Der Lichtwolf ist Ihr Freund

Einige Worte zur neuen Erscheinungsweise – für Erstleser und alte Bekannte.

von Timotheus Schneidegger, 11.10.2004, 11:48 Uhr (Freiburger Zeitalter)

Es kommt ja wirklich nicht alle Tage vor, daß man eine Pressemitteilung zu Gesicht bekommt, die man glaubt selber verfasst zu haben. Noch überraschender wird das Erlebnis, wenn der Absender Axel-Springer-Verlag heißt. Der meldete am 7. September:

DER FREUND heißt die neue vierteljährliche literarische Zeitschrift aus dem Verlag Axel Springer. Entwickler dieses ungewöhnlichen Zeitschriften-Projektes sind die Schriftsteller Christian Kracht (Herausgeber) und Eckhart Nickel (Chefredakteur) sowie die Art-Direktorin Tina Obladen. […] Die Ausgabe No. 1 hat einen Umfang von 136 Seiten und kostet zehn Euro.
DER FREUND präsentiert Text in aller Ausführlichkeit sowie die Kunst der Zeichnung, der obskuren Illustration. Was DER FREUND nicht bietet, und damit ist er möglicherweise die erste Zeitschrift seiner Art in Deutschland, sind Anzeigen und Fotos. Damit konzentriert sich DER FREUND ohne Unterbrechung auf Text. Es reihen sich Essays, Short Stories, literarische Miniaturen, Kolumnen, Gedichte und Interviews in einem amüsanten Forum aneinander. […]
DER FREUND ist für Axel Springer ein Experiment, von dem wir überzeugt sind. Das Konzept der Zeitschrift ist radikal anders und publizistisch neuartig. DER FREUND konzentriert sich voll und ganz auf die Kraft des geschriebenen Wortes. Wir verzichten ganz bewußt auf Anzeigen und Fotos – Sprache, Formulierungskraft und Ideen der Macher stehen im Mittelpunkt, so Tim Fabian Besser, Verlagsleiter DER FREUND. [usw.usf.] (vollständige Pressemitteilung des A.S.-Verlags)

Der Freund und der Feind.

„Der Freund“ (links) und der Feind (andere Seite).

Das kommt verdächtig bekannt vor, und für einige Tage war ich mir unsicher, ob meine im Suff geäußerte Prahlerei, ich würde das Konzept des Lichtwolf für 1500 Euro und eine warme Mahlzeit an den Axel-Springer-Verlag verhökern, wirklich folgenlos geblieben war, oder ob da nicht doch irgendein Werbe-Futzi am Nachbartisch die Gelegenheit seines Lebens gewittert hat…

Denn abgesehen von den Namen und Zahlen trifft alles in dieser Verlautbarung auf den Lichtwolf zu, und zwar schon seit über zwei Jahren. Ob Axel Springer geahnt hat, der einzige Weg, die Bild-Zeitung vor der Verdrängung durch den Lichtwolf zu bewahren, wäre die Publikation einer Anti-Bild aus der eigenen Züchtung?

Die Ankündigung von „Der Freund“ fiel mitten in die Vorarbeiten zum neuen Lichtwolf (nicht daß es heißt, dieser prätentiöse Quark habe den Lichtwolf aus seinem Schlummer gerissen!). „Neu“ meint hier nicht bloß „nächste Ausgabe“, sondern eben Neuanfang ohne vorhergehenden Untergang:

Der Lichtwolf erlebt(e) einige Korrekturen seiner bisherigen Erscheinungsweise. Dazu gehören die Höflichkeits-Offensive, in deren Verlauf die verehrte Leserin nun gesiezt wird, genauso wie die Kohle-Offensive, die den Lichtwolf von nun an auf Kostendeckung abrichtet, d.h. die Hefte werden verkauft und dies nach Möglichkeit nicht nur unter der Hand, sondern auch unter der einen oder anderen Theke. Wir suchen also erstmals öffentliche Publikationswege. (Wo es Ausgaben im Geschäft zu kaufen gibt wird auf lichtwolf.de bekanntgegeben.)

Zwölf Ausgaben, drei Jahrgänge lang hat der Lichtwolf Anlauf geholt und will nun als „Zeitschrift trotz Philosophie“ den Tigersprung in die Untiefen des Gewerbes wagen. Die dort Etablierten lassen sich alle brav irgendwo einordnen: Der Playboy hat Titten und Autos, die Bild-Zeitung Titten und Lügen, der Focus Blödsinn und verschämt im „Health“-Teil als wissenschaftlich versteckte Titten, die Titanic soll lustig sein usw. Ein Profil gehört wohl dazu, weil es dem vom Überangebot gehetzten Kunden am Kiosk die Auswahl erleichtert, für die keine Zeit mehr bleibt.

Red Bull und Kokain? Ach so: Popliteratur...

