Noch die blutroteste Tinte ins Digitale aufgesogen

von Timotheus Schneidegger, 11.11.2007, 11:27 Uhr (Verlorenes Zeitalter)

 

Man erinnere sich oder nehme es nun nachträglich zur Kenntnis: Am 1.1. ds.J. wurde „Die Fackel“ gemeinfrei, dieses von 1899 bis 1936 donnernde Moralgeschütz des publizistischen Einzelkämpfers Karl Kraus (siehe Lichtwolf Nr. 21, S.29ff.). Die über 22.000 Seiten der Fackel standen sogleich komplett digitalisiert und nach Invektiven gegen praktisch jeden durchsuchbar, der im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts unangenehm auffiel, unter corpus1.aac.ac.at/fackel (Nutzbar nach kostenloser Registrierung.)

SimplicissmusZwischenzeitlich ist auch ein weiterer Urahn aus dem Holozän des Zeitschriftenwaldes in digitalisierter Form zugänglich gemacht: Der „Simplicissmus“ mit der roten Dogge als Wappentier. Gefördert von der DFG sind alle 49 Jahrgänge im PDF-Format unter simplicissmus.info abrufbar. Wo die Kraussche Fackel wie ein wütender Fels in der Brandung ihrer Zeit stand, machte der Simplicissmus zwischen seiner ersten Nummer 1896 und seinem um Krieges Willen eingestellten Erscheinen im September 1944 so manche Wende im Stechschritt des deutschen Geistes mit. Mal wird der wilhelminische Geist auf die Schippe genommen, dann dem Hurra-Patriotismus im Ersten Weltkrieg gefrönt, dann zählen Thomas Mann und Kurt Tucholsky zu den Autoren, vor 1933 wird die NSDAP veräppelt, der nach 1933 applaudiert wird und nach der Kriegswende 1942 geht es schließlich ganz bergab ins Schmollen darüber, daß die Welt partout nicht am deutschen Wesen genesen will.

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