftliche Nachrangigkeit überall zu spüren; ein Status, der ihre Unterdrückung mehr als erleichtert und auch dem Mann weder zu Stolz, noch zur Freude gereicht.

Als Einwohner eines der erdölreichsten Staaten lieben die Perser fettiges Haar, Plastikverpackungen und Motoren – alles sehr zum Leidwesen der Umwelt. Die drei K des iranischen Straßenverkehrs lauten „Kein Licht, kein Führerschein, Kraftstoff billiger als Wasser“, und die Regierung tut alles, damit das Benzin auch weiterhin wie in den USA Opium fürs Volk bleibt. Und so nehmen die eh schon psychopathischen Verkehrsverhältnisse und die damit einhergehende „atemberaubende“ Luftverpestung (würden die Perser nicht eimerweise Tee trinken und bei jeder Gelegenheit Berge von Obst verdrücken wäre die Krebsrate noch höher) in den Tagen nach Noruz, dem Neujahrsfest am 20.März, wenn alle Perser mit Kind, Kegel und den Geistern der Verstorbenen auf Achse sind, Dimensionen an, die den Emissionsschutzverwöhnten EU-Bürger um sein Leben bangen und alle Sehenswürdigkeiten und Zeugnisse persischer Geschichte zu Kulissen hoffnungsloser Überbevölkerung werden lassen. Wenn die im Südwesten gelegenen Ruinen von Persepolis, der Prachtstätte alt-persischer Dynastien, die noch vor den Griechen ein Weltreich errichtet hatten, vor lauter Gewusel nicht die geringste Besinnung auf das jahrtausendealte behauene Gestein gestatten, wird es doch ganz sympathisch, wie Heidegger seinerzeit die Akropolis nur frühmorgens besuchen wollte, solange die Omnibusse noch keine Sintflut von Touristen ins Gemäuer spülen. Die Wirkungsstätte des Fundamentalontologen, Freiburg, darf sich rühmen, als einziges deutsches Gesiedle mit Isfahan eine iranische Partnerstadt zu haben. Aus Isfahaner Perspektive hat die Partnerschaft jedoch den provinziellen Charakter, den Freiburg in all seine Geschäfte einbringt, denn zwischen den anderen Partnerstädten (St.Petersburg, Kuala Lumpur, Havanna) des mit 2 Mio. Einwohnern zehnmal so großen Isfahans steht die Breisgaustadt doch etwas kurios da.

Iran

Als Atomkraftwerk getarnte Zementfabrik (oder andersrum) nahe Teheran.

Der Iran erstreckt sich fast ausschließlich über durch Plattentektonik aufgeworfenes Hochland, dessen zerklüftete Gebirge und Salzwüsten auch ohne die regelmäßigen Erdbeben wenig einladend wären, und das dennoch einer der ältesten Siedlungsräume des Menschen ist. Zu den Überresten frühester Zivilisation gehören u.a. die stoisch der Wüstensonne durch die Zeitalter hinweg die Stirn bietenden Anlagen der von Zarathustra gestifteten Urreligion, wie Feuertempel oder die Türme des Schweigens nahe Yazd. Auf ihnen bestatteten die Zoroastrier ihre Toten, indem sie deren Fleisch zunächst den Geiern überließen, um die Erde nicht damit zu verunreinigen, ehe die abgenagten Knochen in tiefe Löcher versenkt wurden. Noch bis 1979 durfte die schwindende zoroastrische Gemeinde auf diese Weise bestatten, ehe sie sich damit begnügen musste, ihre Toten in versiegelten Zementsärgen zu vergraben; die Anwohner hatten endgültig die Nase voll davon, in ihren Gärten von Geiern verlorene Leichenteile aufsammeln zu müssen.

Die Philosophie Heraklits weist in ihrer Symbolik und dualistischen Verfassung übrigens erstaunliche Anleihen bei den zoroastrischen Lehren auf, die auch das Judentum geprägt und so Einzug in das Christentum gehalten haben; z.B. ist das Konzept von Himmel und Hölle auf Zarathustra zurückzuführen, der von Nietzsche, dem bekennenden Heraklit-Fan und Anti-/Über-Christen, 1882 furios europäisiert worden ist.

