Gespräch mit Martin Lyssenko

Wir sprechen mit Martin Lyssenko (22), Vorstand des AStA und Mitglied des Senats. Im Januar 2004 war Martin gemeinsam mit Ria Gilch u-asta-Vorstand, ist jedoch nach dem Uni-Streik von seinem Amt zurückgetreten. Martin ist von der Polizei als Zeuge vernommen worden und hat einige der Studierenden, die an der Besetzung der CDU-Zentrale während des Streiks teilgenommen hatten, identifiziert. Dafür wurde Martin wochenlang heftig kritisiert.

von Corner Stone und Timotheus Schneidegger, 08.06.2004, 16:11 Uhr (Dunkles Zeitalter)

 

Lichtwolf: Ist das gute Verhältnis zwischen Polizei und Studierendenvertretung durch die Besetzung der CDU-Zentrale gestört worden?

 

Martin LyssenkoM. Lyssenko: Ja, was sicherlich vor allem darauf zurückzuführen ist, daß Herr Hager sich von Ria, enttäuscht fühlte, weil er sie im Vorfeld gebeten hatte, solche Aktionen zumindest in irgendeiner Form der Polizei anzukündigen, was sie nicht gemacht hat.

 

Lichtwolf: Wie kam es dazu, daß sich die Polizei an dich gewandt hat?

 

M. Lyssenko: Die Polizei hat sich sicher auch an mich gewandt, weil ich damals auch u-asta-Vorstand war, und dadurch, daß Ria an der Besetzung aktiv teilgenommen hat, der Gedanke nahelag, daß der u-asta irgendwie mit der Besetzung zu tun hat, was so nicht zutrifft.

Die Vernehmung selbst dauert ungefähr eine Stunde. Es wurden wenig Fragen gestellt, weniger Fragen als man hätte stellen können, da man sich bei der Polizei darüber hätte bewußt sein müssen, daß ich über ein relativ großes Hintergrundwissen, was solche Aktionen angeht, verfügen könnte.

Mir wurde vor allem, und das ist sicherlich der entscheidende Punkt, ein Foto vorgelegt, auf dem mehrere Personen, die an der Besetzung teilgenommen hatten, zu erkennen waren, und drei davon konnte ich identifizieren.

Lichtwolf: Seit wann wusstest du davon, daß während des Streiks die CDU-Zentrale besetzt werden sollte?

 

M. Lyssenko: Daß sie besetzt werden sollte wusste ich direkt gar nicht. Es gab im Vorfeld Gerüchte. Ich wollte absichtlich, weil ich als einer der Hauptorganisatoren, der im Mittelpunkt des medialen Interesses steht und mit einer gewissen Verantwortung ausgerüstet ist, über diesen Teil an studentischer Aktion, der in Verbindung mit dem Streik steht, nicht zu genau Bescheid wissen.

 

Lichtwolf: Wäre nicht genau das notwendig gewesen, um deiner Verantwortung gerecht zu werden? Man könnte von einer gewissen Fahrlässigkeit oder einer Billigung der ganzen Aktion sprechen.

 

M. Lyssenko: Das könnte man sicherlich.

 

Lichtwolf: Was genau mißfällt dir an der Besetzung der CDU-Zentrale?

 

M. Lyssenko: Daß es bei der Aktion zu einem Diebstahl kam. Es wurde die Kamera des Landtagsabgeordneten gestohlen. Es behaupten zwar noch Leute, es sei längst nicht bewiesen, daß die Kamera im Zusammenhang mit der Besetzung abhanden gekommen ist. Aber die Indizien sprechen eine eindeutige Sprache.

Der Diebstahl ist aber längst nicht die einzige Schwierigkeit, die ich damit habe. In meinen Augen ist die Besetzung einer Parteizentrale keine sinnvolle politische Aktionsform.

Ich muß ehrlich sagen, daß ich den Nutzen des medialen Interesses, den diese Sache brachte, gar nicht sehe.

