Steinzeit voraus!

Die Deutschen träumen gern vom Zivilisationskollaps im Stile der Mayas. Wenn diese Reizworte auch bei Ihnen einen genüsslichen Grusel auslösen, könnten Sie an einer Wahrheit dunkle Freude haben, die noch unbequemer als die Al Gores ist: Die Steinzeit ist unsere Zukunft.

von Georg Frost, 19.09.2010, 11:11 Uhr (Neues Zeitalter)

 

Nur eine Wirtschaftskrise hat es gebraucht, um die marxistische Kapitalismusdämmerung wieder salonfähig zu machen. Die WELT berichtete Ende Juli von Seminaren in feinen Hamburger Hotels, auf denen Firmenchefs sich für Hunderte von Euro ausmalen lassen, wie ihr Untergang konkret aussehen wird. Laut einer ARD-Umfrage glaubten im Juli drei Viertel der Deutschen, dass der schlimmste Teil der Finanz- und Wirtschaftskrise noch bevorsteht; der Schrecken der Weimarer Hyperinflation scheint uns epigenetisch in den Knochen zu stecken. Doch auch sonst wähnen sich Deutsche gerne am Abgrund. In den 80ern erwarteten sie als Bewohner des Schlachtfelds zwischen Ost und West den Strahlentod. Dann betraf das Waldsterben ganz Europa, besonders aber die Deutschen als Erfinder der Waldromantik. Es folgten in der Reihe der „chronische Angst-Epidemien“ (Matthias Horx) bzw. „Katastrophen-Laolas“ (Lisa Fitz) Y2K, 9/11, SARS und H1N1. Zwischendurch sahen wir die deutsche Sprache durch Anglizismen an den Rande Oblivions gedrängt; den durch das Internet verursachten Untergang der abendländischen Kultur verhandeln Föjetong und Blogosphäre derzeit immer noch.

Dabei muss dem als „Internetguru“ annoncierbaren Clay Shirky im April ein Buch in die Hände gefallen sein, in dem es u.a. um den jähen Zusammenbruch der Maya-Kultur im Jahre 909 geht. 2003 erlebte die These eine Renaissance, der Untergang dieser zentralamerikanischen Hochkultur sei die Folge einer Dürreperiode, die die Mayas zur Aufgabe ihrer Städte zwang. Dem halten andere Forscher entgegen, die Versorgungslage sei vor allem wegen der Bevölkerungsexplosion angespannt gewesen. Die urbane Expansion im Urwald und die maßlosen Bauvorhaben der Elite hätten schließlich zu Revolten geführt, im Laufe derer auch der Handel als Grundlage der Maya-Kultur zusammengebrochen sei.

 

Complexity-Collapse-Theorie

Shirky las Joseph Tainters Buch „The Collapse of Complex Societies“ von 1989, worin – der Titel ist klug gewählt – der Aufstieg und Niedergang von Zivilisationen wie den Römern oder den Mayas behandelt werden. Tainter kommt zu dem überraschenden Schluss, diese Gesellschaften seien nicht trotz, sondern wegen ihrer hohen Entwicklungsstufe so plötzlich kollabiert. Zu Beginn verfügt eine Gesellschaft über einen Ressourcenüberschuss, der erschlossen, verteilt und investiert werden kann, was – kurz gesagt: Fortschritt und Kultur bewirkt. Wie im Ertragsgesetz (1) nimmt auf einer niedrigen Stufe die gesellschaftliche Komplexität mit jeder technischen oder kulturellen Errungenschaft sprunghaft zu. Die damit verbundenen gesellschaftlichen Vorteile werden jedoch immer geringer, weil sie sich im mitwachsenden und unvermeidlichen „sozialen Management“, der strukturellen Differenzierung und Organisation verlieren. Schließlich hat die überreife Gesellschaft einen Grad von Komplexität erreicht, bei dem Innovation keine neuen Werte mehr schafft, sondern vorhandene verbraucht. Dann ist sie nicht mehr im Stande, auf unvorhergesehene Krisen (Katastrophen, Kriege, Umweltveränderungen) anders zu reagieren als mit dem völligen Zusammenbruch.

Diese Logik wendet Shirky auf große Medienkonzerne an, deren Grad an Arbeitsteilung, Know-how und vielfältigen Ressourcen die Bezeichnung „Medien-Imperien“ angemessen ist. (2) Seit Jahrzehnten waren sie daran gewöhnt, dass TV-Produktionen immer aufwändiger und teurer werden, aber auch genug einbrachten, um Shareholder mit ordentlichen Renditezuwächsen bei Laune zu halten. Mit dem Internet hat sich die Welt der Medien-Imperien plötzlich verändert. Kein in den letzten fünf Jahren produziertes Video wurde von mehr Menschen gesehen als das von einem Baby, das seinem Bruder zweimal in den Finger beißt. Der Youtube-Clip wurde von einem Amateur mit einer Billigkamera aufgenommen, hat nichts gekostet, spielt nichts ein und hat, schreibt Shirky, mehr Zuschauer als „American Idol“, „Dancing With The Stars“ und der Superbowl zusammen.