Viele einfache Beobachtungen lassen sich zu Schizophrenie-Symptomen des modernen Irans stilisieren. Da ist die Stadt Natanz im Norden Isfahans, die geprägt wird von dem mit 3899m allzeit wolkenkratzenden kuh-e karkas („Berg der Geier“), zu dessen Fuße der kürzlich zu cineastischen Weihen gelangte Aristotelesschüler Alexander der Große 330 v.Chr. den Perserkönig Darius III. erschlug, und von ihrer Urananreicherungsanlage, mit der sich bald womöglich der UN-Sicherheitsrat befaßt.

Iran

Wo ein Markt ist, ist auch ein Weg: US-Brause trotz Embargo.

Oder die Geschichte von der Mashhad-Cola: Eine der vielen religiösen Stiftungen des Irans erwarb von den Saudis die Lizenz zur Produktion von Coca Cola, sicherlich nicht ohne Zustimmung der Konzernzentrale in Atlanta, die für ihre proisraelische Haltung bekannt ist. Nun wird, trotz des nach der Besetzung ihrer Teheraner Botschaft 1979 verhängten Embargos der USA, in ausgerechnet Mashhad, der heiligsten Stadt des Irans, die braune Brause hergestellt, die eines der Insignien des „Großen Satans“ (USA) ist und den „Kleinen Satan“ (Israel) unterstützt. Dabei hat der Iran mit „Zam Zam“ eine eigene Limonade, deren Pendants zu Fanta–Cola–Sprite die westlichen Originale im Geschmack übertreffen und auch noch, sagt zumindest die Werbung, aus heiligem Wasser von Mekka gemacht werden!

Überhaupt die Beziehung zum geliebten Erzfeind: Nach dem 11.September bekundeten die Iraner überdeutlich ihre Solidarität mit den USA. Seit deren Streitkräfte an den Ost- und Westgrenzen des Landes stehen, fragen sich die Iraner, wann Bush endlich auch sie von ihrem Regime befreit, würden aber niemals auch nur einen einzigen G.I. seinen Stiefel über die Grenze setzen lassen. Im Falle einer Invasion würden – wie nach dem irakischen Überfall in den 80ern – selbst exilierte Iraner zur Verteidigung ihrer Heimat eilen. Das persische Volk weiß wohl zwischen sich und der Regierung zu trennen, die gerade an der Reihe ist, über das Land zu bestimmen, dessen goldenes Zeitalter eine schmerzliche Erinnerung ist, war sein Ende doch der Anfang andauernder Fremdbestimmung. Ihr Regime wollen die Perser schon loswerden, ausländische Truppen jedoch sollen da bleiben, wo sie hingehören: im Ausland.

Iran

Vor dem Tor der ehemaligen US-Botschaft in Teheran, die 1979 von Studenten gestürmt wurde. Die amerikanischen Diplomaten wurden 444 Tage als Geiseln gehalten.

Wenn die Iraner Rat suchen, dann nicht bei den Mullahs, die Wasser predigen und sich an Cola dumm und dusselig verdienen, sondern bei ihren Dichtern, von denen sich Goethe schwer beeindruckt zeigte („West-östlicher Divan“) und deren Hauptstadt Shiraz ist, wo mit Saadi (1210-1290) und Hafez (1300-1389) zwei der primi inter pares lebten und begraben liegen. Sie gaben den Persern nach der Eroberung durch die Araber im 7., durch die Mongolen im 13. und durch die Mullahs im 20.Jahrhundert zu Recht das tröstende Bewußtsein kultureller Originalität und Größe.

Iran

Da kann Goethe nicht mithalten: Das überlaufene Grab des persischen Nationaldichters Hafez in Shiraz.

