Gespräch mit Ria Gilch

Wir sprechen mit Karolina „Ria“ Gilch (21). Ria war zur Zeit des Uni-Streiks im Januar 2004 zusammen mit Martin Lyssenko u-asta-Vorstand und ist einige Wochen danach nicht nur zurückgetreten, sondern sie hat die BuF-Fraktion verlassen. Bei den Uniwahlen im Mai kandidierte sie auf der Liste von seattle.
Gegenwärtig wird gegen Ria ermittelt, weil sie mutmaßlich an der Besetzung der CDU-Parteizentrale während des Streiks beteiligt war.

von Corner Stone und Timotheus Schneidegger, 14.06.2004, 14:12 Uhr (Dunkles Zeitalter)

 

Lichtwolf: Würdest du die Streiktage heute immer noch als Erfolg werten?

 

Ria GilchRia Gilch: Ja, weil ziemlich viele Studis sich engagiert haben und ich glaube, daß ein Denkprozeß eingesetzt hat. Wenn man sich zum Beispiel den Arbeitskreis info, den Arbeitskreis zum Landeshochschulgesetz und die anderen AKs anschaut, die sich gebildet haben, dann ist das ein Erfolg, denn das gab es vorher nicht in diesem Umfang und mit dieser Qualität.

 

Lichtwolf: Wie kam es dazu und warum hast Du damals selbst an der Besetzung der CDU-Zentrale teilgenommen?

 

Ria Gilch: In Freiburg ist die Idee aufgekommen durch die Streiks an anderen Unis in Deutschland, z.B. in Berlin, wo es ziemlich abgegangen ist. Bei der ersten Vollversammlung vor dem Streik (im Dezember 03) hat man gemerkt, es sind schon sehr viele Studis informiert und wollen auch was machen. Ich würde sagen, wir sind eigentlich überrumpelt worden. Wir hatten kaum damit gerechnet, daß so viele einen Streik wollen.

Zu meiner Beteiligung an der CDU-Besetzung sage ich jetzt mal nichts – wegen den laufenden Ermittlungen. Zur Besetzung allgemein: Ich finde, das ist eine legitime Protestform.

 

Lichtwolf: Wie lief die Besetzung ab oder was hast du davon mitbekommen?

 

Ria Gilch: Ich habe während der Menschenkette oder nach ihrer Auflösung davon erfahren. Da ging um, daß die Besetzung angelaufen sei, und dann sind auch die meisten von der Menschenkette zur CDU-Zentrale hingegangen. Ich weiß nur soviel, daß, wo wir angekommen sind, sehr viele hineingeströmt sind. Die Polizei hat dann ziemlich schnell zugemacht. Es kamen also viele, die wollten, nicht mehr rein.

Lichtwolf: Es ist bekannt, daß du von der Polizei während des Ermittlungsverfahrens auch verhört worden bist…

 

Ria Gilch: Da möchte ich etwas klarstellen: Ich wurde nicht verhört. Ich hatte ein persönliches Gespräch mit Polizeipräsident Hager, der mir eben ein paar Sachen mitgeteilt hat. Ich habe auch so einen Zettel für eine Beschuldigtenanhörung bekommen, zu der ich nicht gegangen bin, weil man da nicht hingehen muß. Zu solchen Sachen muß man erst hingehen, wenn man eine Einladung vom Staatsanwalt bekommt.

Herr Hager kannte mich persönlich, denn jeder Vorstand des u-asta stellt sich ja bei ihm vor, das ist eine Tradition. Ich bin mit Linda Tessin, zu diesem Zeitpunkt auch noch u-asta-Vorstand, hingegangen. Es wurde darüber gesprochen, wie der Streik insgesamt abgelaufen ist. Wir haben ein Resumee gezogen und er hat ein Resumee gezogen.

 

Lichtwolf: Glaubst du, daß die guten Beziehungen zwischen Polizei und Studierendenvertretung durch den Ablauf des Streiks dauerhaften Schaden genommen haben?

