Der Weichenschmierer

von Bdolf

 

Die Zeiten sind hart, aber immerhin. Wir sind noch da. Nach all den Schicksalsschlägen, Blut, Schweiß und Tränen, halt all dieser Kram.

Die anderen müssen mehr hungern als ich. Ich bin in der glücklichen Lage, mich in einer festen Anstellung zu befinden.

Das Kollektiv, das unsere Eisenbahn betreibt, fand mich geeignet, beim Streckenunterhalt zu arbeiten. Diese Arbeit ist nicht so banal und anspruchslos, wie sie sich auf den ersten Anschein hin anhören mag. Wer im Umfeld der Eisenbahn zu tun hat, den plagen ein paar ganz erhebliche Probleme.

Eines ist der Strom. Klar, hört sich dumm an.

Aber niemand weiß, woher der Strom kommt, der in den Leitungen fließt, die wir angezapft haben, um unsere Elektroloks fahren lassen zu können. Das heißt, wir wissen auch nicht, ob er irgendwann aufhört. Oder jemand kommt, und uns zur Rechenschaft zieht…

Glücklicher- oder unglücklicherweise – je nach Standpunkt – ist unser kleiner Sprengel fast überall von nicht passierbaren Regionen eingeschlossen. Im Norden befindet sich der Aufstieg zum Gebirge – alle, die versucht haben, es zu überqueren, sind nicht wiedergekommen.

Im Westen und Süden schlagen die Geigerzähler etwas zu heftig aus, als dass sich Weiterziehen empfehlen würde.

Im Osten, schließlich, liegt der See – Namen machen keinen Sinn, wir erinnern uns nicht mehr, wie er vor den Tagen des Verhängnisses genannt wurde – weiter als vielleicht einen halben, mit Glück auch einen ganzen Kilometer darf man sich nicht vom Ufer entfernen – im tieferen Wasser hausen Dinge, mit denen sich eine Begegnung absolut zu vermeiden lohnt, die, die den Anblick überlebt haben, sind ausnahmslos dem Wahnsinn verfallen und vegetieren jetzt stammelnd und kreischend vor sich hin.

Und dazwischen unser kleiner Landstrich, überschaubar, trotzdem bedürfen wir eines Transportmittels, um unsere kleinen Ortschaften miteinander zu verbinden.

Die Eisenbahn ist unsere Lebensader. Buchstäblich… Leicht, wie gesagt, ist meine Aufgabe nicht –

Was wir zum Leben benötigen, müssen wir selbst herstellen, das gilt natürlich auch für Schmierstoffe. Und Schmierstoffe braucht der Weichensteller. Reichlich, sogar.
Dass dieses Problem gelöst wurde, war Bedingung für meine Anstellung. Und natürlich ganz allein meine Angelegenheit. Das Kollektiv hätte mir dabei nicht helfen können, selbst wenn es gewollt hätte.

Die Lösung war gar nicht so schwierig.

Organische Abfälle! Das war die Antwort – ich richtete mir einen Tank ein, eine Art flüssigen Komposthaufen, in dem ich Biomüll unter Druck – und mit ein paar technischen Tricks – in synthetisches Öl verwandele.

Zunächst ließ die Qualität meines Produkts noch etwas zu wünschen übrig – der letzte Kniff ergab sich – sozusagen – durch Zufall.

(Illu: Georg Frost)

Eines Tages ging ich, wie immer, die Strecke ab, und stieß dabei auf die Leiche eines jungen Mannes. Dieser hatte sich offensichtlich vor den Zug geworfen, keine Frage, bei der Düsternis unserer Tage liegt es nahe, die Last des Daseins abstreifen zu wollen. Von den Schienen musste ich den Leichnam selbstredend entfernen, gefährdete er doch ganz unzweifelhaft den Bahnbetrieb. Warum ihn nicht einer sinnvollen Nutzung zuführen? Und die Mühen einer Verscharrung sparen?
So fügte ich ihn den organischen Abfällen in meinem Gärtank hinzu.

Und – voilá – meine Hausmischung gewann an Sämigkeit, an perfekter Fluidität, kurzum, eine entscheidende Verbesserung der Schmierwirkung trat ein.

Und so hoffe ich immer auf den einen oder anderen, der sich von der Last des Daseins erlösen möchte.

Und ein sinnvolles Weiterleben in meinem Ölkännchen findet.

Tag für Tag, entlang der Strecke. Unsere Weichen müssen gängig bleiben.

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