Red Bull und Kokain? Ach so: Popliteratur…

Wie will der Lichtwolf auf den Markt drängen? Als sowas ähnliches wie das, was der „Der Freund“ zu sein vorgibt, nur ohne Financier im Rücken, ohne vollgekokste Blödiane in der Redaktion, ohne Profitstreben (nur Kostendeckung) und ohne Werbung. Auch ohne Schleich- und Eigenwerbung (ebenfalls im Gegensatz zur Konkurrenz…). Weil Werbung immer Kundenfang mit falschen Versprechen ist, den wir uns verbieten, können wir keine etwaige Versprechen was Form, Inhalt und Umfang des Lichtwolf angeht, machen. Daher ist auch nichts mehr mit der Irreführung „Zeitschrift für Freiburger Philosophie“.

Zum Vergleich: Weniger sittenwidriges in unserem Heft.

Zum Vergleich: Weniger sittenwidriges in unserem Heft.

Der Verzicht auf Versprechen, deren Unhaltbarkeit von ihren Urhebern billigend in Kauf genommen wird und somit an Betrug grenzt, der weithin als Reklame schöngeredet wird, ist eine Form der Aufrichtigkeit, die für eine sich alleine durch ihren Verkauf finanzierende Zeitschrift selbstmörderisch wirken muß. Wenn es nicht unser bescheiden diffuses Ziel wäre, durch den Fortbestand des Lichtwolf trotz allem ein Zeichen zu setzen!

Im ersten Band der Lichtwolf-Gesamtausgabe (LiWoGA) hieß es noch, diese Zeitschrift betreibe „kritische Phänomenologie in essayistischem Stil“. Das bedeutet so viel wie: „Angucken und totbeißen; wenn es nicht hinhaut, nochmal versuchen, vielleicht auch mal ganz anders.“ Der Lichtwolf will beweisen, daß sich so etwas zu leisten heutzutage noch wider allen Geredes möglich ist.

Zugegeben: Mit großen Namen kann der Lichtwolf nicht aufwarten. Dafür ist er preiswerter als die Prestige-Schreibe von Springer: Die bringt für einen Euro bloß 13,6 Seiten, der Lichtwolf Nr.13 dagegen 24. Der qualitative Unterschied, der den höheren Preis rechtfertigt? Mal sehen, „Autor-Scooter“ von Stuckrad-Barre soll wohl eine regelmäßige „Ätzerei“ in „Der Freund“ sein. In Nr.1 auf S.120 verrät Stucki ungefragt den kreativen Impetus hinter seinem gedankenreichen, bibliophilen Werk: „Wenn man gleich an der Grenze [der Schweiz…] schon kurz rechts ran fährt und eine 80-Zeilen-Glosse, [blablabla], und dann runterkloppen den Scheiß, in irgend’ne Plumpskloredaktion in Deutschland mailen – hat sich die Sache.“ (Der „Satz“ ist auch ungekürzt grammatikalischer Unsinn; soll wohl Avantgarde sein.)

Dann doch besser den seine Leser nicht unverhohlen verarschenden Lichtwolf kaufen, oder gleich abonnieren. Ein Jahr Lichtwolf kostet so viel wie eine Ausgabe von „Der Freund“ oder zwei große Fast-Food-Mahlzeiten. Böse Zungen werden sagen, bei allen genannten Angeboten käme am Ende Scheiße heraus, aber die kaufen den Lichtwolf sowieso erst, wenn er schon überall auf den Nachttischen und neben den erkaltenden Badewannen Deutschlands liegt.

Knapp 300 Seiten Lichtwolf für die Deutsche Bibliothek. Die wollte das ja so.

Knapp 300 Seiten Lichtwolf für die Deutsche Bibliothek. Die wollte das ja so.

Mit Ihrer Unterstützung finanzieller und ideeller Natur wird der Lichtwolf weiter zu einer richtigen Zeitschrift gedeihen. Erste Schritte auf diesem Weg sind mit der Nummer 13 bereits getan: Das Heft selbst hat sich gemausert, genau wie die Strukturen, die alle drei Monate eines hervorbringen. Wir haben Postfach, Gewerbeschein und bald vielleicht auch einen Platz in der Deutschen Bibliothek. Die fordert von allen in Deutschland hergestellten Druckerzeugnissen zwei „Pflichtexemplare“. Also wird ein dickes Paket mit allen bisherigen Lichtwölfen in zweifacher Ausfertigung nach Frankfurt a.M. geschickt, wo die Teile zwischen den Pflichtexemplaren ganz normaler Zeitschriften eingesargt werden, um in tausend Jahren einer Arbeit über das Publikationswesen im Mitteleuropa des 21.Jahrhunderts als Quelle zu dienen.

Titelthema der nächsten Ausgabe ist „das Ende“ und dann geht es erst richtig los mit der Zeitschrift trotz Philosophie. Seien Sie von dem Anfang an dabei, der sich mit jeder Ausgabe ereignet!

(Von mir aus können Sie trotzdem „Der Freund“ kaufen und ihr Geld Leuten geben, die es zur existenziellen Fortsetzung ihres Beschäftigungsverhältnisses nicht brauchen, aber trotzdem haben wollen, und sich entsprechend benehmen.)

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