 

Ria Gilch: Das glaube ich nicht, weil Herr Hager ein sehr vorausschauender Mensch ist und ihm sehr viel daran liegt, mit seinen Bürgern und Bürgerinnen zu sprechen. Ich glaube nicht, daß da ein Schaden entstanden ist, weil Herrn Hager wirklich etwas daran liegt, mit den Studierenden genau wie mit anderen Gruppen auch in Kontakt zu stehen.

 

Lichtwolf: Du bist aus der BuF-Fraktion ausgetreten und hast bei der Uniwahl für seattle kandidiert. Wie kam es dazu?

 

Ria Gilch: Daß ich als Vorstand zurückgetreten bin hat sehr viele Gründe. Der Hauptgrund aus politischer Sicht ist, daß ich das ganze System in der letzten Zeit als ziemlich arbeitsunfähig betrachte. Es kann die Arbeit, die es leisten sollte, nicht mehr machen. Bei seattle sehe ich ein paar Aspekte – Kapitalismus- und Globalisierungskritik – die mich persönlich zur Zeit mehr ansprechen und beim u-asta sehr außen vor gelassen werden. Ich habe meine Ämter niedergelegt, weil ich in der Studierendenvertretung meine Grenzen erkannt habe, und nicht mehr die Möglichkeit sah, mitzugestalten. Deswegen bin ich zu seattle gegangen.

Lichtwolf: Lehnst du das u-Modell ab oder fühlst du dich einfach nicht mehr politisch in der BuF-Fraktion aufgehoben?

 

Ria Gilch: Sowohl als auch. Ich hätte schon gerne die Verfasste Studierendenschaft und würde mir wünschen, daß der u-asta da einiges mehr macht.

 

Lichtwolf: Haben deine Überlegungen, die Fraktion zu wechseln, schon während des Streiks begonnen oder etwas damit zu tun gehabt?

 

Ria Gilch: Während des Streiks auf gar keinen Fall, da war ich mittendrin, da gab es auch keine Zeit zum Überlegen, da hat man einfach nur geschaut, daß die Organisation und ganzen Aktionen stehen. Es kam dann aber schon so langsam die Zeit, in der ich gemerkt habe: Es läuft ein bißchen was schief. Auch hat sich dann das Klima im u-asta verändert. Als ich anfing, herrschte noch ein sehr menschliches, sehr entgegenkommendes Verhalten. Das hat sich zu unterschwelligen Auseinandersetzungen gewandelt im Verhalten einzelner Menschen gegenüber anderen.

Ein weiterer Grund dafür, warum ich zu seattle gegangen bin, ist, daß einige Leute von seattle während des Streiks sehr viel gemacht haben. Ohne sie wäre es einfach nicht gegangen. Da habe ich mich dann gefragt: Wieso schließe ich mich nicht gleich den Leuten an, die wirklich was machen und meiner politischen Richtung sehr nahestehen?

 

Lichtwolf: In der Debatte um Martin Lyssenko ist heftig gestritten worden.

 

Ria Gilch: Also ich finde wirklich Schade, wie das ganze abgelaufen ist, daß es zwischen einzelnen Personen zu solchen Beschimpfungen kam. Ich finde es es auch übertrieben, jetzt so auf Martin einzuschlagen, denn ich glaube, man sollte irgendwann auch mal die Größe zeigen, einem Menschen zu verzeihen und die Sache abzuhaken. Ich kann Martin auch verstehen, denn er wurde persönlich angegriffen und wehrt sich nur. Trotzdem sollte man, moralisch gesehen, sich erkundigen, ob man zu Vorladungen hingehen muß, und überlegen, ob man sich überhaupt bereit erklärt, Menschen bei der Polizei – nicht zu verraten, aber eben zu identifizieren.

