Links der Woche, rechts der Welt 05/21

Weitere Lektionen der Pandemie

Es scheint doch noch rote Linien zu geben: Eine solche hat Gunnar Kaiser mit seiner Frage überschritten, ob die Alten die zusätzlichen Lebensjahre verdient hätten, für die die Jugend im Lockdown festhängt, und Mladen Gladić weist ihn dafür in der WELT ordentlich zurecht. Arno Widmann – inzwischen auch zur Risikogruppe gehörig – denkt in der FR über die Frage nach, die Viren der Menschheit bezüglich ihrer jeweiligen Rolle auf Erden stellen, und warum die Zukunft nicht die Vergangenheit sein darf.

 

Irrationalismus hier und da

Baruch de Spinoza wäre wenig überrascht vom grassierenden Verschwörungsglauben heutiger Tage, wie Isolde Charim in der taz meint und zum Beleg seine gesellschaftskritischen Ausführungen zum Aberglauben zitiert. Die ZEIT unterhält sich mit Thomas Macho über das vielfältige Phänomen der Immobilisierung in der Pandemie und was das mit der Zukunft zu tun hat. Derweil argumentiert Markus Gabriel in der NZZ, die nie ums Aufstellen neuer Strohmänner verlegen ist, gegen „Lockdown-Fanatiker“, die genauso irrational wie Corona-Leugner seien.

In Eliot Weinbergers collagen-haften Essays über die US-Republikaner erkennt die taz die Karl-Kraus-Methode wieder, Unmenschen durch Zitate zu entlarven. Noam Chomsky darf im Standard-Interview Trump mit Krebs und Hitler vergleichen und erklären, warum jetzt alles noch schlimmer werden könnte.

Zum bleibenden Trumpismus gehört auch die Troll-Unkultur, mit deren in die Echtwelt überschwappendem, rechtsdrehenden Zynismus sich ebenfalls die taz beschäftigt. Twitter hat die neue Unübersichtlichkeit nicht gerade geordnet, wie Nils Markwardt im Freitag über die Eigentümlichkeiten dieses speziellen sozialen Netzwerks schreibt.

 

Nachdenken über Früher

Aus dem DFG-Projekt „Nachmetaphysisches Philosophieren“ kommt im Tagesspiegel eine Klarstellung gegen das von Wolfram Eilenbergers Bestseller beförderte Vorurteil, die 1920er seien eine Epoche denkerischer Solitaire und nicht von Schulen, Kreisen und Instituten gewesen.

(Photo: Sammy-Williams, pixabay.com, CC0)

Den naheliegenden Gedanken, im Smartphone das technologische Symbol der Spätmoderne zu sehen, führt Nils Zurawski bei Telepolis aus: Es ist eine Individualitätsmaschine um den Preis einer weltverzerrenden Unterhaltungstotalität. Die von u.a. Elon Musk und Nick Bostrom vertretene These, wonach wir in einer simulierten Welt leben, wird vom Standard munter vorgestellt.

Derweil schreitet der Kalender unerbittlich voran in Zeiten, die einst Schauplatz von Science-Fiction waren: Nicht nur „Johnny Mnemonic“ spielt im Jahr 2021, was die FR bzw. dpa zum Anlass nimmt, auf die Zukunft von früher zu blicken.

 

Bücherkiste

Die Leipziger Buchmesse fällt auch in diesem Jahr aus, wie die FAZ meldet und nebenan den WDR-Beschluss kommentiert, die Literaturkritik aus dem Programm zu werfen. Vor einer ganzen Weile ward mal auf Schwein & Zeit ausgerechnet, wen das jenseits des Betriebs überhaupt interessiert.

 

Menschen ticken wie Uhren

Auch Spektrum bespricht Eva von Redeckers Buch über moderne Protestformen in aller Kürze und wer vor lauter Podcasts das Radio überhört, kann sich von der SZ fünf Psychologie-Podcasts empfehlen lassen.

Frank Vogelsang bemüht in seinem Buch „Soziale Verbundenheit“ Merleau-Pontys Gedanken zur Leiblichkeit, um das soziale Wesen des Menschen zu ergründen, was der FAZ nicht leichte, aber lohnende Lektüre ist. Zu viel Nähe kann nerven, aber ist es moralisch in Ordnung, sich abzuwenden? Darüber spricht Peter Strasser morgen bei Essay und Diskurs im DLF. Über den allzumenschlichen Hang, die eigene Gruppe von einer als feindlich betrachteten Fremdgruppe abzugrenzen, schreibt Andreas von Westphalen bei Telepolis und geht der Frage nach, ob wir ihn der Evolution oder der Kultur verdanken. Über die globalisierte Welt unterhalten sich Wolf Lotter und Jürgen Wiebicke im Philosophischen Radio des WDR 5.

Über die jüngsten Theorien, wie der Wolf zum Hund des Menschen wurde, berichtet die SZ, und Matthias Warkus überlegt in seiner Spektrum-Kolumne mit Max Weber und Foucault, welche Macht ihn zum morgendlichen Aufstehen zwingt.

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