Wissenswertes über Kreatives Schreiben

Im richtigen Leben ist Lino Wirag eine fünfzigjährige, fette Hure voll im Leben stehende Frau. Doch das war nicht immer so. Exklusiv für den Lichtwolf zog sie den Wallraff und verkleidete sich für volle drei Jahre als Neger 23-jähriger Student für Kreatives Schreiben. „Auf den Journalismus!“, sagt Lino Wirag und popelt mit Schokolade umwickelten Alkohol aus einer Jumbopackung Nicht-so-edle Tropfen, „vinceremos!“
Sie nimmt einen Schluck Essigreiniger, „zum Runterspülen“, hebt die Hand zum Victoryzeichen, zwischen dicken Fingern steckt eine brennende Salzstange. Ihre Schienbeine haaren. Dann beginnt sie zu erzählen.

von Lino Wirag

Der Popoliterat Lutz W. mit Siegfried Suhrkamp, in der Zwickmühle des investigativen Journalismus und beim Autogrammegeben (von hinten); Photo: Lino Wirag

Hier kommen sie also her bzw. gehen sie hin, bevor sie da herkommen: Verträumte Mädchen, die mit falschen Judith-Hermann-Höckern auf der Nase und einem Schlafzimmerblick auf dem rechten, einem Silberblick auf dem linken Auge durch die Stadt streifen und Sätze murmeln wie: „Die Stalin-Bauten zu beiden Seiten der Straße waren riesig und fremd und schön. Die Stadt war nicht mehr die Stadt, die ich kannte, sie war aus Pomade und Cornflakes.“

Es gibt aber auch die anderen, junge Wilde mit dem Brinkmannblick, die ihren Beschreibungsfuror noch auf die verpisstesten Ritzen der Fußgängerzone entladen („Melone! Mauern! Mösen! Knoblauch! O dunkler Minimarket Aldi!“); und natürlich die jungen Grasse, pfeifekauend beim Diskutieren über den Sozialstaat. Und das kam so.

 

Jeder hier, so hat man uns am ersten Tag gesagt, jeder hier muss ein Vorbild haben und ohne geht’s nicht. Wir sollen genauso aussehen, genauso leben, denken, und am Schluss – klar – genauso schreiben wie sie. „Jeder hier!“, hat der Professor gekreischt, und dann hat er einen Bleistift zerbrochen und ein Glas Tinte leergesoffen, aber der Bleistift war aus Gummi und im Glas war Johannisbeerlikör, aber das haben wir erst hinterher rausgefunden.

Ich hab noch überlegt, welches Vorbild soll ich nehmen, aber der Adalbert hat schon eins gehabt, nämlich Stifter, klar, dann kann er seinen Vornamen gleich behalten. Das war den anderen aber egal, Stifter wollte sowieso keiner, alle riefen auf einmal, sie wollen Stuckrad-Barre sein oder Ulle Wickert, und eine wollte sogar Juli Zeh sein, obwohl die nun wirklich nichts kann. Also hat sich jeder ein Kreppbandschild mit seinem neuen Namen an die Brust geklebt und dann hab ich auch gewusst, wer ich sein will: Ich hab mir die Haare wirr gemacht und mit dem Handy zu Hause angerufen und gesagt: „Mach dir keine Sorgen, Mutter, ich werde weltberühmt“, und den anderen hab ich gesagt, sie leiden an Beschreibungsimpotenz, und dass ich die Serben voll supporte. Ein langhaariger Ravensburger hat nach Hasch gestunken und sich zu Borges erklärt. Dann hat der Professor den Zeigefinger erhoben und gesagt, wir sollen dem geilen Drang, auf Teufelkommraus Bücher zu veröffentlichen, widerstehen, aber nicht dem Drang, geile Bücher zu veröffentlichen. Haha, haben wir pflichtschuldig gelacht und uns den „tollen“ Witz notiert, als Vorrat für später.

Wir fühlten uns alle schon als richtige Schriftsteller, dabei hatte noch niemand was veröffentlicht, und viele kannten Literatur nur als Briefbeschwerer oder als Phototapete oder als Elke Heidenreich, und die Texte, mit denen sie sich fürs Studium beworben haben, hatten sie mit 16 geschrieben, und seither war trockener Füller. Aber wegen dem Bachelor nehmen sie jetzt fast jeden, hat der Professor gesagt und uns angeglotzt wie ein trauriges Kalb, und dann hat er ein Glas Apfelsaft getrunken und gesagt, es ist Eigenharn mit Schuss, weil er sich so vor sich selbst ekelt. Der Professor war eine Art Schwammgewebe aus Sepp Herberger und Brian Epstein und schrieb Groschenhefte, wenn er nicht sprach: Jede Nacht im Bett hackte er auf sein Netbook ein, und dann schickte er alles mit einem Tastendruck an seine Agentin, ohne ein einziges Mal drübergelesen zu haben. „Nur Mohren brauchen Lektoren“, schwallte er, als würde der Satz dadurch besser, dass er sich reimte.

