Aber meine Mutter hat mich damit gefüttert

von Johannes Witek

 

Die Verwaltungsangestellte Gabriele B. hinterließ nach ihrem plötzlichen Ableben (Verkehrsunfall) auf ihrer Festplatte ein in seiner Radikalität erschreckendes Dokument, bei dem es sich offenbar um ihren letzten Willen handelte.

Darin ersuchte sie die Hinterbliebenen, nach ihrem Verscheiden ihren Körper in mehrere handliche, leicht zu transportierende Teile zu zerlegen, um diese dann, in Zellophan verpackt und mit Preisschildern versehen, in einer supermarktähnlichen Glasvitrine auszulegen mit Aufschriften wie:

„Vom Schenkel“
„Lungenbraten“
„Nierenragout“
„Hirn mit Ei“
„Beuschelfleisch“
„Besondere Gustostückerl“

Es war ein ziemlich langes Testament, im erregten Modus des Manifestes verfasst (beispielsweise kritisierte Gabriele B. darin neben vielen anderen Punkten auch die Tatsache als völlig absurd, dass wir unsere Scheiße mit Trinkwasser die Toiletten runterspülen, anstatt sie, sagen wir, als Heizmaterial zu verbrennen) und aufgrund seiner inhaltlichen Schockwirkung naturgemäß nicht umsetzbar.

Lichtwolf Nr. 29 („Vergessen“)

Also setzten die Hinterbliebenen es nicht um. Stattdessen sprachen sie beim Leichenschmaus darüber. Natürlich wusste man, dass sich Gabriele B. seit mehreren Jahrzehnten strikt vegetarisch ernährt hatte („vegetrianisch“, wie Onkel Günther mehrmals erregt ausrief) man hatte allerdings stets allgemein angenommen, dass dies geschähe, um dem Schönheitsideal zu genügen und schlank zu bleiben und wer konnte schon ahnen, dass sie in solche Tiefen der Radikalität abgleiten würde?

Freilich wusste man auch, dass Gabriele B. es nicht leicht gehabt hatte, hatte sie doch fünfzehn Jahre in einer ehelosen Beziehung mit einem Wirtschaftswissenschaftler gelebt, der sie schließlich verlassen hatte um eine andere Frau zu heiraten: jung, schön und ausgebildete Sängerin.

Damit war alles geklärt, damit erklärten sich die Hinterbliebenen am Ende langer Diskussionsprozesse alles und alle waren befriedigt, wenn auch dem Anlass entsprechend in Trauer, während sie kauten und kauten und kauten und kauten.

Schreiben Sie einen Kommentar