Das ist eine Feststellung, die ich natürlich erst im Nachhinein treffen kann, was daran liegt daß eine Auseinandersetzung mit solchen Aktionsformen überhaupt erst dann möglich ist, wenn man selbst in Kontakt mit einer solchen gekommen ist.

 

Lichtwolf: Wie erklärst du die Haltung des u-asta, der sich nun sehr deutlich von der Besetzung distanziert?

 

M. Lyssenko: Diese deutliche Distanzierung hat bis jetzt nicht stattgefunden. Es wird zu einer Entscheidung über den Antrag, daß sich u-asta und u-Fachschaften mit dieser Aktion solidarisieren sollen, kommen. Das heißt die Aussage, der u-asta habe sich distanziert, trifft nur insofern zu, als beispielsweise der amtierende Vorstand Lisa Dietsche im Augenblick die ganze Sache mit einer Vorsicht angehen, die, wie ich glaube, geboten ist aufgrund der Tatsache, daß der u-asta zu stark in die Sache involviert ist, um vorschnell zu einer Form von Verbrüderung mit den Leuten, die, das muß man einfach so sagen, diese kriminelle Tat begangen haben, zu kommen.

Der Grund, aus dem ich mich genötigt gefühlt habe, als AStA-Vorstand auf die ganze Sache zu reagieren, war die erste anonyme email. Darin wurde eingefordert, daß die an der Besetzung beteiligten Leute sich an den AStA wenden, um sich koordinieren zu können, ohne daß dies jemals mit einem Vorstand abgesprochen wurde. Dem wollte ich entgegentreten, um den Leuten klarzumachen, daß diese Selbstverständlichkeit vollkommen fehl am Platze ist, und daß sie sich wie alle anderen den Strukturen von AStA und u-asta zu unterwerfen haben. Der gewohnte Gang ist, Anträge in die u-asta- bzw. Fachschaftenkonferenz einzubringen. Darum habe ich mich geäußert, obwohl ich mit der u-asta-Exekutive eigentlich gar nichts mehr zu tun habe.

Lichtwolf: Lisa ist ja deine Freundin, man kann also nicht davon sprechen, daß sie in dieser Diskussion um deine Person und die Haltung des u-asta eine ganz neutrale Position einnimmt.

Zum Beispiel deine kategorische Weigerung, den von polizeilichen Ermittlungen Betroffenen u-asta-Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, um ihr weiteres Vorgehen zu koordinieren, hat den Streit nur weiter verschärft.

 

M. Lyssenko: Lisas Position als u-asta-Vorstand hat wenig mit ihrer Sympathie für mich zu tun. Sie hat zu ihrer Meinung selbst gefunden in vielen Gesprächen, beileibe nicht nur mit mir, und vertritt sie entsprechend als autonomer Mensch.

Wie gesagt, der u-asta hat noch gar keine endgültige Entscheidung getroffen. Daß so viel Skepsis herrscht liegt daran, daß der u-asta selbst als Institution involviert ist, aber mit dieser Aktion überhaupt nichts zu tun hatte. Das heißt die Solidarisierung mit der Aktion und den daran beteiligten Leuten ist ein unbestreitbar diskussionswürdiger Punkt, aber es muß eben diskutiert werden. Diese Selbstverständlichkeit, mit der von den Besetzern der CDU-Zentrale Solidarität eingefordert wird, ist sicherlich der ausschlaggebende Punkt dafür, daß der u-asta sich bislang so skeptisch dazu positioniert hat.

 

Lichtwolf: Kannst du dir vorstellen, daß viele sich nun alleingelassen fühlen, weil sie zum Zeitpunkt der Besetzung davon ausgehen konnten, daß der u-asta daran beteiligt war?

 

M. Lyssenko: Auf jeden Fall haben diese Menschen, sofern sie jetzt mit dem u-asta zu tun haben oder damals schon hatten, in dieser konkreten Sache als Einzelpersonen gehandelt und nicht als Vertreter des u-asta. Daher ist die Feststellung falsch, daß der u-asta schon damals personell so stark involviert war, daß er sich jetzt gar nicht mehr davon distanzieren könnte.