Einer fragte, wann es endlich diesen Schein gäbe, er wolle nach Hause, und ein anderer rief: „Ich wusste lange nicht, was es sein soll, erotischer Stangentanz oder Schreiben, aber ich habe mich schließlich für die Selbstverwirklichung entschieden: BWL! – Tschüss, ihr Wichser.“ Er hat ein paar Geldscheine in die Luft geworfen und ist verschwunden.

Zwischen Starautor und Startautor sei ohnehin nur ein „kleines T“ Unterschied, hat der Professor dann gesagt, und dieses „kleine T“ habe er heute für uns mitgebracht. Dann baumelte er mit einem Teebeutel vor unseren Gesichtern rum und hat unheimlich gelacht, und wir waren beeindruckt von so viel poetischer Einsicht in die Wortgewalt. Dann hat der Professor gesagt, jetzt gehen wir einen trinken, das ist dann der Grundkurs Kreatives Schreiben.

Auf dem Weg zur Trinkhalle „Op de Deel“ hat uns der Professor eine „praktische Übung“ zeigen wollen und hat den Grundriss seines nächsten Romans in den Schnee gepinkelt. „Je freier, desto Eier“, hat er gerufen, während seine christbaumkugelgroßen Klöten in der Winternacht schwankten. Wir haben alles mitgeschrieben, für später. In der Trinkhalle hat man uns ganz viele norddeutsche Biere hingestellt, die waren so dünn, dass sie aussahen wie Klowasser, in das man reingepinkelt hat, geschmeckt haben sie aber wie Eigenharn mit Schuss.

„Notieren, notieren, notieren“, hat der Professor geschwallert und seinen Watermanfüller gezückt, der ganz in Drontehaut eingeschlagen war. „Zum Beispiel dieses wichtige Notat!“ Mit diesen Worten hat er einen Strich auf den Bierdeckel vor sich gemacht und gerufen: „Another Korn, you Hure!“

Die Kellnerin hat ihm mit bösem Blick ein Schnapsglas mit Putzmittel hingestellt, das hat er sofort ausgetrunken. „Ah, Inspiration“, hat der Großraumdichter gerülpst, und die Inspiration ist als Transpiration wieder aus seinen Achselhöhlen geströmt. Dann hat der Professor gesagt, wir sollen unsere Notizbücher herausholen und genau mitschreiben, was jetzt passiert, als kleine dramatische Übung. Wir haben genickt.

„Hier dürfen ja sogar Neger rein!“, hat er dann gerufen und auf die Stammtisch der Schornsteinfeger gezeigt. Die Schornsteinfeger sind gleich aufgestanden und haben gefragt, wer ist hier ein Neger, und sich erboten, dem poeta laureatus den Dichterkranz zurechtzurücken. „Ficksahne“, hat der Wortefürst gekontert und einige Notatballungen auf seine rahmengenähten Schuhe aus Mufflonvorhaut vomiert. „Wie schreibt man Ficksahne?“, hat der Adalbert gefragt.

Dann haben wir alle notiert, wie der Professor mit seiner breiten Waschlappenstirn gegen ein Billardqueue gelaufen ist, das in der Hand eines Schornsteinfegers gesteckt hat und prompt zerbrochen ist. Die Schornsteinneger haben gelacht, und wir haben auch gelacht, und der Professor hat sich ein Eisbein auf den Kopf gelegt, um die Blutung zu stillen.

„Jetzt hört doch mal endlich mit dem Scheißschreiben auf!“, hat der Dichter gerufen und gestöhnt, und wir haben alle aufgeschrieben, dass wir doch mal endlich mit dem Scheißschreiben aufhören sollen, und gestöhnt. Wir haben noch mehr Bier getrunken und der Abend hat langsam angefangen, Spaß zu machen, aber dann ist der Professor aufgestanden und hat unsere Bleistifte zerbrochen, aber diesmal in echt, sodass wir nicht weiterarbeiten konnten, und dann hat er von den Mädchen verlangt, dass sie „Nacktschreiben“ sollen, „zurück zur Natur!“, hat er gerufen, aber die Mädchen wollten nicht und außerdem hatten sie keine Stifte mehr. Einen „Stift“ werde er ihnen schon „geben“, hat der Dichterfürst salbadert, aber da sind wieder die Schornsteinfeger gekommen und haben gesagt, wenn der Professor nicht aufhört, die Damen zu belästigen, ziehen sie ihm ihre Kaminbürste durch den Darm. Wir wollten uns wieder den „tollen“ Witz notieren, aber das war gar kein Witz.

Also gut, hat der Professor gesagt und geschwankt, der Unterricht ist für heute beendet, und morgen sollen wir alle verkleidet kommen, sonst gibt’s keinen Nobelpreis. Und so ist es dann auch gewesen.

Schreiben Sie einen Kommentar