Salvia Divinorum

Eine Droge ohne schlechte Eigenschaften

von Timotheus Schneidegger, 20.12.2004, 11:28 Uhr (Freiburger Zeitalter)

Mit Texten über Drogen verhält es sich wie mit solchen über Sex: Darüber schreibt man nicht – das macht man. Was aber, wenn es eine Stellung gäbe, bei der das Risiko einer Infektion mit Krankheiten oder Nachwuchs nahezu null ist, die am schnellsten zum heftigsten aber auch kürzesten Orgasmus führt und darüberhinaus auch noch nicht verboten wurde? Sollte die Welt nicht, koste es, was es wolle, davon unterrichtet werden? Ich meine: Nein. Und schreibe statt dessen über Salvia Divinorum, ein halluzinogenes Kraut, das irgendwo zwischen Gras, Pilzen und LSD liegt, nicht im Betäubungsmittelgesetz aufgeführt (d.h. legal erwerblich) ist und keines der üblichen Risiken (Überdosis, Abhängigkeit, Flashbacks, Horrortrips) in sich birgt.

Bis in die 90er Jahre war über den in der aus Südmexiko stammenden Salbeiart enthaltenen Wirkstoff Salvinorin A so gut wie gar nichts bekannt, obwohl Salvia seit seiner botanischen Bestimmung 1962 zunehmend von nordamerikanischen „Kellerschamanen“ als Entheogen verwendet wurde. Da bereits 250 Mikrogramm eine spürbare Wirkung haben, gilt Salvinorin als stärkste derzeit bekannte halluzinogene Substanz. Im Gegensatz zu den Popstars unter den psychoaktiven Giften – Kokain, Koffein, Nikotin, Mutterkorn-Alkaloide und Psilocybin (LSD, resp. Pilze) – gehört es nicht zur Stoffgruppe der Alkaloide, sondern wie das im Absinth enthaltene Thujon zu den bislang neurochemisch eher unauffälligen Terpenen. Wie genau es auf das zentrale Nervensystem wirkt ist noch nicht geklärt. Es wird angenommen, Salvinorin imitiere einen bislang unbekannten Neurotransmitter und löse dadurch einen Anstieg der neuronalen Aktivität im Hirnstamm aus.

Die Wirkung unterscheidet sich beträchtlich von der anderer Rauschmittel. Da Salvinorin keinen Einfluß auf das emotionale Befinden nimmt, also die Stimmung Salvinorin Anicht verändert, ist die Gefahr von Horrortrips gleich null. Die z.T. drastische Veränderung des Egos oder des Raumgefühls kann jedoch als unangenehm empfunden werden, besonders von denjenigen Konsumenten, die verbissen daran festhalten, im Besitz der einzig gültigen Wirklichkeitswahrnehmung zu sein. Hier strebt der bedrogte Geist gegen den Rausch unablässig zurück zum nüchternen Zustand, weshalb beide in ein Gerangel geraten. Wie beim Sex sollte hier gelten: „Keine Sorge, laß einfach los.“

Apropos Schweiß: Die Droge hat den sonderbaren Nebeneffekt, die Poren der Haut zu öffnen, weshalb der Konsument während des Rausches stark zu schwitzen beginnt.

Salvinorin löst so etwas wie die Halluzination eines sechsten Sinnes in Verbindung mit einer starken Veränderung des Bewußtseinskerns aus. Diese Wirkung zeigt gewisse Ähnlichkeiten mit dem Phänomen des nächtlichen Traums. Wie dieser bedient sich die Droge unterbewusster Geistesinhalte und konstruiert daraus ein unvorhersagbares Rauscherleben. Was Baudelaire über Hasch dichtete, trifft auch auf Salvia zu: Es offenbart „dem Einzelnen nichts als ihn selber“. Im Traum ist sich der Mensch unmittelbar seiner geträumten Situation bewußt; auf gleiche Weise versetzt Salvia den Konsumenten in ein situatives Erleben, vor dem die fünf Sinne soweit in den Hintergrund treten, daß es keine Rolle spielt, ob Musik läuft oder die Augen geschlossen sind.

