Links der Woche, rechts der Welt 44/21

Soziale Krise

Rackets kennt man vom Tennis oder aus der Kritischen Theorie. Kai Lindemanns stellt den ungebrochen aktuellen Begriff der neoliberalen Beutegemeinschaften ins Zentrum seines Essays, der bei Glanz & Elend wie ein managementsoziologischer Krimi vorgestellt wird. Zur Vertiefung sei Bert Rebhandls Essay im Standard über Korruption im Allgemeinen und besonders in Österreich empfohlen.

Über sexuelles Kapital haben Eva Illouz und Dana Kaplan ein Buch vorgelegt, das jenes als nur ein weiteres Mittel zur Reproduktion des Systems aufweist und in der FAZ rezensiert wird. Am unteren Ende der gesellschaftlichen Leiter herrscht derweil Kinderarmut. Carolin und Christoph Butterwegge haben ihr eine Untersuchung gewidmet und geben im Freitag-Interview Auskunft u.a. über eigene Armutserfahrung und Hoffnungen auf eine neue Sozialpolitik.

Trotz aller Krisen hält unsere Gesellschaft noch irgendwie zusammen, wofür Otfried Höffe in der FR (und in seinem neuen Buch) Demokratie und Wohlstand verantwortlich macht. Unermüdlich engagierter Optimist bleibt auch Jürgen Habermas, der in seiner jüngsten Preisrede laut taz darauf bestand, „dass Philosophie weiter dem praktischen Gebrauch von Vernunft und der Sozialintegration dienen könne.“

 

Ökologische Krise

Es gibt noch viel zu tun: Die FR weist auf einen Klimaschutz-Themenabend hin, den arte diese Woche ausstrahlte und in der Mediathek vorrätig hält. Derweil fällt der Literatur zu diesem Thema nicht viel ein, wie Bernd Ulrich in der ZEIT beklagt. Er hat einige Fachleute aus dem Literaturbetrieb befragt, woran es liegt, und zählt die in Anbetracht der existentiellen Fragen unbefriedigenden Antworten auf. Widerspruch kommt von Adam Soboczynski: Die Bücher, nach denen Bernd Ulrich verlangt, gibt es in der Tat nicht, was aber nicht heißt, dass Literatur nichts mit Klimaschutz am Hut hat.

Und ist das Individuum mit einem nachhaltigen Lebensstil nicht überfordert oder unbedeutend? Nein, denn wir sind ja nie allein, sondern stets in Beziehung, wenn nicht gar Systemen, wie Thomas Bruhn und Jessica Böhme in ihrem Buch beschreiben, das bei Spektrum rezensiert wird.

 

Realität in anders

Matthias Warkus erinnert in seiner Spektrum-Kolumne daran, wie wenig wir von der Realität selbst wissen und wie viel unserer Wirklichkeit ein menschgemachtes Bild ihrer ist. Dazu passend wird ebd. auch das Buch Adam Beckers besprochen, das nach der Geschichte und kniffligen Realität der Quantenphysik fragt.

(Photo: RoyBuri, pixabay.com, CC0)

Ist Technoschamane ein Ausbildungsberuf? In Dortmund ist diesem von Joseph Beuys ersonnenen Metier eine Ausstellung gewidmet, die laut taz über das Verhältnis der Moderne zu anderen Kulturen, zum Menschsein und zur Natur reflektiert. Drogen helfen: Corinna Hartmann und Stefan Junker berichten bei Spektrum anschaulich und spannend über Studien und Selbstversuche mit Psilocybin, dem Pilzwirkstoff, der das Bewusstsein nicht nur erweitern, sondern womöglich auch von Krankheiten wie Depressionen heilen kann.

Mit dem gar nicht sooo neuen Trend des Rückzugs in ein idealisiertes Landleben (#cottagecore) beschäftigt sich Louise Kenn in der ZEIT. Seuchenbedingt ist nicht nur der Traum von Arkadien ins Netz verlegt worden: Robert Kaltenbrunner schreibt bei Telepolis darüber, wie sich der urbane öffentliche Raum durch den Einzug der Virtualität in die Lebenswelt verändert hat.

 

Streitigkeiten, Einigkeiten, Krankheiten

An der Uni Mainz haben der AStA und die Hochschulgruppe der Giordano-Bruno-Stiftung gegen einander einen Rechtsstreit über entzogene Zuschüsse geführt, der laut FAZ grundsätzliche Bedeutung für die Studierendenvertretungen haben dürfte.

Spektrum bringt einen Vortrag von Peter König (Uni Heidelberg) über die Sinnsuche des Menschen und das Leben im Absurden. Gott hilft auch nicht: Giuseppe Gracia schreibt in der NZZ über den (scheinbaren) Rückzug des Christentums aus der Politik, an dessen Stelle immer häufiger der Staat als Prediger tritt – und schon droht die „Diktatur der politischen Überzeugungen“. Über Möglichkeiten und Grenzen der Religionskritik sprechen Jochen Hörisch und Jürgen Wiebicke im Philosophischen Radio des WDR 5 (das ruhig mal weniger Hörer durchstellen könnte).

Die taz unterhält sich mit dem Wirtschaftshistoriker Adam Tooze darüber, wie sich die keynesianische Krisenpolitik während der Pandemie von der der vorherigen Jahre unterscheidet. Björn Hayer hält in der FR an Blochs Prinzip Hoffnung fest und erklärt, wie uns Kunst und Poesie wieder den Mut zur Utopie verleihen können.

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