Konservative Medien

Die Achse des Blöden lässt sich mit zwei Punkten bestimmen.

von Timotheus Schneidegger, 09.12.2005, 15:05 Uhr (Freiburger Zeitalter)

 

An zwei von den Medien behandelten Themen der letzten Tage lässt sich anschaulich zeigen, was eigentlich ein konservatives Medium ausmacht. Die Rede ist einmal von dem Bohei rund um fragwürdige Wikipedia-Artikel, sowie von Harold Pinters Dankesrede für den Literaturnobelpreis.

 

a) Der Wikipedia-„Skandal“ ist (viel mehr als der Skandal um die Folterfluglinie der CIA) ein mediengemachter. In seinem Zentrum steht eine Sache, die so zur Wikipedia gehört wie Geheimniskrämerei zur CIA, nämlich die jedem jederzeit offenstehende Möglichkeit, Einträge zu verändern.

Ein solches Konzept ist einem waschechter Konservativen sichtlich unbegreiflich, er sammelt höchstens Beweise für die kommunistische Unterwanderung der Wikipedia (wie die WELT aus dem Hause A.Springer, das für den Kampf gegen die Roten allen Ver- und Anstand zu opfern bereit ist). Auf gleiche Weise prangern RCDS & Moränen an der Uni Freiburg die Linkslastigkeit der hiesigen Studierendenvertretung an, in Cassandra-Pose warnend, die dortigen Guevaras wollen doch nur DaimlerChrysler zerschlagen, die Post wieder verstaatlichen und gebührenfrei studieren, zugleich aber versäumt es die wertbewußte, aufgeklärt-patriotische, arrivierte Jugend, bei den AStA-Wahlen gegen den Pöbel anzutreten. Wie gesagt: Gestalterische Teilhabe ohne vorherige Ochsentour durch eine Partei oder gute Beziehungen liegt jenseits des konservativen Verständnishorizonts, wie sonst ist es zu erklären, daß J.Seigenthaler, obschon als Journalist doch alphabetisiert, nicht einfach den Wikipedia-Eintrag verändert oder zumindest diskutiert hat, in dem er mit der Ermordung J.F.Kennedys in Verbindung gebracht wurde?

Ach ja: Mit der Mediennot, aus irgendeiner Meldung eine tagelange Nachrichtenorgie zu machen, damit lässt sich das auch erklären.

Die Wikipedia hat sich beeindrucken lassen und nun eine eingeschränkte Registrierungspflicht erlassen. Spiegel Online, längst ins Lager der konservativen Meinungsmacher abgeführt, kommentiert:

Seigenthaler selbst glaubt nicht daran, dass die Maßnahme ausreichend ist, um Vandalismus wie den, der ihn selbst betraf, zu verhindern. Irgendwann, sagte Seigenthaler werde „der Markt das Problem lösen“, aber „was passiert in der Zwischenzeit mit Leuten wie mir?“

Da ist alles drin: Krokodilstränen und Marktgläubigkeit, die das ebenfalls der Wikipedia eigentümliche Konzept „kostenlos“ anstößig findet (vgl. das Stirnrunzeln der FAZ über diese Sammlung von „nützlichem und überflüssigem Wissen, das von Kennern, Enthusiasten und Spinnern zusammengetragen wird“).

 

b) Harold Pinter

Bezeichnend unkommentiert druckte die taz heute Pinters Rede ab, in der er zwischen dem Staatsterrorismus der Sowjetunion und dem der USA einzig einen Unterschied in der Art der Durchführung, aber nicht in der kaltblütigen Blutgier sieht, und folgerichtig Bush und Blair als Massenmörder in Den Haag angeklagt sehen will.

Die FAZ tut cool gähnend kund, von Pinter nichts anderes erwartet zu haben – erwartungsgemäß sieht die Süddeutsche das genau andersherum. Mehr Mühe gibt sich die allzeit vor Empörung geifernde WELT, die einen Doppelschlag versucht: Ein abgehalfterter Nobelpreisjuror darf E.Jelinek und H.Pinter ihre literarischen Fähigkeiten absprechen, daneben ist Eckhard Fuhr in seiner erzkonservativen USA-Gläubigkeit so pikiert, daß er Pinters aus Krankheitsgründen per Aufzeichnung vorgetragene Rede geradewegs mit einer Videobotschaft der el Kaaida vergleicht: „Die Osama-bin-Laden-Anmutung des Mediums ist dem Inhalt der Botschaft durchaus angemessen.“ Ein solcher „Tintenstrolch“ (Karl Kraus) wird morgen wieder Zeter und Mordio schreien, wenn es ein Intellektueller wagt, die gottgestützte Argumentation der Bushkrieger mit der ihrer islamistischen Antagonisten zu vergleichen.

 

Und dabei hatte R.Misik erst gestern bei der Lektüre von Verfassungsrechtler Udo di Fabios Werteschwarte „Kultur der Freiheit“ festgestellt, der moderne Konservatismus sei „so dumm und autoritär wie der alte“. Typisch taz, aber es ist leider was dran.

Schreiben Sie einen Kommentar