Links der Woche, rechts der Welt 45/21

Andere Zeiten

Der Begriff der Rasse steht (noch) im Grundgesetz – ist also rechtens? Doris Liebscher hat über die Problematik des Rassismus im Recht eine Dissertation vorgelegt, die der Freitag vorstellt. Was deutsche Antisemiten Anfang des 20. Jahrhunderts vom Zionismus hielten ist Thema der Dissertation von Fabian Weber, über die die FAZ berichtet.

Das Fin de siècle war auch die Blütezeit des Spiritismus und der Séancen, deren Geschichte Lisa Morton – eigentlich Schauerroman-Autorin – zusammengetragen hat. Die FAZ rezensiert ihr Buch. Etwas seriöser ging es zeitgleich in den literarischen Salons Münchens zu, denen ein von Waldemar Fromm herausgegebener Sammelband gewidmet ist, der die Zusammenkünfte laut SZ als Treibhaus von Literatur und Emanzipation beschreibt.

Philipp Sarasin dagegen reist zurück ins Jahr 1977 und die FR staunt über das ausgebreitete Geflecht von allzu gegenwärtigen Gleichzeitigkeiten darin. Über die Zukunft des Nationalstaats unterhalten sich Wolfgang Streeck und Mathias Greffrath morgen früh bei Essay und Diskurs im DLF.

 

Alte Herren

Jürgen Habermas wurde letzte Woche in Tutzing geehrt und auch die FAZ berichtet, wer bei der Tagung zugegen war, um sein Œuvre zu würdigen, und wie Adorno dem jungen Habermas den Anstoß zum „nachmetaphysischen Denken“ gab.

Charles Taylor wird unterdessen 90: Die FAZ lobt ihn als Atheismuskritiker, der vor einer Vernunft ohne Transzendenz warnt, die SZ als kommunitaristischen Hegelianer, der der heutigen Klimaschutzbewegung einiges zu sagen hat.

Einen anderen alten Herren würdigt Andreas Wehr bei Telepolis: Domenico Losurdo blieb seiner italokommunistischen Sozialisation von 1968 treu und dachte bis zu seinem Tod 2018 über Utopie und Scheitern des Sozialismus nach.

Die unverwüstlichen Alexander Kluge und Helge Schneider haben während des Lockdowns in Videokonferenzen miteinander über Heidegger und Elefantenärsche geplaudert und daraus den Film „Pandemisches Geflüster“ gemacht, den die SZ vorstellt.

Deutlich jünger und quietschlebendig ist Harald Welzer, was den Standard aber nicht davon abhält, ihn anlässlich seines neuen Buchs „Nachruf auf mich selbst“ als Besserwisser im guten Sinne zu loben. Nicht mehr lebendig ist Fjodor Michailowitsch Dostojewski, dem der DLF anlässlich seines 200. Geburtstags eine Lange Nacht widmet.

 

Umgehen mit dem Ende

Die Beschlüsse des Klimaschutzgipfels in Glasgow werden voraussichtlich abermals hinter dem zurückbleiben, was notwendig wäre. Die taz unterhält sich mit Arnd Pollmann darüber, warum individueller Verzicht ebenso wenig eine Lösung ist wie Radikalisierung. Das findet auch Armin Nassehi, dessen neues Buch über das Unbehagen in der überforderten Gesellschaft in der FAZ vorgestellt wird.

Als Dritter im Bunde warnt der Sozialwissenschaftler Christoph Görg ebenfalls vor einer Überforderung der Konsumenten und erklärt im Spektrum-Interview, warum die sozial-ökologische Verflochtenheit noch zu wenig erforscht ist. Vielleicht hülfe Moral? Die taz unterhält sich mit Lieske Voget-Kleschin über Landwirtschaft als ethische Herausforderung.

Nur noch Rassisten halten Indigene für primitive Wilde, während deren Adel für manche Antirassisten heilversprechend ist: Die FAZ stellt drei Bücher vor, die indigenes Wissen um die Verbundenheit aller Dinge würdigen und der gefräßigen Moderne die Monstranz der Nachhaltigkeit aus der Hand schlagen.

Das Artensterben ist eine stille Katastrophe, der Lothar Frenz mehr Aufmerksamkeit verschaffen möchte mit einem Buch, das die richtigen Fragen stellt und bei Spektrum rezensiert wird. Ebenda geht es auch um das Phänomen der Klimaangst: Charline Schmerber hat Menschen dazu befragt, wie sie mit ihrer Verzweiflung angesichts einer apokalyptischen Zukunft umgehen. Svenja Flaßpöhler wirbt in ihrem neuen Buch dafür, Resilienz und Sensibilität gleichermaßen einzuüben, um mit den Zumutungen der freiheitlichen Gesellschaft zurechtzukommen – und der Freitag verteidigt die Autorin gegen Kritik der Überempfindlichen.

(Photo: Reddit)

In der Philosophie-Blase der sozialen Medien kursiert gerade der mehr oder weniger lustige Trend, Denkern einen bösen Zwillingsbruder anzudichten, der das genaue Gegenteil verkörpert, und Schopenhauers ist eher lustig.

 

Unisex

Matthias Warkus denkt in seiner Spektrum-Kolumne über die Sprachenvielfalt in der Philosophie nach, die sich dem Trend zum Englischen als lingua franca noch lange widersetzen wird.

Inzwischen kann man sich allerhand Fachpublikationen vom Computer erstellen lassen, zum Beispiel mit dem schon einige Jahre alten Postmodernism Generator. Laut FAZ sind 243 solcher Nonsens-Artikel in naturwissenschaftlichen Publikationen entdeckt worden.

Kathleen Stock lehrt(e) an der Universität Sussex Philosophie und ist skeptisch, ob und inwiefern geschlechtliche Selbstidentifikation möglich ist und sein sollte. Nach studentischen Protesten hat sie nun gekündigt, was – wie die SZ meldet – auch das britische Parlament in Aufruhr versetzt. Der Tagesspiegel hat sich derweil mal bei den beteiligten Studis nach ihren Motiven und der Vorgeschichte des Eklats erkundigt.

Apropos Sexualität: Über Mythos und Realität des weiblichen Orgasmus liegt bei Spektrum ein für alle Geschlechter lesenswertes Langstück vor, in dem Paola Emilia Cicerona schildert, was wir über weibliche Lust wissen – und was nicht.

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