Ebenfalls im Gegensatz zu den meisten anderen Drogen ist die Wirkung derartig intensiv, daß der Konsument sich nicht bewußt ist, unter dem Einfluß des Salvinorins zu stehen, d.h. der Rausch wird genauso selbstverständlich erlebt wie das nüchterne Sein. Die kurze Dauer eines Salviarausches erweist sich somit als Bonus: Das Bewußtsein ist meist nur für einige Minuten auf die salviatypische Weise umgekrempelt.

Das Herannahen der Wirkung ist üblicherweise die letzte „normale“ Wahrnehmung. Im nächsten Augenblick fühlt sich der Konsument mit unwiderstehlicher Kraft weggezogen oder –geschoben. Salvia verändert die Ortswahrnehmung weniger optisch, sondern schafft eine andere Gewissheit der räumlichen Umgebung, wie z.B. die Überzeugung, alles stünde auf dem Kopf und werde jeden Moment herunterfallen. Das Bewußtsein ist unter Salviaeinfluß im wahrsten Sinne weggetreten, also an einem anderen Ort. Einige Quellen sprechen von einem „Salviaraum“ – eine irreführende Bezeichnung, denn sie legt nahe, es gäbe eine Parallelwelt, zu der Salvia ein Tor öffnen würde. Genauso entstammt das Gerede von einer „Salviagöttin“ infantil-folkloristischen Deutungsversuchen des Rauscherlebens. Tatsächlich befindet sich der Salviakonsument in Gesellschaft: Im Salviarausch werden diffuse Wesen oder Personen, die mit den alltäglichen Sinnen nicht wahrgenommen werden, als zugegen empfunden.

Das Salvinorin relativiert die existentiellen Konstanten Raum, Zeit und Ich. Das Körpergefühl und damit das vulgärsolipsistische Selbstbewußtsein als autonomes Zentrum aller Wahrnehmung verlieren – wie die fünf Sinne – ihre den Alltag tragenden Rollen. Hierin liegt der Grund für die Fremdartigkeit dessen, was im Rausch erlebt wird: Das Dasein und sein In-der-Welt-sein werden auf ganz andere Grundlagen gestellt. Dabei ist der Konsument – da sich des Drogeneinflusses nicht bewußt – so zweifellos überzeugt von diesem Erleben wie Sie davon, diese Zeilen in Ihrer gegenwärtigen Umgebung zu lesen bevor Sie zu Ihrer im Anschluß geplanten Tätigkeit schreiten. Die Rauschekstasis wird anschließend nicht vergessen, sie kann vom nüchternen Geist lediglich nicht in den (Be-)Griff gebracht werden. Wie ein Traum lässt sie sich grob umschreiben, dennoch bleibt die Erfahrung, hellwach für objektiv einige Minuten, subjektiv aber höchst unterschiedlich wahrgenommene Zeit unter gänzlich anderen Existenzprämissen dagewesen zu sein, unaussprechlich. Gottfried Benn hat sowas „Wirklichkeitszertrümmerung“ genannt. –

In einem weiteren Punkt unterscheidet sich Salvia auf bemerkenswerte Weise von anderen Halluzinogenen: Die drogentypische Gewöhnung ist umgekehrt, d.h. wo von anderen Rauschmitteln jedes Mal eine etwas höhere Dosis benötigt wird, um den gesuchten Effekt zu erleiden, wirkt das Salvinorin mit jeder Einnahme intensiver. Offenbar muß der Körper sich zunächst auf die Substanz einstellen – der Effekt jedenfalls verstärkt sich mit jeder Einnahme.

Diese ist auf zwei Weisen möglich: Bei der oralen Aufnahme werden acht bis 12 frische Blätter der Salviapflanze zerkaut oder einige Tropfen Salviaextrakt unter die Zunge gegeben. Diese Methode ist jedoch wenig komfortabel, da die alles andere als wohlschmeckende Suppe mindestens zehn Minuten im Mund behalten Salviazweigwerden muß, bis die Schleimhäute das Salvinorin absorbiert haben. Salvia kann auch geraucht werden: Die getrockneten Blätter werden wie Gras in einer Bong (am besten Eisbong) verbrannt oder im Vaporizer erhitzt, oder aber der Extrakt wird wie Heroin auf Alufolie gekocht und inhaliert.

Wird Salvia geraucht, stellt sich die Wirkung blitzschnell ein: Oft ist gerade noch Gelegenheit, eine gemütliche Sitzhaltung einzunehmen, bevor der Geist auf die U-Bahn springt.