 

Lichtwolf: Wie beurteilst du rückblickend deine Aussage bei der Polizei?

 

M. Lyssenko: Was ich gemacht habe, war und bleibt, das sehe ich jetzt genauso wie damals, rechtens.

Man muß ja nun feststellen, daß ich sowieso mehr Informationen über diese ganze Veranstaltung habe, als ich damals zu Protokoll gegeben habe, was daran liegt, daß ich nur die Fragen beantwortet habe, die mir von der Polizei gestellt wurden.

Ich bin nicht aus Eigeninitiative zur Polizei gegangen, ich habe nicht aus dem Nähkästchen geplaudert, sondern ich habe alle Fragen nach bestem Wissen und Gewissen und gemäß meiner Rechte und Pflichten, wie es zumindest empfinde, beantwortet.

 

Lichtwolf: Was hältst du von der Forderung, du solltest von deinen Ämtern in Senat und AstA zurücktreten, oder dich wenigstens für deine Aussage bei den Betroffenen entschuldigen?

 

M. Lyssenko: Ich halte diese Forderungen für vollkommen lächerlich und sowohl vor Arroganz, als auch Naivität so strotzend, daß ich kaum zu einer ernsthaften Antwort in der Lage bin.

Sollte der u-asta vollkommen wider meinem Erwarten diesen Forderungen nachkommen und mich dazu auffordern, mein Senats- und AStA-Mandat niederzulegen, werde ich dem nicht nachkommen. Das hätte meinen Austritt aus der BuF-Fraktion zur Folge, ich würde dann sowohl im AStA, als im Senat als unabhängiges Mitglied sitzen. Aber ich denke nicht, daß es dazu kommen wird.

Lichtwolf: Kann man das als Zeichen von Reue erkennen, wenn du das Wort „Denunziant“ auf dich selbst beziehst?

 

M. Lyssenko: Reue ist das falsche Wort. Wie vorhin gesagt, bin ich meinen staatsbürgerlichen Pflichten nachgekommen, was noch lange nicht heißt, daß ich irgendeine Form von Spaß daran empfinde, daß diese Leute nun mit sehr schwierigen Konsequenzen zu leben haben.

Auf der anderen Seite möchte ich auch noch einmal betonen, daß die Studenten, die an der Aktion damals teilgenommen haben, sich schon damals der möglichen, vielleicht notwendigen Konsequenzen ihres Handels hätten bewußt sein müssen. Falls sie das nicht waren, ist jetzt zwangsläufig der Punkt gekommen, um sich mit der Frage von Handeln und Konsequenz auseinanderzusetzen.

 

Lichtwolf: Du hast angedeutet, rechtliche Schritte gegen einige, die dich in emails angegriffen haben, in Erwägung zu ziehen.

 

M. Lyssenko: Mit diesen beleidigenden emails, die auch Tatsachen in die breite Öffentlichkeit getragen haben, die ich nur im privaten Kreis zunächst behandelt wissen wollte – was nicht heißt, daß ich meine Aussage geheimhalten wollte, aber daß es mein gutes Recht ist, damit selbst an die Öffentlichkeit zu treten, und zwar in der Form, wie ich es für richtig halte – wurde mir dieses Recht genommen, weshalb ich prüfen lasse, ob es möglich ist mit rechtlichen Schritten gegen diese Leute vorzugehen, damit sie Einsicht haben in den Fehler, den sie begangen haben, und zudem daß ich einen Ausgleich von den Leuten erhalte, die ihre Vorwürfe so an mich herangetragen haben.

Das ist natürlich nicht der einzige Weg, auf dem ich bereits versuche und noch versuchen werde, daß das, was ich für falsch halte, auch von diesen Leuten als falsch erkannt wird. Aber ich denke, das ist eine Unterstützung dieses Wunsches, den ich hege, und die will und muß ich, will ich fast sagen, wahrnehmen.

 

Lichtwolf: Du hast die Besetzer zunächst als „Diebesgemeinde“ und ihre Aktion später als die „faschistischer Dummbeutel“ bezeichnet…

 

M. Lyssenko: Da meine Wortwahl und meine getroffenen Aussagen nur eine Reaktion auf die vorangehenden Polemiken und Beleidigungen waren, waren sie durchaus berechtigt.

