Der Lichtwelpe: Mein Freund wird Lehrer!

Heute: Hilfe, mein Freund wird Lehrer!

von dr faustus, 04.11.2007, 11:20 Uhr (Verlorenes Zeitalter)

 

„Lieber Lichtwelpe,

ich weiß, dass ihr normalerweise nur Fragen jüngerer Leser beantwortet, aber ich habe ein Problem. Dieses Problem heißt Alex. Bisher habe ich ein freundschaftliches Verhältnis zu ihm geführt. Bisher. Seit September aber macht er sein Praxissemester an einer Schule in Freiburg und ist über Nacht zum Deutsch- und Ethiklehrer mutiert. Plötzlich redet er von »kognitiver Konditionierung«, von »pädagogischer Reduktion« und davon, dass Schule Spaß macht. Ich habe gestern mit ihm telefoniert und mich dabei des Eindrucks nicht erwehren können, dass er das Gespräch in eine Einstiegs-, Vertiefungs- und Ergebnissicherungsphase einteilte, als er mir ebenjene erklärte. Als ich ihn heute, wie in der dritten Phase gestern ausführlich festgehalten worden war, in einer Freistunde traf, sah er wie ein Lehrer aus und benahm sich ebenfalls wie ein solcher. Seit neuestem trägt er schwarze Lederschuhe und penibel gebügelte Hemden, die er sogar zuknöpft – sein bisher heiß geliebter “alternativer Kleidungsstil” verschwand über Nacht.

Mit der Begründung “Ein Lehrer ist auch in seiner Freizeit Vorbild” boykottiert er nicht nur jegliche Demonstrationen oder Freiburgs Mörderdisko, nein er verweigert nun seit Wochen auch den Besuch meines mobilen Wohnzentrums in unmittelbarer Nähe IKEAs und damit auch aller vernünftigen Partys in Freiburg. Ich weiß nicht genau, wie das vonstatten gegangen ist, aber aus einem lebenslustigen Linksidealisten ist spontan ein stockkonservativer Bildungsbürger geworden – auf sein gewandeltes Liebesleben gehe ich gar nicht weiter ein; nur soviel: Er will noch in diesem Herbst mit einer Medizinstudentin zusammenziehen.

Ich erinnere mich noch genau an einen Abend im vergangenen Sommer, als wir – zugegebenermaßen leicht volltrunken – die Revolution der privaten und gesellschaftlichen Normen ausriefen. Davon will er nun nichts mehr wissen. Stattdessen präsentierte er hingebungsvoll Lehrerzimmer- und Lehrerseminargeschichten sowie endlose Jammereien über das Versagen des deutschen Bildungssystems, dessen ungebildeter Schüler und davon, dass alles besser werden muss. Bei diesem Thema nimmt er dann doch noch das Wort Revolution in den Mund, allerdings spricht er von einer Bildungsrevolution im Anschluss der Pisa-Studie.

Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Darf ich ihn aus den Klauen des Oberschulamts, respektive des Regierungspräsidiums, retten? Soll ich? Muss ich? Aus ihm soll doch wieder der sympathische Typ werden, der er »vorher« war.

Helft mir.

Euer Maik.“

 

Werter Maik,

Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie irgendetwas Geisteswissenschaftliches, womöglich sogar Philosophie, auf Magister studieren? Dass Ihre Magisterprüfung, sofern sie überhaupt stattfindet, etliche Semester in die Zeit nach der üblichen Regelstudienzeit fällt? Dass Ihre Berufsaussichten (Ich unterstelle: “Irgendetwas mit Journalismus”) suboptimal sind?

Wenn ich mit meinen Mutmaßungen Recht habe – und davon gehe ich aus –, dann freuen Sie sich doch für Ihren Freund, dass er sich bald all das leisten wird, wovon Sie im Moment noch gar nicht träumen können.

In Anbetracht Ihrer Einstellungen und Bemerkungen sind Sie mit der Anfrage beim “Lichtwelpen” übrigens vollkommen richtig. Werden Sie erwachsen! Finden Sie einen festen, immobilen Wohnsitz mit Strom- und Warmwasseranschluss und beenden Sie Ihr Studium, solange sich die Nebenwirkungen Ihres bisherigen Lebens noch nicht akut bemerkbar machen. Ändern Sie Ihren Lebensstil, konvertieren Sie ggf. ihre Ideale: Ökostrom. Passivhaus. Bürgerbeteiligung. Ehe auf Zeit.

Es wird nicht lang dauern und Sie werden sich mit Ihrem Freund Alex verstehen wie nie zuvor. Lernen Sie von ihm, er ist ein guter Lehrer.

 

Herzlichst,

Ihr dr faustus

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