Salvia sollte nicht alleine konsumiert werden. Ein Tripsitter, der die ganze Zeit über nüchtern bleibt, passt auf, daß der Konsument nicht aus dem Fenster springt oder mit der Bong die Wohnung in Brand setzt. Wer mit Sartre sagt, die Hölle seien die anderen, und findet, dies sei kein besonders geeigneter Ort, um mit dem eigenen Realitätsempfinden herumzuspielen, und wer darüber hinaus Erfahrung und starkes Vertrauen in seinen Überlebensinstinkt hat, nimmt Salvia auch alleine zu sich. Sicherheitshalber bindet sich der Konsument dann aber, vor allem bei größeren Dosen, in Anlehnung an Odysseus z.B. einen Fuß ans Tischbein. Man setzt sich in jedem Fall möglichst in Bodennähe oder legt sich am besten gleich hin. Eine ruhige, entspannte Atmosphäre sind das A und O aller halluzinogenen und sexuellen Erfahrungen: Gedämpftes Licht, leise Musik und kein Gehetze. Gewisse Traditionen der Mazateken empfehlen sich auch für den profanierten Salviagebrauch. Vor den schamanistischen Zeremonien im mexikanischen Hochland wird süßes Gebäck und Chocolatl zur Beruhigung gereicht. Aber auch Lakritz oder Alkohol (Wein, oder – wegen der chemischen Verwandtschaft der Wirkstoffe: Absinth) können die wichtige Nervenruhe einkehren lassen. Keinesfalls sollte Salvia in Verbindung mit anderen psychoaktiven Substanzen wie Hasch, Pilzen oder gar LSD konsumiert werden.

Die Wirkung von Halluzinogenen ist von der Erwartung des Konsumenten abhängig, weshalb ich auf sogenannte „Tripberichte“ verzichte, die im Internet auf einschlägigen Homepages zu finden sind, deren miserable Gestaltung den Verdacht schürt, Salviakonsum führe zu Farbenblindheit und Legasthenie.

Auch wenn sich die Kunde vom Zaubersalbei immer mehr verbreitet, auch wenn es bislang keine Berichte über Salvinorin-Abhängigkeit, Flashbacks oder Horrortrips gab und auch wenn die Eskapismusgelüste in einer spirituell verödenden Moderne (die Benn aber auch schon 1943 konstatiert hat) zunehmen, dürfte Salvia wohl kaum zu einer Modedroge werden, wie LSD es in den 70ern und Ecstasy in den 90ern war. Das Salvinorin hat weder beruhigende, noch aufputschende, weder aphrodisierende noch euphorisierende Wirkung, selbst als Phantasticum ist Salvia nur bedingt brauchbar, da die Rauscherlebnisse im nüchternen Zustand nicht mehr recht zugänglich sind. So taugt es offenbar „nur“ dazu, mal aus sich selbst herauszutreten, um zu sehen, daß es Realität auch in anders gibt – eine Erfahrung, die weder im Bewerbungsgespräch zu vermitteln, noch für die Karriere einzuspannen ist.

Zum guten Schluß die obligatorische Warnung: Spielereien an der eigenen Wahrnehmung von Wirklichkeit sorgen stets für eine Erschütterung des Geistes, die den bei einigen mehr, bei anderen weniger tief schlafenden Drachen des Wahnsinns wachrütteln könnten. Albert Hofmann fragt Ernst Jünger in einem Brief vom 16.12.1961, „ob durch die hier zur Diskussion stehenden, sehr tief eingreifenden Drogen [LSD und Pilze] tatsächlich nur ein zusätzliches Fenster für unsere Sinne und Empfindungen geöffnet wird oder ob der Betrachter selbst, sein Wesenskern, Veränderungen erfährt. […] ob unser innerster Wesenskern tatsächlich unangreifbar ist […] – oder ob die Materie in Form dieser Drogen eine Potenz entfaltet, die das geistige Zentrum der Persönlichkeit, das Selbst anzugreifen vermag.“

Solche Bedenken gelten erst recht für das Salvinorin, das potenteste Halluzinogen der Welt, über dessen Wirkungsweise und Langzeitfolgen niemand nichts genaues weiß, und das in Deutschland ganz legal verkauft, erworben und konsumiert werden kann. Noch.

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