Es hat sicherlich die Diskussion am Leben erhalten und das nicht nur in positiver Hinsicht. Aber letzten Endes erschien es mir als nicht zu oft zu benutzender, aber in dem Fall notwendiger Weg der Gegenpositionierung.

Ich würde mein Handeln in diesem Fall nicht bereuen.

Lichtwolf: Die BuF-Listen haben bei den Uni-Wahlen am 25. Mai Federn lassen müssen. Ist die Euphorie, die dem Streik im Januar folgte, in eine Antipathie umgeschlagen?

 

M. Lyssenko: Da ist nicht das eine in das andere umgeschlagen, sondern es haben sich zwei Gruppen von Studenten entwickelt. Die einen, die uns vorher schon unterstützend gegenüber standen, die anderen, die das ganze sehr abgelehnt haben – jetzt mal abgesehen von der großen Gruppe derer, die sich leider immer noch sehr wenig dafür interessieren. Diejenigen, die vom Streik abgeschreckt waren, haben das ganze wohl genutzt, um als bisherige Nichtwähler dem u-asta nun eine Absage zu erteilen. Insofern bedeutet das noch längst nicht das Ende des u-Modells, aber es wirft natürlich die Frage auf, welche Form hochschulpolitischen Engagements in Zukunft zu finden sein werden, um möglichst viele Studierende hinter diese Sache zu bringen.

 

Lichtwolf: Studierende sind nur schwer für Proteste zu mobilisieren, das dürfte nach den unerfreulichen Folgen des Januar-Streiks noch schwieriger werden.

 

M. Lyssenko: Ich glaube die Schwierigkeit liegt weniger in der Art des Protestes als in seiner Präsentation. Zu viele der Studierenden sind sich gar nicht im Klaren, was das u-Modell für Vorteile hat und was durch seine Existenz überhaupt erst ermöglicht wird. Dieses unseres Alleinstellungsmerkmal werden wir in der nächsten Zeit stärker herausstellen müssen.

Was die ganze Sache zur Folge hatte, das kann man negativ wie positiv sehen, ist Skepsis gegenüber bestimmten Gruppen, wenn man von meiner persönlichen Seite und der vieler mir Nahestehender ausgeht. Demgegenüber die Gruppe derjenigen, von denen viele an der Besetzung der CDU-Zentrale beteiligt waren, die die Solidarität so selbstverständlich fordert. Von dieser Seite hat sich eine große Skepsis bis hin zur Abneigung gegenüber dem u-asta entwickelt. Das ist Schade, aber es liegt wohl auch daran, daß sich die Einstellungen dieser beiden Gruppe einfach nicht vereinbaren lassen. Das ist ein Sachverhalt, den man einfach feststellen muß, und wo es positiv ist, daß dies mal festgestellt wird, weil es ansonsten zu Mißverständnissen kommt, wie z.B. daß die Solidarisierung des u-asta mit den CDU-Besetzern als selbstverständlich angenommen wird.

 

Lichtwolf: Das bedeutet, der u-asta wird aus dieser Geschichte gestärkt hervorgehen, bis er bei der nächsten Uniwahl gekippt wird, wenn die Entwicklung, daß die unentschlossenen Studenten weiter der Opposition zugetrieben werden, weitergeht?

 

M. Lyssenko: Was mir an der Frage implizit erscheint ist die Feststellung, daß der u-asta sich zu einem abgeschlossenen Kreis von Menschen entwickelt, die ihre eigenen Interessen vertreten, ohne sich der Auseinandersetzung mit anderen Gruppen und ihren politischen Zielen zu öffnen. Das ist nicht so.

Aber es wird so bleiben, daß man sich gegenüber bestimmten extremen Gruppen ganz klar ablehnend verhalten muß. Das sind diejenigen Gruppen, die mit den offenen Strukturen des u-Modells nicht vereinbar sind.

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