Ein Medienkonzern, der zum Unterhalt seiner gewachsenen Komplexität auf ständig wachsende Umsätze angewiesen ist, kann auf diese neuen Bedingungen gar nicht mehr reagieren: Ein Sparkurs verlängert bloß seine Agonie, kreditbefeuerter Aktionismus verkürzt sie und aussitzen lässt sich ein neues Zeitalter schon gar nicht.

Während die alten, überreifen sozialen Verbände ihre Kohäsion verlieren, sind andere längst dabei, unter den neuen Bedingungen bei Null anzufangen. Unter sie mischen sich eines Tages die Überlebenden der untergegangenen Reiche.

 

So Shirkys Übertragung von Tainters These von den Mayas auf die Medien. Von der landläufigen imperial-overstretch-These unterscheidet sie sich darin, allein auf die innere (soziale und technologische) Komplexität einer Gesellschaft zu blicken und darin manches Dilemma zu finden.

So gibt es keine Alternative zu wachsender Komplexität: Wie im Wettrüsten kann eine Gesellschaft als Ganze keine Chance auf Weiterentwicklung ausschlagen, weil jemand sie doch ergreifen wird und Überlegenheit erlangt. Komplexität organisiert eine Gesellschaft, kann aber nicht selbst organisiert werden – wie das Beispiel Sowjetunion zeigte. Dadurch ist es unmöglich, aus der Wachstumsspirale auszubrechen und gesundzuschrumpfen, ehe der Komplexitätsgrad zur Erstarrung führt und das gesellschaftliche Treiben nur noch durch immer exzessiveren Ressourcenverbrauch in Gang zu halten ist.

Vielleicht ließe sich hier auch Karl Marx andocken und der Krieg als Mittel nicht zur Überschuss-, sondern zur Komplexitätsabfuhr betrachten. Der Deutsche wird ja immer nervös, wenn es zu lange keinen Zusammenbruch der Ordnung mehr gab, und womöglich verliert er alle großen Kriege mit voller Absicht.

Selbst wenn dies eine Lösung des Komplexitätsproblems wäre, so steht sie der globalisierten Welt insgesamt nicht zur Verfügung, solange außerirdische Invasoren auf sich warten lassen. Und diese Welt hat ein ernsthaftes Komplexitätsproblem, wie Joseph Tainter in einem Interview zu bedenken gibt. Aufgeschoben wird der weltweite Kollaps einer unergiebig gewordenen Komplexität bisher von Öl-Barrel zu Öl-Barrel. Einzig das schwarze Gold hält den ganzen Laden noch in Gang, weshalb Tainter in der „finalen Ölkrise“ die größte globale Gefahr sieht.

Wann die weltweite Erdölförderung ihren Höhepunkt erreicht und das Öl auszugehen beginnt, lässt sich erst im Nachhinein sagen. Einigen Einschätzungen nach wurde das Ölfördermaximum („peak oil“) bereits 2006 überschritten. Wie es danach weitergehen wird, ist seit 1989 mehr oder weniger absehbar.

 

Olduwai-Theorie

Richard C. Duncan stellte damals seine These vor, wonach die industrielle Zivilisation kaum das Jahr 2030 überleben wird. Seine Theorie hat er nach der Olduwai-Schlucht in Tansania benannt, weil jeder davon gehört hat, Duncan einmal da gewesen ist, es cool klingt und die dort verortete steinzeitliche Lebensweise unsere Vergangenheit ist und unsere Zukunft sein wird. Angestoßen wurden Duncans Überlegungen bereits 1964 durch den Astronomen Fred Hoyle. Er kam zu dem Schluss, dass auf unserem Planeten wie auf jedem Planeten nur ein einziges Mal eine hochentwickelte Zivilisationsstufe erreicht werden kann, weil danach alle dafür notwendigen nicht-erneuerbaren Ressourcen verbraucht sind.

Grundlage der Olduwai-Theorie ist ein Modell, in dem Duncan die weltweite Energieproduktion (Öl, Gas, Kohle, Kernkraft, Sonne, Wind, Wasser) in Relation zur Erdbevölkerung setzt, um die durchschnittlich produzierte / verbrauchte Energiemenge pro Kopf und Jahr zu erhalten. Nach Leslie White (5) und Frederick Lee Ackerman hängen Entwicklungsstand und -chancen einer Gesellschaft insbesondere davon ab, wie viel Energie pro Kopf zur Verfügung steht. […]

Olduwai-Graph

(1) Das Ertragsgesetz verlangt schlicht, mehr herauszubekommen als man hineingesteckt hat, ohne den Surplusgewinn jedoch für unendlich zu halten. In der Landwirtschaft zum Beispiel zeigt sich, dass mit steigender Düngung der Ertrag immer weniger ansteigt, irgendwann stagniert und rapide fällt.

(5) White’s Law: „Other factors remaining constant, culture evolves as the amount of energy harnessed per capita per year is increased, or as the efficiency of the instrumental means of putting the energy to work is increased.“ Leslie White, 1949

 

 


Lichtwolf Nr. 31

Weiterlesen?

Den ganzen Artikel und viele weitere Texte, schön illustriert und handschmeichelnd gedruckt, finden Sie in Lichtwolf Nr. 31 (Titelthema: „Steinzeit“) – erhältlich hier im Einkaufszentrum für nur 6,80 Euro.

 

 

1 Gedanke zu „Steinzeit voraus!“

Schreiben Sie einen Kommentar