Trost können die Iraner gut gebrauchen, die es leid sind, sich von ihrer Regierung in ihre Religiösität und in jeden Aspekt des Alltags reinreden zu lassen, die aber zugleich von einem tiefen Fatalismus gelähmt sind. Die wenigsten geben den Mullahs eine Zukunft, doch wenn die gärende Unzufriedenheit zum Ausbruch kommen sollte, würde kaum jemand bereit sein, auf die Straße zu gehen. Was danach kommt, vermag niemand zu sagen. Über die Mullahs schimpfen die Iraner genauso wie über den Kapitalismus. Von Kommunisten halten sie gar nichts mehr, seit die zuerst vom Schah, dann von den Mullahs verfolgte marxistischen Modscheheddin während des Iran-Irak-Kriegs mit Saddam Hussein kollaborierte. Unter den seltenen Schmierereien an Hauswänden finden sich auch Hakenkreuze, und als Deutscher wird man gerne mit dem Hinweis auf das angebliche gemeinsame arische Erbe der Perser und Deutschen im Iran willkommen geheißen. Sollte die Klammer des totalitären Islams, die diese Gesellschaft oft auch mit Gewalt zusammenhält, verschwinden, wer weiß welche Ideologien sich dann entfalten. Wie die ehemalige Sowjetunion hat der Iran keine demokratische Tradition, sondern ist seit frühester Zeit daran gewöhnt, das Heil des Volkes von einer fähigen Führungsperson zu erwarten. Die Mullahs haben die Hoffnung enttäuscht, der Reichtum des Landes käme nun endlich in vollem Umfang seinen Bewohnern, und nicht lediglich seinen Herrschern zu Gute. Wer auch immer an ihre Stelle tritt, wird das gleiche Versprechen abgeben und die Iraner werden auf das gleiche hoffen. Doch auch wie lange es bis dahin noch dauert ist ungewiß. Die ältere Generation, die sich an die Regierung des Schahs, die Revolution und den Krieg gegen den Irak erinnert, traut der Jugend, die jedes Vergnügen aufsaugt, wo es seiner habhaft werden kann, nichts zu, während der Jugend in ihrer politischen Aussichtslosigkeit nichts anderes bleibt, als für den Moment zu leben und die kleinen Freiheiten zu genießen, solange sie noch gewährt werden. Der außenpolitische Druck auf die iranische Führung hat abgenommen, der Vorrang europäischen Zuckerbrots vor amerikanischer Peitsche gibt dem Regime Gelegenheit zum Atemholen vor den Präsidentschaftswahlen im Juni, bei denen die Reformer um Chatami, dessen Bemühungen größtenteils vom konservativen Wächterrat kassiert wurden, höchstwahrscheinlich abgestraft werden. Der Iran als Zentrum der Schiiten baut derweil seinen Einfluß in der Region aus: Die Schiiten sind in etwa die Katholiken des Islam und als solche eine transnationale Glaubensgemeinschaft, die mit der Hisbollah im Libanon und Syrien operiert, sowie die Mehrheit der irakischen und einen guten Teil der afghanischen Bevölkerung ausmacht.

Iran

In einem Teheraner Buchladen: Deutscher Beitrag zur iranischen Verblödungsindustrie.

Auf öffentlichen Plätzen der iranischen Metropolen quaken Lautsprecher in bester Orwellscher Manier Losungen. Als im Teehaus durchgegeben wird, das Rauchen von Wasserpfeifen sei neuerdings unislamisch, blubbern die iranischen Gäste unbeeindruckt weiter mit ihren Qualmschläuchen. Auf den Straßen Teherans und Isfahans langweilen sich auf jedem hundertsten Meter zwei mit Schlagstöcken bewaffnete Soldaten, die auf das Ende ihrer Schicht, bzw. das ihres zweijährigen Wehrdienstes warten. Auch sie sind ein Symbol der islamischen Republik Iran: Die totalitären Gesetze nicht allzu deutlich überschreiten, sich Nischen der Freiheit (z.B. hinter den verschlossenen Türen, im engsten Familienkreis) schaffen – und abwarten.

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