Die Debatte ist dennoch sehr Schade. Eigentlich läuft sie nur zwischen ein paar Personen ab. Andererseits hat sich Martin auch einige Hämmer geleistet – ich sehe mich zum Beispiel nicht als „faschistischen Dummbeutel“, und die meisten anderen auch nicht. Ich glaube, man sollte die ganze Sache friedlich lösen.

Ich habe mit Martin ein halbes Jahr zusammengearbeitet, ich kenne ihn und hoffe mal sehr, daß er mich nicht als faschistischen Dummbeutel oder als Diebin sieht. Ich bin mir ziemlich sicher, daß er das nicht tut. Ich glaube, Martin da ein bißchen besser verstehen zu können als andere, darum fühle ich mich nicht persönlich angegriffen.

Lichtwolf: Du bist nicht der Vorladung der Polizei nachgekommen.

 

Ria Gilch: Ich glaube, man kann seine Rechte schon wahrnehmen, z.B. daß man, wenn man eine Einladung zur Zeugenanhörung bekommt, da nicht unbedingt hingeht, sondern erstmal einen Anwalt konsultiert und nachfragt, was das für Konsequenzen hat, welche Rechte und Möglichkeiten man hat. Es ist jedem selber überlassen, eine Aussage zu machen oder nicht. Dafür kann man niemanden angreifen, man kann höchstens die moralische Frage stellen, ob man eine Aussage machen sollte oder nicht. Aber das ist die Sache von jedem einzelnen.

 

Lichtwolf: Glaubst du, daß der Streit um die Besetzung dem u-asta Schaden zugefügt hat?

 

Ria Gilch: Das kann man jetzt noch nicht absehen. Ich glaube schon, daß einige Menschen, die sehr eng mit dem u-asta in Kontakt sind, enttäuscht sind darüber, daß man sich nicht gleich solidarisiert. Da werden sich vielleicht manche sagen: Bei so einer Einstellung will ich damit nichts mehr zu tun haben.

 

Lichtwolf: Bei den Uniwahlen haben die BuF-Listen insgesamt 13 Prozentpunkte verloren. Siehst du einen Zusammenhang zwischen diesem Ergebnis und dem Streik mit eventuellen Folgen der CDU-Besetzung?

 

Ria Gilch: So genau kann man das nicht sagen. Das ist vielleicht in einem halben Jahr absehbar. Ich glaube, inhaltliche Sachen spielten da eine größere Rolle.

Wenn man sich die Besetzung mal anschaut: Da sind sehr viele Leute hingegangen, also hat das schon Unterstützung unter Studis gefunden. Ich würde sagen, es stand eine Mehrheit von den 3000 Streikbeteiligten hinter der Besetzung.

Lichtwolf: Wie hast du die Besetzung der CDU-Zentrale damals bewertet und wie urteilst du heute aus der Distanz darüber?

 

Ria Gilch: In die Besetzung sind viele mehr oder weniger blind hineingelaufen. Es herrscht noch immer dieser „Mythos Besetzung“ – jeder will mal bei sowas mitgemacht haben. Wenn man sieht, was in anderen deutschen Städten von November 03 bis Februar 04 abgelaufen ist, dann haben sich einige gesagt: Gehen wir einfach mal hin und schauen, das wird bestimmt witzig. Aber viele waren sich nicht bewußt, was für Konsequenzen das haben kann und daß es dann kein Spaß mehr ist.

 

Lichtwolf: Bist du der Meinung, daß man solche Konsequenzen dann auch tragen sollte?

 

Ria Gilch: Ja. So erwachsen sollte jeder sein, auch wenn er am Anfang blind in die Sache reingelaufen ist, Stellung zu beziehen und die Konsequenzen zu tragen. Mir war am Anfang auch nicht so ganz klar, welche Konsequenzen das nach sich ziehen kann. Inzwischen sehe ich das ganze anders, etwas verantwortungsvoller.

Ich sehe eine Besetzung jedoch weiterhin als legitime Protestform. Man sollte halt überlegen, wann man es einsetzt, weil es doch ein ziemlich krasses Mittel ist, und was man damit erreichen will.

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